Physikerin Viola Priesemann
Wie Gedanken Gestalt annehmen oder Viren sich verbreiten, das untersucht Viola Priesemann mit komplexer Mathematik. © Horst Ziegenfusz
Fasziniert von komplexen Systemen
36:29 Minuten
Sie erforscht neuronale Netze und die Abläufe von Denken und Lernen im Gehirn: Die Physikerin Viola Priesemann ist auf das Modellieren komplexer Systeme spezialisiert. Im Corona-Expertenrat der Bundesregierung berechnet sie die Verbreitung des Virus.
Viola Priesemann ist Physikerin, doch bekannt wurde sie mit ihren Forschungen zu Corona. Wie breitet sich das Virus aus, wo sind Kipppunkte, an denen die Pandemie einen Gang höher schaltet? Solche Fragen versucht Priesemann zu beantworten, und ihr Werkzeug dafür ist die Mathematik.
Modellrechnungen für die Politik
Eigentlich befasst sie sich am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen mit der Theorie neuronaler Systeme, also etwa der Frage, wie die 80 Milliarden Nervenzellen des menschlichen Gehirns sich so koordinieren, dass Gedanken entstehen statt Chaos. „Die Komplexität hat mich von Anfang an fasziniert“, sagt sie. Ihr Handwerkszeug dazu eignet sich auch für das Verständnis einer Pandemie.
Seit Beginn der Coronakrise ist Viola Priesemann eine der Wissenschaftlerinnen, an deren Modellen sich Politik und Behörden orientieren bei den Maßnahmen gegen das Virus. Was ihr auch Anfeindungen eingebracht hat – als „Lockdown-Macherin“ wurde sie öffentlich angegriffen.
"Medienpause" nach Anfeindungen in der Presse
Das sei nicht einfach an ihr abgeperlt, sagt die Physikerin. Immer wieder verordnet sie sich darum „Medienpausen“, in denen sie sich auf ihre Forschung konzentriert, statt in Talkshows zu gehen, das tue ihr gut.
Viola Priesemann gehört dem ExpertInnenrat der Bundesregierung zu COVID-19 an, der bisher zehn Empfehlungen für den weiteren Umgang mit der Pandemie abgegeben hat. Werden die gehört? „Zumindest kann im nächsten Herbst niemand mehr sagen: ‚Wir haben es nicht gewusst‘", sagt die Expertin.
Denn wie es weitergeht in der komplexen Beziehung zwischen Virus und Mensch, kann auch Viola Priesemann nicht genau vorhersagen. Im Herbst oder Winter könnten „die einen oder anderen Maßnahmen wieder notwendig“ werden. „Das Virus verschwindet ja nicht.“
(pag)