Der emanzipierte Mann
16-Stunden-Tage sind eine Disziplin in der Kampfsportart "Gehobenes Management". Maximal lange zu arbeiten und enorm viel Geld zu verdienen, scheint noch immer ein Hauptziel vieler Männer zu sein. Nicol Ljubic wollte das nicht mitmachen - und hat sich für einen anderen Weg entschieden.
Es klang verlockend. Dir werden die Herzen der Frauen zufliegen, sagte meine Freundin, Du wirst sehen, Du wirst zum Frauenschwarm. Dafür müsste ich nur: Vater werden. Und als Vater für meine Kinder da sein. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dachte ich. Aber damals, vor zehn Jahren, war es offenbar doch nicht so selbstverständlich. Oder einfach nur ein guter Trick meiner Freundin.
Um es vorweg zu nehmen: Ich bin in den ersten Jahren oft mit meinem Sohn tagsüber auf den Spielplatz gegangen und nicht selten war ich wirklich der einzige Vater unter lauter Müttern. Angebaggert hat mich deswegen aber keine der Mütter. Schade, eigentlich. Seitdem hat sich auch auf den Spielplätzen einiges getan, zumindest in der Gegend, in der ich wohne: Berlin, Prenzlauer Berg. Es wird zwar viel gespottet über junge Familien, Kinderyoga und Bugaboos, aber immerhin: Hier sind Väter, die tagsüber mit ihren Kinder buddeln, keine seltene Spezies mehr.
Meine beiden Söhne sind mittlerweile zehn und acht, für sie ist es ganz selbstverständlich, dass Papa zuhause ist, wenn sie aus der Schule kommen. Von Anfang an haben meine Freundin und ich uns gleichberechtigt um die Jungs gekümmert. Dass wir beide Freiberufler sind, macht es leichter.
In all den Jahren ist mir eines klar geworden: Zeit zu haben, ist ein Luxus, für den ich gern auf Geld und Karriere verzichte. Erfolgreiche Männer reden gern über ihre 16-Stunden-Tage und darüber, dass sie mit ein paar Stunden Schlaf auskommen und trotzdem Zeit haben für ihre Kinder: am Telefon oder per Skype. Ich wundere mich jedes Mal, dass ihnen dafür Respekt und Bewunderung entgegen gebracht wird. Ich denke: die armen Männer. Und frage mich: Was ist das für eine Gesellschaft, die solche Männer für Leistungsträger hält?
Ich glaube, dass viele dieser Männer gar nicht so unglücklich darüber sind, weit weg zu sein vom Familien-Alltag. Auch ich wünsche mich manchmal weit weg. Wenn es darum geht, dass die Schulaufgaben endlich gemacht werden, wenn es Tränen gibt, weil in der Soße Tomatenstückchen sind und wenn man sich als Vater abends in ein Rumpelstilzchen verwandelt, weil der Satz »Putzt Euch bitte die Zähne« in der Kindersprache nicht existiert.
Seit ich Kinder habe und den Alltag mit ihnen lebe, habe ich mehr Respekt vor Alleinerziehenden als vor Managern, die für ihre 16-Stunden-Tage bewundert werden wollen. Väter und Mütter, die ihre Kinder allein großziehen, und das rund um die Uhr und manchmal Jahre lang, können über gehetzte Manager nur müde lächeln. Ich weiß, wovon ich spreche. In letzter Zeit hatte meine Freundin beruflich viel zu tun, sie war oft unterwegs, so dass ich manchmal Tage, manchmal Wochen allein mit den Jungs war. Und irgendwann kam ich immer an den Punkt, dass ich die Jungs vor der Glotze parkte, weil ich keine Kraft mehr hatte. Und mir sehnlichst die Rückkehr der Mutter wünschte.
Zum Alltag mit Kindern gehört nämlich auch: Frühstück machen, einkaufen, putzen, saugen, Müll wegbringen, kochen, Wäsche waschen, Betten beziehen, aufräumen und noch vieles mehr. Alles Dinge, die mein Vater nie gemacht hat.
