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Die Schöpfungsmythen der Retorten-Menschen

Von Gertrud Lehnert · 07.04.2014
Im dritten Teil von Margaret Atwoods Endzeit-Trilogie muss sich eine im Labor erschaffene menschliche Spezies gegen Verbrecher und genmanipulierte Schweine behaupten. Der Roman zeichnet nach, wie sie sich eine Art Religion erschafft.
"Die Geschichte von Zeb" ist der dritte Band von Margaret Atwoods Endzeit-Trilogie. Man kann ihn aber auch einzeln lesen, denn alles, was in den vorhergehenden Bänden "Oryx und Crake" und "Das Jahr der Flut" geschieht, wird am Anfang des neuen Romans zusammengefasst.
Der Roman führt alle Handlungsstränge und Personen, die in den beiden vorangehenden Romanen geschildert wurden, zusammen. Das Setting: Technologie und Wissenschaft sind aus dem Ruder gelaufen. Die Welt ist durch eine biotechnologisch erzeugte Seuche entvölkert worden. Nur wenige Menschen haben überlebt, etliche genmanipulierte und nun gefährliche Tierarten – und eine gentechnisch vom genial-größenwahnsinnigen Wissenschaftler Crake geschaffene menschliche Spezies. Friedliebend und vollkommen bedürfnislos, sind die Craker der Gegenentwurf zu der Menschheit, die die Erde ausgebeutet und schließlich zugrunde gerichtet hat.
Eine grüne, pazifistische Religionsgemeinschaft
Hauptfiguren des Romans sind Zeb und Toby, die früher zu den Gottesgärtnern gehörten, einer grünen, pazifistischen Religionsgemeinschaft, die vor der Seuche Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse leistete, indem sie auf den Dächern der Städte ihre Gärten anlegte und umweltverträglich und nachhaltig zu leben versuchte. Toby lebt nun mit einigen anderen Überlebenden in einem Lehmhaus. Die kleine Gemeinschaft wird zusammengeschweißt durch den Überlebenskampf, den Kampf gegen marodierende Verbrecher und genmanipulierte Schweine. Toby versorgt die Pflanzen und die Bienen, braut Heiltränke und liebt Zeb, den sie nach langer Zeit wieder getroffen hat. Zeb hat ein abenteuerliches Leben auf der Flucht vor seinem mörderischen Vater hinter sich. Er musste ständig seine Identität ändern und untertauchen.
Ein Mythos entsteht
Während es in den vorher gehenden Bänden um die Zerstörung der Welt und die Folgen ging, ist das wichtigste Thema des dritten Romans das Erzählen von Geschichten. Einerseits enthüllt Zeb im Roman nach und nach seine Lebensgeschichte. Andererseits – und das ist das eigentlich aufregende Thema – wird die Entstehung von Mythen zum Gegenstand des Romans. Die kindgleichen Craker haben eine verklärte Erinnerung an ihre Erschaffung und sie verehren ihren toten Schöpfer Crake wie einen Gott. Sie bestehen darauf, dass Toby ihnen die Geschichte der Schöpfung wieder und wieder erzählt, und zwar im Rahmen dessen, was sie zu wissen meinen und was sie verstehen können. So kontrastiert der Roman den konkreten alltäglichen Überlebenskampf der Menschen mit dem voranschreitenden Prozess der Mythenbildung in den Erzählungen für die Craker. Obwohl Toby weiß, dass Crake die Menschheit zerstörte, um die Welt zu retten, sieht sie sich genötigt, die tatsächlichen Ereignisse in eine verklärende Schöpfungsgeschichte umzuwandeln und damit die Gegenwart in einen kohärenten erzählerischen Zusammenhang zu bringen. So entsteht ein umfassender Mythos, der das Bild prägen wird, das künftige Generationen von der Welt haben werden. Am Ende ist es ein Crakerkind, das lernt, die Geschichten aufzuschreiben. Es sind die Craker, denen die Zukunft gehört.

Margaret Atwood: Die Geschichte von Zeb
Aus dem Englischen von Monika Schmalz
Berlin Verlag 2014
480 Seiten, EUR 22,99

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