Deutsche und griechische Kommunen im Austausch

Ulrich Maly im Gespräch mit Britta Bürger · 22.10.2013
Unter dem Spar-Diktat, dem eingebrochenen Konsum und den Folgen der Arbeitslosigkeit leiden auch die griechischen Kommunen. Nach Einschätzung von Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly brauchen die Griechen nun aber keine Belehrungen, sondern Praxishilfen. Und umgekehrt könnten sie anderen Tipps geben, wie man harte Zeiten übersteht.
Britta Bürger: Die Deutsch-Griechische Versammlung tagt derzeit in Nürnberg. Gastgeber ist der Präsident des Deutschen Städtetages, Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly. Schönen guten Tag, Herr Maly!

Ulrich Maly: Guten Tag!

Bürger: Nürnbergs Partnerstadt in Griechenland, das ist Kavala in Nord-Griechenland. Dort hat sich vermutlich – wie überall in Griechenland – unter dem Spardruck der Troika die Situation jetzt massiv verschlechtert. Was berichtet Ihnen der Bürgermeister von Kavala? Welche Probleme machen ihm am meisten zu schaffen?

Maly: Also die Kollegen berichten schon seit geraumer Zeit über eine Verschlechterung der Situation, insbesondere in der öffentlichen Infrastruktur. Das geht vom Feuerschutz los und endet leider nicht bei der Frage stationäre Gesundheitsversorgung. Das war eigentlich schon vor der Eurokrise so. Zu Beginn dann der Euroschuldenkrise sind Kontakte nur noch telefonisch gewesen, weil die alle gesagt haben, wir können jetzt nicht weg, wir können uns keine Reisekosten leisten, niemand würde verstehen, wenn wir verreisen.

Also es ist tatsächlich so, dass der Druck extrem groß ist und dass die Basisanforderung, die die Menschen berechtigterweise an ihre Stadt stellen – nämlich, dass die Infrastruktur funktioniert, dass man in der Lage ist, geregeltes öffentliches Leben aufrecht zu erhalten –, dass die durchaus gefährdet ist.

""Genau das nicht tun: als Lehrmeister auftreten""

Bürger: Es wird ja höchst ungern gesehen, wenn die Deutschen in Europa, insbesondere in Griechenland, als Lehrmeister auftreten. Wie haben Sie aber und viele Ihrer Bürgermeisterkollegen es geschafft, dass Beratung und Unterstützung aus Deutschland angenommen wird?

Maly: Weil wir eben genau das nicht tun: als Lehrmeister auftreten. Erhobenen Zeigefinger mit drohendem Unterton haben die Griechen genug erlebt. Wir drängen uns nicht auf, wir bieten auf kommunaler und kollegialer Ebene an, dass man sich bei uns informiert: Wie lösen wir die Probleme in der Abfallwirtschaft? Wie lösen wir die Probleme in der dualen Ausbildung, bezogen auf Verwaltung und Administration? Wie administrieren wir die Grundsteuer? Ganz simple Dinge, ohne diesen Gedanken "Wir wissen, was besser für euch ist!". Also: sehr demütig auftreten, gerade im Gegensatz zu dem, wie die Bundespolitik sich verhalten hat.

Bürger: Aber haben Sie auch Vorbealte erlebt? Griechen verweisen ja gern auf ihre andere Mentalität, darauf, dass sie gar nicht so straff funktionieren können und auch nicht wollen wie viele Deutsche.

