Die Rückkehr der "fühlenden Natur"

"Man merkt doch, dass der Hund sich freut"

Ein Jack-Russell-Terrier hält eine Ausgabe der französischen Tageszeitung "Le Parisien" im Maul
Eine Ausgabe der französischen Tageszeitung "Le Parisien" © picture alliance /dpa /Delphine Goldsztejn
Susanne Billig im Gespräch mit Joachim Scholl · 18.04.2017
Tiere sind den Menschen offenbar ähnlicher, als es die Biologie des 20. Jahrhunderts angenommen hat. Jedenfalls erlebt das Bild von der "fühlenden Natur" derzeit eine fulminante Renaissance. Susanne Billig stellt einige neue Bücher zum Thema vor.
Lange Zeit war es geradezu ein Tabu, Tiere zu vermenschlichen, ihnen Gefühle, Seelenschmerz oder Charakterzüge zuzuschreiben. Jetzt allerdings erlebt die "fühlende Natur" offenbar eine gewaltige Renaissance, die sich in einer ganzen Reihe neuer Bücher widerspiegelt.
Es gebe eine gewisse Übermüdung hinsichtlich der wissenschaftlichen Verhaltensforschung, sagt unsere Kritikerin Susanne Billig. "Man merkt eben, die Wissenschaft kommt nicht weiter, wenn sie diese bedeutenden Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier weiterhin so ignoriert wie im 20. Jahrhundert."

Wissenschaft und gesunder Menschenverstand

So rege sich beispielsweise Carl Safira, der Autor des Buches "Die Intelligenz der Tiere", sehr über die konventionelle Biologie auf, betont Billig. "Er sagt: Wir wissen doch, wenn wir nach Hause kommen und der Hund rennt uns entgegen, dass der sich freut. Eine Wissenschaft, die das ignorieren möchte, die bleibt hinter dem gesunden Menschenverstand zurück."
Tiere seien genauso entrüstet wie Menschen, wenn man sie ungerecht behandle, sagt Billig. "Sie kennen Vergebung, sie kennen Bestrafung, sie trösten sich gegenseitig. Das sind Verhaltensweisen, die eben offenbar in anderen sozial lebenden Tiere evolutionär genauso verankert sind wie im Menschen."

Das Tier mit dem Namen Mensch

Wenn Tiere den Menschen ähnlicher sind als lange Zeit gedacht, heißt das umgekehrt aber auch, dass der Menschen den Tieren ähnlicher ist. "Das ist auch die Begrifflichkeit inzwischen in der Fachliteratur, die man findet. Da wird von nicht-menschlichen Tieren gesprochen, und der Menschen ist eben das Tier mit dem Namen Mensch. Das bürgert sich inzwischen ein."
Exemplarisch nennt Billig Charles Fosters "Der Geschmack von Laub und Erde", der in diesem Buch seinen Selbstversuch schildert, wie ein Rothirsch, ein Marder oder andere Tiere zu leben. "Das ist kein exzentrischer Witz, dieses Buch, sondern ein ergreifender und eigentlich todernster Blick auf die Frage, was wir derzeit eigentlich mit der Natur anrichten und wie grundlos unser Hochmut ist. Denn natürlich scheitert er."

Neue Bücher zum Thema Tier und und "fühlende Natur":

Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring, Karin Schachinger: "Human-Animal Studies –Eine Einführung"
Verlag UTB, Stuttgart 2017, 264 Seiten, 24,99 Euro
Carl Safina: "Die Intelligenz der Tiere – Wie Tiere fühlen und denken"
Übersetzt von Sigrid Schmid und Gabriele Würdinger
Verlag CH Beck, München 2017, 526 Seiten, 26,95 Euro
Marc Bekoff, Jessica Pierce: "Sind Tiere die besseren Menschen? – Fairness & Empathie im Tierreich"
Kosmos-Verlag, Stuttgart 2017, 224 Seiten, 20 Euro
Buchcover Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring, Karin Schachinger: "Human-Animal Studies – Eine Einführung"; Carl Safina: "Die Intelligenz der Tiere – Wie Tiere fühlen und denken"; Marc Bekoff, Jessica Pierce: "Sind Tiere die besseren Menschen? – Fairness & Empathie im Tierreich"
© UTB / CH Beck / Kosmos
Bernd Heinrich, Judith Schalansky (Hg.): "Der Heimatinstinkt – Das Geheimnis der Tierwanderung" (Rezension)
Übersetzt von Hainer Kober
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2017, 320 Seiten, 38 Euro
Charles Foster: "Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben" (Rezension)
Übersetzt von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß
MALIK-Verlag, München 2017, 288 Seiten, 20 Euro
Niklas Peuckmann: "Tierethik im Horizont der Gottebenbildlichkeit – Zur Bedeutung des Menschenbildes in der Ethik der Mensch-Tier-Beziehungen"
Projekt-Verlag, Bochum 2017, 119 Seiten, 13,80 Euro
Cover von Bernd Heinrich, Judith Schalansky (Hg.): "Der Heimatinstinkt – Das Geheimnis der Tierwanderung"; Charles Foster: "Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben"; Niklas Peuckmann: "Tierethik im Horizont der Gottebenbildlichkeit – Zur Bedeutung des Menschenbildes in der Ethik der Mensch-Tier-Beziehungen"
© Matthes und Seitz / Malik / Projekt
Louise Gray: "Richtig Tiere essen?! – Wie ich ein Jahr lang nur Fleisch von Tieren aß, die ich selbst tötete"
Übersetzt von Hanna Lemke
Edel-Verlag, Hamburg 2017, 352 Seiten, 19,95 Euro
Jette Anders: "Allerweltsvogel – Eine kleine Kulturgeschichte des Spatzen"
Vergangenheitsverlag, Berlin 2017, 140 Seiten, 14,99 Euro
Rainer Otte, Ulrich Holbein, Sabine Rothemann, Ulf Heuner: "Die sokratische Hundeschule – Philosophische Gassigänge ohne Leine"
Parodos-Verlag, Berlin 2017, 140 Seiten, 15,90 Euro
Cover von Louise Gray: "Richtig Tiere essen?! – Wie ich ein Jahr lang nur Fleisch von Tieren aß, die ich selbst tötete"; Jette Anders: "Allerweltsvogel – Eine kleine Kulturgeschichte des Spatzen"; Rainer Otte, Ulrich Holbein, Sabine Rothemann, Ulf Heuner: "Die sokratische Hundeschule – Philosophische Gassigänge ohne Leine"
© Edel / Vergangenheitsverlag / Parodos
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