Covid-Pandemie

Maskenträger sind die neuen Außenseiter

Eine weggeworfene rosafarbene FFP2-Schutzmaske gegen Corona (Covid-19) liegt auf einem gepflasterten Boden.
Achtlos weggeworfen: Der Mund-Nase-Schutz, der zwei Jahre lang zum obligatorischen Pandemiehabitus gehörte, ist ein Utensil für Außenseiter geworden, meint Ann-Kristin Tlusty. © imago / Olaf Schuelke
Ein Einwurf von Ann-Kristin Tlusty · 15.06.2022
Sommerliche Wärme, helle Abende, bald ist Urlaub: Die Laune ist gut, das Interesse an Corona immer geringer, beobachtet die Journalistin Ann-Kristin Tlusty. Dass der Mund-Nasen-Schutz fast wie ein Relikt der Vergangenheit wirkt, macht ihr Sorgen.
Es gibt Dinge, die sind schlicht spießig. Gäste darum zu bitten, ihre Schuhe auszuziehen, beispielsweise ist eine Verhaltensweise, die man als junger Mensch bei Älteren beobachtet und hofft, ihr niemals anheimzufallen. Nicht um das Ausziehen, sondern um das Anbehalten geht es bei einer Angewohnheit, die offenbar seit Neuestem auf der Biedermeierliste steht: Maske tragen.
Gehörte es zwei Jahre lang zum obligatorischen Pandemiehabitus, sich selbst und andere wahlweise durch FFP-2-, FFP-3- oder OP-Maske zu schützen, ist diese Routine in den ersten Tagen des Sommers 2022 zunehmend out.
Zwar herrscht in Krankenhäusern, Pflegeheimen und im Nah- und Fernverkehr weiterhin Maskenpflicht. Wer sich jedoch an allen anderen Orten, im Supermarkt, im Club, im Kino, noch weigert, die Aerosole seiner Umgebung bereitwillig einzuatmen, gilt, so scheint es, als ungefähr so spießig wie die Gastgeberin, die die Straßenkrümel ihres Besuchs nicht in der Wohnung haben möchte.

Gesicht ohne Maske steht für neue Freiheit

Ein Konzertabend in der Berliner Berghain-Kantine. Das Publikum schwitzt und tanzt, draußen ist Frühsommer, drinnen ist Hitze. Wer hier Maske trägt, fällt zwangsläufig auf. Unter fast 200 Gästen sind es geschätzt fünf.
Der Konformitätsdruck wirkt an Orten wie diesem diametral zum Pandemiebeginn: Die Maske abzulegen bedeutet, sich endlich wieder locker zu machen und das Leben zu bejahen. Aus einer medizinischen Maßnahme ist eine Frage der Coolness geworden. Das maskenfreie Gesicht steht jetzt für die neue Freiheit.

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Dabei ging es zu Beginn der Pandemie so viel um jene, die aufgrund von Alter, Vorerkrankung oder Care-Verpflichtung besonders vorsichtig sein mussten. Heute fällt es schwer, sich daran zu erinnern, wie die Maske, anfangs aus Baumwolle, später aus Kunststoff, vor zwei Jahren ein Symbol der Solidarität mit eben jenen vulnerablen Gruppen darstellte. Im Frühling 2020 galt es noch, Ansteckungen um jeden Preis zu vermeiden.
Analog zur Kinderweisheit, dass Dreck nun mal den Magen reinigt, heißt es nun, dass Infektionen das beste Mittel sind, um die Pandemie langfristig endemisch werden zu lassen. Auf diesen Weg scheinen sich Politik und Gesellschaft Anfang dieses Jahres stillschweigend geeinigt zu haben.

Kollektive Verdrängung der Pandemie

Zugegeben: Eine FFP-2-Maske verursacht Mitesser, erschwert die Atmung und erfordert zur zwischenmenschlichen Verständigung eine völlig überzogene Mimik mit weit aufgerissenen Augen. Aber sie ist eben auch, das sollte nach über zwei Jahren Pandemie deutlich geworden sein, das simpelste Tool, um Corona-Infektionen zu vermeiden.
Wer deshalb weiterhin Maske trägt, erinnert an die Zeit der nervtötenden Kontaktbeschränkungen, an die Lockdowns, die Toten, die einsamen Winter. Sture Maskenträgerinnen treten als Mahnerinnen auf, von denen man gerade in Ruhe gelassen werden möchte.
Sie stören auf die gleiche Weise wie der Antialkoholiker in der Kneipe oder die Veganerin beim Grillen: Man weiß, dass irgendwie vernünftig ist, was sie tun, und genau deswegen möchte man nichts davon wissen.

Neue Omikron-Variante verbreitet sich

Verdrängung ist eines der Phänomene aus dem Repertoire der Freudschen Fehlleistungen. Sie beschreibt eine Art motiviertes Vergessen, und genau solch ein Vergessen scheint momentan kollektiv zu passieren.
Nur ein Ding macht nicht mit: das Virus. Sein Ziel bleibt die flächendeckende Ansteckung. Mit der Verbreitung der neuen Omikron-Variante BA.5 steigt auch die Sieben-Tage-Inzidenz wieder an. Viel spricht dafür: Das wird kein Sommer ohne Virus.

Ann-Kristin Tlusty, geboren 1994, hat Kulturwissenschaften und Psychologie studiert. Sie arbeitet als Redakteurin bei „Zeit Online“ in Berlin. Im September 2021 erschien im Hanser Verlag ihr erstes Buch „Süß. Eine feministische Kritik“.

Porträt der Journalistin Ann-Kristin Tlusty.
© Nico Blacha
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