"Es ist nicht so, dass alle Deutschen einfach die Griechen abgeschrieben haben"

Petros Markaris im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 27.08.2013
Der griechische Schriftsteller Petros Markaris sieht die Gefahr einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Griechen - und ist besorgt. Man dürfe die schwierigen Zeiten nicht zum Anlass nehmen, das Verhältnis zwischen den Völkern und den Ländern zu zerstören.
Matthias Hanselmann: Die Mutter des Athener Kommissars Kostas Charitos ist glücklich. Sie hält einen 1000-Drachmen-Schein in der Hand. Ihre Tochter sagt: Mama, mit dem Tausender kannst du nicht mal mehr einen Kaffee bezahlen. Gleich zu Beginn des neuen Romans von Petros Markaris wird die Drachme wieder eingeführt. Er spielt im Jahr 2014.

"Abrechnung" heißt das Werk, und erneut ist es Kommissar Charitos, der uns das aktuelle Griechenland vor Augen führt und Verbrechen aufdeckt, deren Ursprünge in der Geschichte des Landes zu finden sind. Petros Markaris ist ehemaliger Ökonom, jetzt einer der international erfolgreichsten griechischen Autoren. Markaris hat in Deutschland, Österreich und der Türkei studiert und lebt in Athen. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob er auch gern die Drachme wiederhaben möchte, was ja sogar Fachleute vorgeschlagen haben!

Petros Markaris: Wenn Sie den Roman lesen, dann werden Sie sehen, dass, was der Roman beschreibt, das Leben, das der Roman beschreibt, mit der Drachme ein Desaster ist und eine Tragödie. Ich bin nicht der Meinung, dass die Lösung in Griechenland mit der Drachme kommen wird, man braucht andere, sagen wir, Auswege.

Aber, weil darüber so stark diskutiert wird - und ich höre diese Diskussion nicht nur in Griechenland, ich höre sie auch in Spanien, ich höre sie auch in Italien -, hat man gesagt, machen wir doch eine Arbeitshypothese: Was würde, wenn? Und so ist der Roman entstanden.

Hanselmann: Ich habe ihn übrigens gelesen. Es ist ja so, dass trotzdem die Drachme eine … Es haftet ihr eine gewisse Nostalgie an, die Menschen in Griechenland glauben, wenn sie die Drachme wieder haben, haben sie ein Stück von ihrem alten Leben wieder. Können Sie das nicht nachvollziehen?

Markaris: Das trifft zu für eine Generation, die mit der Drachme gelebt hat und mit der Drachme in Armut gelebt hat. Diese Nostalgie besteht schon in dieser Generation, angeknüpft an, sagen wir, eine Art Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und eines, sagen wir, ehrlichen Lebens. Und das sieht man bei diesen alten Leuten auch heute noch. Ich glaube aber nicht, dass die neue Generation, wenn man ihr den Euro weggenommen hat, irgendetwas anderes spüren wird als Panik.

Hanselmann: Ihr langjähriger Romanheld Kostas Charitos muss mit einer dreimonatigen Gehaltssperre leben, das erfährt er gleich am Anfang des Romans. Daraufhin beschließt Adriani, seine Frau, der Sache ins Auge zu sehen. Erzählen Sie uns, wie Adriani und ihre Familie auf diese Gehaltssperre reagieren!

"Wir sparen an allem, damit wir überleben können"

Markaris: Adriani kommt aus ganz armen Umständen. Und sie ist eine Überlebenskünstlerin. Sie weiß, was sie tun muss, um zu überleben. Diese Generation wusste das ganz genau. Und sie war auch ein Meister darin. Und Adriani sagt, nur eine Familie kocht für alle Mitglieder der Familie, und die Tochter und ihr Mann kommt zu uns und essen mit uns, Eintopf kostet weniger, und wir sparen, wir sparen am Auto, wir sparen an allem, damit wir überleben können. Das ist so wie Brecht bei Herrn Keuner sagt, man muss ganz klein werden, um das Gewitter zu überleben. So machen sie es.

Hanselmann: Und Kommissar Charitos überlegt sogar, seinen alten Seat zu verkaufen und in Zukunft mit dem Bus zum Revier zu fahren. Das ist eine ganz …

Markaris: Er macht es auch.

Hanselmann: Er macht es dann auch. Welche Rolle spielen Werte wie Familienzusammengehörigkeit und das, was Sie eben beschrieben haben, heute in der griechischen Realität?

Markaris: In Großstädten weniger, in Kleinstädten, in Dörfern und kleineren Gemeinden eine große Rolle. Die Familien halten zusammen in solchen kleineren Gemeinden, und die helfen sich gegenseitig aus. Das ist in Großstädten nicht so stark der Fall, aber auch Kleinstädte, die ich viele kenne, in solchen Städten halten die Leute und vor allem die Familien zusammen. Das gibt es immer noch.

Hanselmann: Nicht zum ersten Mal, Herr Markaris, spielen in dem Buch "Abrechnung" Menschen eine große Rolle, die vor fast 40 Jahren Helden waren, die gegen die Militärjunta rebelliert haben, besonders die Studenten des Athener Polytechnions taten sich ja darin hervor, ihr Proteststreik von November 1974 ist ja legendär. Ich möchte jetzt nicht allzu viel von der Geschichte Ihres Romans verraten, aber sie kommen jedenfalls nicht gut weg, die alten Helden. Sie haben nach der Beseitigung der Junta auf der neu gewonnenen Demokratie ihr Süppchen gekocht, sind reich geworden. Wie stark entspricht das der Realität in der griechischen Geschichte?