Ich kann mich an ein einziges Mal erinnern, dass er für ein paar Tage allein war mit mir als Kind. Meine Mutter aber hatte vorgekocht, im Kühlschrank standen lauter Töpfe, sogar der Tisch war gedeckt, und ich weiß gar nicht mehr genau, ob er das benutzte Geschirr dann in die Maschine geräumt oder einfach in die Spüle gestellt hat. Für ihn ist es nicht leicht, mit ansehen zu müssen, wie sein Sohn kocht und die Kinder versorgt. Das merke ich, wenn meine Eltern zu Besuch sind. Einmal hat er gesagt: Aus meinem Sohn ist eine Hausfrau geworden. Auch meine Mutter macht sich Sorgen, wenn ich allein bin mit den Jungs. »Kommst du überhaupt noch zum Arbeiten?«, fragt sie dann. Sie hält nichts davon, dass meine Freundin schön in der Welt herumreist und mich mit den Kindern allein lässt.
Denn so etwas hätte es früher nicht gegeben. Ich allerdings bin sehr froh darüber, dass so etwas heute viel selbstverständlicher ist, auch wenn es für mich als Mann früher bequemer gewesen wäre: Kaum jemand hätte erwartet, dass ich Geld verdiene und für die Kinder da bin.
Die Gesellschaft ist glücklicherweise weiter. Das zeigt sich auch darin, dass ein Vater, der sich um seine Kinder kümmert, nicht gleich zum Frauenschwarm wird. Weil er längst nicht mehr der einzige ist. Aber leicht wird es ihm nach wie vor nicht gemacht. Auch der Mann muss sich nämlich entscheiden: zwischen Karriere und Kindern.
Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren. Als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland und Russland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg.
Seit 1999 lebt Ljubic als freier Journalist und Autor in Berlin. 2012 gab er die Anthologie "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!" heraus, in der deutsche Autoren mit "Migrationshintergrund" über ihre Erfahrungen in Deutschland schreiben. Darunter: Herta Müller, Zsuzsa Bank, Ijoma Mangold und Irene Dische. Im Herbst 2012 erschien bei Hoffmann und Campe sein jüngster Roman: "Als wäre es Liebe".
Um es vorweg zu nehmen: Ich bin in den ersten Jahren oft mit meinem Sohn tagsüber auf den Spielplatz gegangen und nicht selten war ich wirklich der einzige Vater unter lauter Müttern. Angebaggert hat mich deswegen aber keine der Mütter. Schade, eigentlich. Seitdem hat sich auch auf den Spielplätzen einiges getan, zumindest in der Gegend, in der ich wohne: Berlin, Prenzlauer Berg. Es wird zwar viel gespottet über junge Familien, Kinderyoga und Bugaboos, aber immerhin: Hier sind Väter, die tagsüber mit ihren Kinder buddeln, keine seltene Spezies mehr.
Meine beiden Söhne sind mittlerweile zehn und acht, für sie ist es ganz selbstverständlich, dass Papa zuhause ist, wenn sie aus der Schule kommen. Von Anfang an haben meine Freundin und ich uns gleichberechtigt um die Jungs gekümmert. Dass wir beide Freiberufler sind, macht es leichter.
In all den Jahren ist mir eines klar geworden: Zeit zu haben, ist ein Luxus, für den ich gern auf Geld und Karriere verzichte. Erfolgreiche Männer reden gern über ihre 16-Stunden-Tage und darüber, dass sie mit ein paar Stunden Schlaf auskommen und trotzdem Zeit haben für ihre Kinder: am Telefon oder per Skype. Ich wundere mich jedes Mal, dass ihnen dafür Respekt und Bewunderung entgegen gebracht wird. Ich denke: die armen Männer. Und frage mich: Was ist das für eine Gesellschaft, die solche Männer für Leistungsträger hält?