Maly: Ja, aber ich glaube, es kann auch nicht drum gehen, dass wir aus den Griechen jetzt die besseren Preußen machen. Die Mentalitätsunterschiede sind so. Trotzdem muss der, der reich ist, seine Steuern bezahlen, egal ob Vermögens- oder Einkommenssteuer, und der, der Grundbesitz hat, auch. Da geht es nicht um die Frage von Mentalitätsunterschieden, sondern sicherlich um die Frage, wie vor Ort erstens Administration gut funktioniert und vor allem auch die Infrastruktur einer Dienstleistungsgesellschaft hergestellt werden kann. Das sind Finanzierungsfragen, das sind aber auch ganz praktische Fragen. Also ich denke, dass es auch hier nicht darum geht, dass am deutschen Wesen irgendwer genesen soll, sondern dass es einfach darum geht, Erfahrungen auszutauschen. Und es ist ja nicht so, dass wir nicht auch von den Griechen lernen könnten. Das ist immer ein wechselseitiger Prozess.

Bürger: Ja? Zum Beispiel – was können Sie lernen von Ihren griechischen Kollegen?

Maly: Vielleicht manches an der Mentalität, dass bestimmte Probleme mit größerer Gelassenheit angegangen werden als bei uns, wo alles gleich skandalisiert wird, vielleicht auch vom Improvisationstalent, dass ich in unserer Partnerstadt durchaus schätzen gelernt habe, dass nicht immer alles perfekt sein muss, Hauptsache, ein Problem wird angegangen und gelöst. Das sind immer wechselseitige Prozesse des Lehrens und des Lernens.

Bürger: Die Deutsch-Griechische Versammlung setzt also auf eine Zusammenarbeit von unten. Sie haben schon ein paar konkrete Beispiele genannt, das duale Ausbildungssystem – das wird jetzt umgesetzt zum Beispiel am Aufbau von Berufsschulen, die es in Griechenland so noch gar nicht gibt, für Hotelberufe. Deutschland hat für den Aufbau der Freiwilligen Feuerwehr Autos nach Griechenland geschickt.

Maly: Ja.

Bürger: Das sind ganz konkrete Beispiele. Wie bringt sich Ihre Stadt, wie bringt sich Nürnberg ein, wie versuchen Sie, konkret zu helfen?

Maly: Also im Grunde ganz genauso. Wenn Sie auf der Insel Tassos, die zu Kavala gehört, Ferien machen und es brennt bei Ihnen, dann kommt die Feuerwehr mit großer Sicherheit in einem Nürnberger Auto angefahren, um zu löschen. Wir haben Experten in Sachen Müllverbrennung und Abwasser ausgetauscht. Und wir sind im intensiven Gespräch mit den Kollegen über alle möglichen Dinge, unter anderem auch über die Frage – es gibt dort ein großes öffentliches Hospital –, ob man nicht gegenseitige Praktika machen kann in der Ärzteausbildung und so weiter, also ganz praktisch, ganz vor Ort, richtig dort, wo die Probleme sind, und nicht irgendwo auf der theoretischen Ebene.

""Auf einer anderen Ebene unterwegs, nämlich auf der ganz pragmatischen""

Bürger: Ulrich Maly, der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, hat gerade 400 Leute aus Deutschland und Griechenland zu Gast, von Kavala im Norden bis Kreta im Süden: Die griechischen Bürgermeister suchen den Austausch mit Fachleuten aus Deutschland, um die vielfältigen Probleme ihrer Kommunen in den Griff zu bekommen. Es ist ja ein offenes Geheimnis, Herr Maly, dass in den griechischen Kommunen Arbeitsplätze nicht unbedingt immer mit den besten Bewerbern besetzt werden, sondern viel Vetternwirtschaft mit im Spiel war und auch noch ist. Wird über so 'was inzwischen offen gesprochen?