Markaris: Es entspricht der Realität stark insofern, dass, als der Teil dieser Generation den öffentlichen Bereich besetzt hat, große, grobe Fehler gemacht hat und auch, sagen wir, seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt hat. Das ist eine Wahrheit. Und sie tragen eine große Verantwortung dafür, dass das Land heute so stark leidet und sich in einer ausweglosen Situation befindet.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem griechischen Autor Petros Markaris, der auch in seinem neuen Kriminalroman "Abrechnung" wieder ein Gesellschaftsbild seines Landes zeichnet. An einer Stelle in Ihrem Buch heißt es, Bestechungsgeld bleibt unsere nationale Währung, Herr Markaris! Ist das immer noch so, oder haben Sie ein Umdenken bei vielen Griechen feststellen können durch die Krise?

Markaris: Ich weiß nicht, ob das Umdenken ist oder einfach Geldknappheit, ich kann mich nicht entscheiden. Vielleicht ist, sagen wir, diese Bestechung zurückgegangen, weil es kein Geld mehr gibt.

"Ich wollte mit Uli eben ein Beispiel setzen"

Hanselmann: Dann kommt noch ein zweiter Punkt, den ich interessant fand in Ihrem Buch, ausgerechnet ein sehr sympathischer Deutscher namens Uli taucht in Ihrem Roman auf.

Markaris: Ja!

Hanselmann: Sie selbst haben ja mal in Deutschland gelebt, haben hier studiert, wie ja auch in Wien. Wie nehmen Sie das Verhältnis von Griechen zu Deutschen heute wahr, ist der nette Uli so eine Art Versöhnungsangebot an Ihre deutschen Leser?

Markaris: Ich wollte eben den Griechen zeigen, dass es auch Deutsche gibt wie der Uli, die sehr sympathisch sind, die sich verlieben können, die auch, sagen wir, immer Auswege finden, die nicht unbedingt besser wären in Griechenland als in Deutschland (…). Und ich wollte den Griechen zeigen, wissen Sie, solche Leute gibt es überall auf der Welt, in jeder Nation. Man muss nicht das so pauschalisieren, dass man sagt, alle Deutschen hassen uns oder alle Deutschen sind Nazis, und man muss das auch auf der anderen Seite nicht pauschalisieren und sagen, alle Griechen sind Faulpelze und korrupt. Ich wollte mit Uli eben ein Beispiel setzen.

Hanselmann: Sie sind eben emotional geworden in Ihrer Stimme, ich habe es deutlich gehört.

Markaris: Ja.

Hanselmann: Wie emotional ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen aus der Sicht der Griechen heute noch, sind die Emotionen weniger geworden?

Markaris: Die Spannung hat bis jetzt nachgelassen. Und jetzt kommt wieder diese ganze Geschichte mit dem dritten Hilfspaket, und ob man dieses Hilfspaket braucht, ob man es gewähren soll oder nicht, es ist noch, sagen wir, wankelbeinig in Deutschland, und ich habe in Griechenland vor allem eine große Angst, wenn solche Situationen entstehen.

Hanselmann: Gerade wurde bekannt, Sie haben es angesprochen, noch mal über zehn Milliarden Euro, es heißt, diesmal ohne jegliche Auflagen. Über 12.000 Stellen sollen gestrichen werden im öffentlichen Dienst. Da ist Ihr Buch höchst aktuell.

Herr Markaris, morgen erhalten Sie vom Goethe-Institut die Goethe-Medaille, eine offizielle Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland. Im Text zur Verleihung heißt es, er vermittelt ein authentisches Bild von Griechenland und ist zugleich in seiner Heimat ein ehrlicher Anwalt Deutschlands. Wie, Herr Markaris, sieht Ihre Arbeit als Anwalt Deutschlands in Ihrem Alltag in Griechenland aus?

""Es gibt Deutsche, die Griechenland sehr lieben""

Markaris: Ja, indem ich immer, fast täglich, den Griechen zu erklären versuche, dass eben die Deutschen ein Volk sind, das klar denkt und das keine Vorurteile unbedingt gegen Griechenland hat, und dass es Leute gibt, die klar denken in Deutschland und Griechenland auch lieben. Und man sollte nicht die schwierigen Zeiten zum Anlass nehmen, dass das Verständnis zwischen den Völkern und den Ländern zerstört wird.

Es gibt Deutsche, die Griechenland sehr lieben, sehr verteidigen und sehr leiden, dass es den Griechen so schlecht geht. Es ist nicht so, dass alle Deutschen einfach die Griechen abgeschrieben haben, und versuche zu erklären, dass man klar denken muss, dass man nicht alles auf eine emotionale Basis bringt und darüber entscheidet.

Hanselmann: Sie haben am Anfang gesagt, die Drachme ist es nicht, es müssen andere Dinge passieren. Was sind denn aus Ihrer Sicht Optionen für eine bessere Zukunft Griechenlands?

Markaris: Dass die Griechen endlich einmal verstehen und ganz offen zugeben, was sie - und ich meine nicht sie persönlich, sondern die politische Klasse und ihre ganze Institution - falsch gemacht haben. Und was der Preis für diesen falschen, fiktiven Reichtum war. Einerseits. Zweitens, dass die Griechen mal verstehen, dass eine schwierige Situation nur durch schwierige Entscheidungen wieder gut gemacht werden kann und dass man dazu Zeit braucht. Es geht nicht von heute auf morgen.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eine griechische Fahne weht vor dem Parlamentsgebäude in Athen im Wind.
Wie gefährdet ist das deutsch-griechische Verhältnis?© AP
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