Kann Geld zum Kinderkriegen motivieren?

Von Anna Corves · 14.02.2013
200 Milliarden Euro gibt der Staat jedes Jahr für die Familienförderung aus, aber die Geburtenrate in Deutschland ist nach wie vor die niedrigste unter den europäischen Ländern. Was läuft falsch? Was kann man vielleicht von einer Großfamilie lernen?
Karin Buchbergers Tag ist schon alt: Um halb vier ist sie aufgestanden – zur Frühschicht in einer Nachrichtenredaktion. Jetzt, 14 Stunden später, steht sie am Herd, Hähnchenteile brutzeln in der Pfanne, aufmerksam beobachtet von Tochter Lenja, zwei Jahre alt, die in einem Hochstuhl neben ihrer Mutter sitzt.

"Nicht zu nah an den Herd, das ist es zu heiß, da spritzt das Fett."
"Was ist das Mama."
"Chicken Nuggets werden das."
"Lecker, Mama."

Karin - klein, schlank, sportlich im Jeansrock - wirkt wie der Fels in einer sehr lauten Brandung: Um den Herd und um sie herum toben vier Kinder.

"Ich bin sieben und ich heiße Julis. Ich bin neun und ich heiße Jonne. Ich bin vier. Jorlin. Lenja ist zwei und sie heißt Lenja."

Zur Familie gehören außerdem Sohn Jasper, 16, sowie der 18-jährige Jannick. Sechs Kinder – sind die Buchbergers mal geschlossen draußen unterwegs, löst das fast immer Reaktionen aus. Von der Frage, wie man so eine große Familie wuppt bis zum Kommentar, ob so viele Kinder denn sein müssten. Karin zuckt mit den Schultern:

"Also ehrlich gesagt frag ich mich immer andersrum: warum nicht? Wenn andere wüssten, wie toll das ist, dann hätten alle so viele Kinder, glaube ich. Ich glaube, dass sich die Leute tatsächlich vorstellen, sechs Kinder sind dreimal so viel Arbeit wie zwei Kinder, aber das Gegenteil ist eigentlich der Fall. Wenn das mehr sind, dann spielen die Größeren mit den Kleineren oder die konzentrieren sich gar nicht so auf die Eltern. Das macht die Arbeit eher einfacher."

Ihr Mann Ansgar sieht das genauso. Er schnippelt gerade die Zutaten für den Salat, bewundert gleichzeitig Jonnes Puzzle und gibt Lenja was zu trinken. Heute Morgen hat er Jonne und Julis fertig für die Schule gemacht. Danach waren die Vier- und die Zweijährige dran, die er auf dem Weg ins Büro zur Kita gebracht hat. Hat Karin Spätschicht oder wird ein Kind krank, sieht der Tagesablauf ganz anders aus:

"Man muss halt immer flexibel sein. Also einen festen Plan, wie es immer läuft, gibt es halt im Prinzip nicht. Aber das ist kein Problem. Also es ist immer alles regelbar.” Karin: "Ich glaub, ehrlich gesagt, das Wichtigste daran ist die Partnerwahl. Wir haben auch nur deshalb so viele Kinder, wir hätten die bestimmt nicht, wenn wir nicht gleichberechtigt bei allem mit anpacken würden"

Als selbstständiger Versicherungskaufmann kann sich Ansgar seine Zeit recht gut einteilen. Aber Vollzeit arbeiten sie beide. Sie haben gute Jobs. Aber Chefposten wären mit der Großfamilie nicht drin, das war beiden klar und ihnen die Familie wert.

"Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht. Also man kann nicht alles immer haben wollen. Und alles ist nicht immer miteinander vereinbar.” "

Aber sie arbeiten gerne. Langfristig zu Hause zu bleiben, das wäre weder für Karin noch für Ansgar eine Option gewesen. Die tragende Säule in ihrem Alltagssystem, ohne Großeltern vor Ort, ist die Kita:

" "Wir könnten nicht so viele Kinder haben, wenn wir in unserer westfälischen Heimat in Münster geblieben wären. Da könnten nicht zwei Leute berufstätig sein und so viele Kinder haben. Das funktioniert halt schlicht und ergreifend nicht."

