Die Buchberater

Wir haben Lesetipps für Sie, Frau Fester!

Von Elke Schlinsog und Kolja Mensing · 27.06.2018
Unsere Buchberater haben maßgeschneiderte Leseempfehlungen für Sie: Diesmal hat die pensionierte Lehrerin Marita Fester uns um einen Buchtipp gebeten. Sie mag die "Känguru-Chroniken", das hat sie unseren Literaturredakteuren verraten.

"Wenn man sich auf hohem Niveau richtig schlapp lachen möchte"

Marita Fester, 70 Jahre, pensionierte Lehrerin aus Mönchengladbach:
"Ich bin Marita Fester aus Mönchengladbach, 70 Jahre alt. Als pensionierte Lehrerin habe ich mich in letzter Zeit durch einen Wust an Büchern gelesen, die sich mit den politischen und wirtschaftlichen Missständen beschäftigen. Ich hatte dabei immer das Gefühl, dass ich immer trauriger wurde. Ein schönes Gegenmittel waren dabei die "Känguru-Chroniken" von Marc-Uwe Kling. Zuerst habe ich das Hörbuch "Quality Land" gehört, als ich dann von den "Känguru-Chroniken" hörte, habe ich sie mir sofort zugelegt: Das ist hochintelligenter Spaß vom Allerfeinsten! Wenn man sich auf hohem Niveau richtig schlapp lachen möchte, welche Bücher können Sie empfehlen?"

Empfehlung von Elke Schlinsog:

Ich empfehle: Wolf Haas. Auch für den österreichischen Autor entstehen die besten Geschichten dann, wenn man im entscheidenden Moment die Ideallinie verlässt und die richtigen Fehler macht. Ähnlich dem vorlauten Känguru von Marc-Uwe Kling, mit seinen linksradikalen Ansichten und knallroten Boxhandschuhen immer konfliktbereit, verlassen auch die eigenwilligen und widerwilligen Figuren bei Wolf Haas gern die Ideallinie des Gewohnten. So auch in seinem Buch mit kuriosen Titel "Das Wetter vor 15 Jahren". Es ist mehr als eine Liebesgeschichte, ein irrsinnig komisches Glanzstück.
Vier Tage lang lässt er eine "Literaturbeilage" mit einem Autor, der auch noch Wolf Haas heißt, ins Gespräch kommen. Schon allein die Idee ist großartig, eine Literaturbeilage reden und in jedem dritten Satz das Füllwort "irgendwie" verwenden zu lassen. Aber dazu wird uns in diesen meisterlichen Dialogen und Wortgefechten eine skurrile Liebesgeschichte erzählt: von einem jungen Mann, der zwar alle täglichen Wetterlagen der letzten 15 Jahre aus dem Ort seiner Geliebten auswendig weiß, aber mit seiner Geliebten nicht sehr weit kommt. Das ist große Satire, beispielhaft, wenn Wolf Haas beim Anblick des verliebten Mannes, der gedrängt im VW Käfer dicht an seine gelbe Gummi-Luftmatratze gequetscht ist, die "Literaturbeilage" nach der phallischen Symbolik der Luftmatze fragen lässt.
Cover von Wolf Haas: "Das Wetter vor 15 Jahren"
Cover von Wolf Haas: "Das Wetter vor 15 Jahren"© dtv Verlag
Hochkomisch und aberwitzig, am Anfang noch viel österreichische Experimentierlust, dann wird es Billy-Wilder-haft turbulent. Auch bei Wolf Haas kann man, ähnlich wie bei Marc-Uwe Kling, als Leser kreativ völlig freidrehen und am Ende doch bei einer hellsichtigen Gesellschaftskritik rauskommen.

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren
dtv Verlag, Hamburg 2006
224 Seiten, 9,90 Euro

Empfehlung von Kolja Mensing:

Ich muss zugeben: Ich gehöre nicht zu den total fanatischen Marc-Uwe-Kling-Fans (obwohl es auch in unserer Redaktion einige von ihnen gibt). Aber der Wahnsinnserfolg der "Känguru-Chroniken" interessiert mich natürlich: Warum lieben alle diese Bücher?
Ich habe da eine Vermutung. Ich glaube nämlich, dass wir Leser und Leserinnen unter einer Art Wiederholungszwang leiden. Wir sind ständig auf der Suche nach Büchern, die uns zurück an die Urszenen unserer Lesebiografie führen – zurück zu Erfahrungen, die wir gemacht haben, als wir das erste Mal tief in eine Geschichte eingetaucht sind. Und dieses superdreiste, aschenbecherklauende und antikapitalistische, rumrandalierende Känguru weckt natürlich Erinnerungen an ein freches kleines Mädchen aus Schweden: an Pippi Langstrumpf. Und ich wette, dass Marita Fester als Kind die Bücher von Astrid Lindgren gelesen hat.
Das Problem ist nur: Man kann so viele Krummelus-Pillen schlucken, wie man will - wir werden nie wieder acht Jahre alt sein, es gibt kein Zurück in die Villa Kunterbunt. Aber es gibt eben Bücher wie die "Känguru-Chroniken", die uns einen Hauch dieses ersten, rebellischen Geschichtenzaubers zurückbringen.
Cover von Wolfgang Herrndorf: "Tschick"
Cover von Wolfgang Herrndorf: "Tschick"© Rowohlt
Und manchmal hat man Glück und muss gar nicht lange danach suchen. Ein Roman, der fast schon zu den Klassikern der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur gehört, ist "Tschick" von Wolfgang Herrndorf. Zwei Teenager: Maik, der aus begüterten Verhältnissen kommt, und Andrej, genannt Tschick, der in einer Trabantenstadt in Ostberlin aufgewachsen ist, und gewissermaßen die Rolle des Kängurus spielt. Er macht all das, was Maik sich nicht traut. Gemeinsamen schaukeln die beiden in einem geklauten Auto quer durch Deutschland – so wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn damals in einem dieser anderen Sehnsuchts-Romane unserer Kindheit in einem Floß über den Mississippi fuhren. Also: "Tschick". Das ist meine Empfehlung.

Wolfgang Herrndorf: Tschick
Rowohlt Verlag, Hamburg 2012
256 Seiten, 9,99 Euro

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