Maly: Über so was ist schon immer offen gesprochen worden. Sie glauben gar nicht, wie offen im Rahmen kommunaler Städtepartnerschaften über Probleme gesprochen wird. Das ist eine, muss man jetzt leider sagen, eine alte griechische Tradition, dass immer die, die jeweils die Mehrheit haben, dann auch die Funktionärsposten in der Beamtenschaft besetzen, was jetzt bei uns in Deutschland auf Beamtenebene eher undenkbar ist, zumindest in der Masse, in der kommunalen sowieso, auf Bundesebene ist es möglicherweise ein bisschen anders bei den politischen Beamten. Aber das ist schon auch Teil der politischen Kultur. Auch das Thema große Koalition, um das es in Deutschland ja jetzt wieder geht, ist für Griechen völlig unverstellbar, dass Pasok und Nea Dimokratia zusammenarbeiten. Das hat man ja gesehen bei den Ereignissen vor zwei Jahren: Das war eine politisch-administrative Kulturgrenze. Da sind wir nicht die, die denen sagen, wie es richtig geht. Wir sind auf einer anderen Ebene unterwegs, nämlich auf der ganz pragmatischen.

Bürger: Sie selbst haben auf der Konferenz der Deutsch-Griechischen Versammlung über die Stadt der Zukunft gesprochen. Welche Gedankenanstöße wollen Sie Ihren griechischen Kollegen jetzt mit auf den Weg geben, ohne die Leute zu frustrieren? Denn vieles, was wir uns hier überlegen, das könnte in griechischen Ohren nach einer wirklich noch unerreichbaren Utopie klingen.

Maly: Nein, das heißt ja nicht, dass man die Stadt der Zukunft beschreibt, um dann damit zu schließen, dass man stolz behauptet, man hätte sie schon, sondern das geht zunächst mal, glaube ich, um die Hauptherausforderungen, die es zu beschreiben gilt. Wir verdanken letztlich den Griechen die europäische Stadt in ihrem jetzigen Modell, die erste Demokratie, die ersten demokratischen Ansätze waren die Verhandlungen der Bürger auf der Agora, wo es darum ging: Was ist der Stadt Bestes? Und dieses europäische Stadtmodell ist eines, auf das wir heute noch alle zusammen stolz sind. Und wir können aber dort gemeinsame Herausforderungen beschreiben, die, glaube ich, für alle gelten. Das ist die Frage: Wie gut muss die Infrastruktur sein? Wie gehen wir mit demografischen Entwicklungen um? Wie gehen wir mit Binnenwanderungen um? Wie gehen wir damit um, dass in Griechenland zum Beispiel ein Braindrain droht, wenn die ganze Jugend, die keinen Job kriegt, das Land verlässt? Und so wird es am Ende mehr Gemeinsamkeiten in der Problembearbeitung geben, als jetzt hier auch wieder die Frage: Erzählt man den anderen ein Stück von einem Schlaraffenland, das ja auch wir noch lange nicht erreicht haben werden?

Bürger: Mittlerweile haben die Stiftungen aller Parteien des Deutschen Bundestages in Griechenland wieder eigene Büros aufgemacht, und auch jetzt in Nürnberg veranstalten die Stiftungen jede Menge Exkursionen für die Gäste aus Griechenland.

Maly: Ja.

""Die Lehren ziehen die griechischen Kollegen dann schon selber""

Bürger: Was hat Ihre Stadt, wenn man das so sagen kann, vorzuzeigen?

Maly: Ganz normale Dinge: Wir haben eine relativ neue Müllverbrennungsanlage, die kein Ferrari ist, sondern eher ein Golf Diesel, und seit zehn Jahren gut vor sich hinbrummt; wir investieren wie alle deutschen Städte ins Abwasser; wir haben in den fränkischen Weinbaugebieten eine große Erfahrung mit Direktvermarktung – und, und, und. Also wir versuchen einfach, das, was es bei uns in der Region gibt, zu zeigen. Die Lehren ziehen die griechischen Kollegen dann schon selber draus.

Bürger: Was können deutsche und griechische Bürgermeister in Zeiten der Krise voneinander lernen? Ulrich Maly, Nürnbergs Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages, hat uns von seinen Erfahrungen berichtet, während in Nürnberg noch bis morgen die Deutsch-Griechische Versammlung tagt. Herr Maly, herz…

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