Sie haben Glück: Ihre Kita hat von 7 bis 19 Uhr geöffnet, und da Geschwisterkinder Vorzug haben, war für alle kleineren Kinder ein Platz sicher.

Jorlin und Julis machen einbeiniges Wetthüpfen durch den Raum, springen Jannick vor die Füße, der sich gerade zum Sport verabschieden will. Er ist den Trubel gewöhnt, passt als Ältester oft auf seine Geschwister auf. Klar: Manchmal nerven sie, sagt er, aber meistens hätten sie Spaß miteinander. Es sei toll, sie aufwachsen zu sehen – und lehrreich:

"Zum Beispiel bei Bewerbungen für Ausbildungen hat’s mir geholfen. Wenn man in die Bewerbung reinmischt, man hätte schon viel Verantwortung durch kleine Geschwister. Also ich glaube, später wird’s mir auch helfen. Ja, wenn ich Vater werde, habe ich schon meine Erfahrung. Ich glaub, ich kann als einer der besten Windeln wechseln. Können nicht viele Jungs, glaube ich!"

Mittlerweile stehen die Teller auf dem Tisch. Ansgar verteilt Soßen für Nuggets und Salat. Der Tisch ist groß, wie alles bei Familie Buchberger. Im Flur ist eine beeindruckende Palette an Schuhen von Mini bis Maxi aufgereiht, der Kleiderschrank im Schlafzimmer ähnelt einem Theaterfundus und der Kühlschrank hat tatsächlich die Größe eines Schrankes. Entsprechend hoch sind auch die Kosten.

Aber über die Höhe staatlicher Förderung haben sie bei der Kinderplanung trotzdem nie nachgedacht, sagt Ansgar, während er Nuggets und Salat an die Kinder verteilt:

"Nö. Nie. Ich hab nur mal irgendwann gesagt: Langsam wird es teuer mit den ganzen Kindern, aber wir haben uns da ehrlich gesagt nie Gedanken gemacht. Jeden Monat sieht man natürlich Kindergeld und bei so einer großen Familie ist das schon ein Batzen. Es ist schon toll, dass es das gibt. Kannst Du aber auch eigentlich schon fast wieder sagen, dass gute 75 Prozent die Kita auch wieder auffrisst. Das ist dann schon fast wieder weg mit Hortbetreuung für die Größeren. Aber drüber nachgedacht, was gibt’s jetzt wann und welche Steuervorteile hab’ ich… Nein."

Dass Geld vom Staat zum Kinderkriegen motivieren könnte, kann und will er sich eher nicht vorstellen. Aber was sonst?

"Stromausfall. Nein. Betreuung, ich würde sagen, der entscheidende Punkt ist Betreuung. Du hast es ja auch selten noch heutzutage, dass ein Einkommen reicht, um die ganze Familie rüberzubringen, ne? Und so ein reiner finanzieller Anreiz… das wäre ja auch schade."

Er schnappt sich die beiden Kleinsten, setzt sich aufs Sofa – vor dem Schlafengehen gibt es noch eine Gutenacht-Geschichte aus dem pinkfarbenen Prinzessinnen-Buch.

Karin räumt derweil die Küche auf, die Spülmaschine ein. Auch sie war bei der Kinderplanung nicht verkopft, wie sie sagt, sondern optimistisch, dass das schon klappt. Aber das Wissen um die kostenlose Mitversicherung der Kinder oder auch die Chance auf Elternzeit haben ihr die Entscheidung für weitere Kinder erleichtert.

"Ich weiß nicht, ob ich es mir wirklich anders überlegt hätte, aber wenn das alles wegfiele, das wäre natürlich schon ein finanzieller Faktor, der das irgendwie erschweren würde. Ich weiß nicht, ob es mich davon abhalten würde, aber dann müsste ich schon mehrmals drüber nachdenken, ob man sich wirklich ein weiteres Kind leisten kann. Da käme ich dann schon ins Grübeln."

Lenja und Jorlin sagen ihrer Mutter gute Nacht. Auch Karin muss gleich ins Bett. Um halb vier klingelt wieder der Wecker – für die Frühschicht.