Ich glaube, dass viele dieser Männer gar nicht so unglücklich darüber sind, weit weg zu sein vom Familien-Alltag. Auch ich wünsche mich manchmal weit weg. Wenn es darum geht, dass die Schulaufgaben endlich gemacht werden, wenn es Tränen gibt, weil in der Soße Tomatenstückchen sind und wenn man sich als Vater abends in ein Rumpelstilzchen verwandelt, weil der Satz »Putzt Euch bitte die Zähne« in der Kindersprache nicht existiert.
Seit ich Kinder habe und den Alltag mit ihnen lebe, habe ich mehr Respekt vor Alleinerziehenden als vor Managern, die für ihre 16-Stunden-Tage bewundert werden wollen. Väter und Mütter, die ihre Kinder allein großziehen, und das rund um die Uhr und manchmal Jahre lang, können über gehetzte Manager nur müde lächeln. Ich weiß, wovon ich spreche. In letzter Zeit hatte meine Freundin beruflich viel zu tun, sie war oft unterwegs, so dass ich manchmal Tage, manchmal Wochen allein mit den Jungs war. Und irgendwann kam ich immer an den Punkt, dass ich die Jungs vor der Glotze parkte, weil ich keine Kraft mehr hatte. Und mir sehnlichst die Rückkehr der Mutter wünschte.
Zum Alltag mit Kindern gehört nämlich auch: Frühstück machen, einkaufen, putzen, saugen, Müll wegbringen, kochen, Wäsche waschen, Betten beziehen, aufräumen und noch vieles mehr. Alles Dinge, die mein Vater nie gemacht hat.
Ich kann mich an ein einziges Mal erinnern, dass er für ein paar Tage allein war mit mir als Kind. Meine Mutter aber hatte vorgekocht, im Kühlschrank standen lauter Töpfe, sogar der Tisch war gedeckt, und ich weiß gar nicht mehr genau, ob er das benutzte Geschirr dann in die Maschine geräumt oder einfach in die Spüle gestellt hat. Für ihn ist es nicht leicht, mit ansehen zu müssen, wie sein Sohn kocht und die Kinder versorgt. Das merke ich, wenn meine Eltern zu Besuch sind. Einmal hat er gesagt: Aus meinem Sohn ist eine Hausfrau geworden. Auch meine Mutter macht sich Sorgen, wenn ich allein bin mit den Jungs. »Kommst du überhaupt noch zum Arbeiten?«, fragt sie dann. Sie hält nichts davon, dass meine Freundin schön in der Welt herumreist und mich mit den Kindern allein lässt.
Denn so etwas hätte es früher nicht gegeben. Ich allerdings bin sehr froh darüber, dass so etwas heute viel selbstverständlicher ist, auch wenn es für mich als Mann früher bequemer gewesen wäre: Kaum jemand hätte erwartet, dass ich Geld verdiene und für die Kinder da bin.
Die Gesellschaft ist glücklicherweise weiter. Das zeigt sich auch darin, dass ein Vater, der sich um seine Kinder kümmert, nicht gleich zum Frauenschwarm wird. Weil er längst nicht mehr der einzige ist. Aber leicht wird es ihm nach wie vor nicht gemacht. Auch der Mann muss sich nämlich entscheiden: zwischen Karriere und Kindern.
Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren. Als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland und Russland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg.
Seit 1999 lebt Ljubic als freier Journalist und Autor in Berlin. 2012 gab er die Anthologie "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!" heraus, in der deutsche Autoren mit "Migrationshintergrund" über ihre Erfahrungen in Deutschland schreiben. Darunter: Herta Müller, Zsuzsa Bank, Ijoma Mangold und Irene Dische. Im Herbst 2012 erschien bei Hoffmann und Campe sein jüngster Roman: "Als wäre es Liebe".

Der Journalist und Autor Nicol Ljubic© Gerrit Hahn