Ann-Kristin Tlusty: "Süß"

Lauter süße Girls

05:51 Minuten
Ann-Kristin Tlusty: Süß – Eine feministische Kritik
© Hanser Verlag
Süß - Eine feministische KritikHanser Verlag, München 2021

208 Seiten

18,00 Euro

Von Susanne Billig · 19.11.2021
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Dem feministischen Zeitgeist zum Trotz meinen Frauen noch immer, sie müssten sanft und niedlich erscheinen, stellt die Autorin Ann-Kristin Tlusty fest. In ihrer Streitschrift "Süß" spürt sie diesem Weiblichkeitsbild nach.
Auch im 21. Jahrhundert sind Frauen noch immer gern süß oder meinen, sie sollten so erscheinen – selbst wenn sie genug Geld zusammengerafft haben, um unnützerweise ins All fliegen zu können. Was es mit den Bildern der süßen Frau auf sich hat, untersucht die Kulturwissenschaftlerin und Zeit-Online-Autorin Ann-Kristin Tlusty hellsichtig in ihrem neuen Buch „Süß“.

Feminismus ist mehr als Karriere machen

„Sanft“, „Süß“ und „Zart“ – in drei große Abschnitte teilt die Autorin ihre feministische Kritik auf und wendet sich erstaunlicherweise zuerst einmal gegen das, was sie griffig als „Potenzfeminismus“ bezeichnet. Denn die neue Frau der zweiten Frauenbewegung sollte durchsetzungsstark und erfolgreich sein, am besten in den höchsten Etagen der großen Institutionen.
Solche Vorstellungen hätten zwar geholfen, Fragen der formalen Gleichberechtigung ins allgemeine Bewusstsein zu heben, reichten aber nicht weit genug, betont die Autorin. Denn zu behaupten, dass allein der eigene Wille über den Lebensweg entscheide, ignoriere die vielen strukturellen Zwänge in Ökonomie, Recht und Kultur, denen Frauen immer noch ausgesetzt seien. Ein ernsthafter Feminismus lasse sich „nicht in einem Atemzug mit Karriere hauchen“.

Frauen ohne Nachnamen

Aufschlussreich spürt die Autorin den sanften, süßen und zarten Frauenfiguren in Literatur, Kino, Popkultur und nicht zuletzt in ihrem ganz privaten Umfeld nach – und wird noch im Jahr 2021 erstaunlich fündig. Da gibt es Freundinnen, die es emotional kaum ertragen können, wenn ihr Lover im Beruf weniger erfolgreich ist als sie selbst. Da feiern moderne Kinofilme die starke Frau und können sie doch nur abhängig von Männern und Liebesgeschichten dramatisieren.
„Jackie“, „Judy“, „Romy“ und „Frida“ heißen diese Filme – als wären ihre Heldinnen „nur irgendwelche netten Girls von nebenan gewesen und keine prägenden Personen des Zeitgeschehens, die über Talent und Nachnamen verfügen“, moniert die Autorin.
Bis in die moderne Medizin reichen die fixen Ideen: Männer, die über Schmerzen klagen, bekommen meist Schmerzmittel verschrieben, Frauen Antidepressiva. Und wenn sie einen Herzinfarkt erleiden, hat ihr Arzt eindeutige Vorzeichen wahrscheinlich systematisch übersehen.

Aktuelle Theorie ohne modischen Jargon

So lange es Dominanzkultur gibt, werden die klugen Köpfe jeder Generation feministische und sozialpolitische Themen immer wieder neu ausbuchstabieren. Wie das heute geht, mit aktueller Theorie und Vokabular, aber ohne modischen Jargon, macht Ann-Kristin Tlusty, Jahrgang 1994, vor: auf der Höhe der Zeit und ihrer Erfahrungen, die Gleichberechtigung intergeschlechtlicher, nichtbinärer und in Prekariate der verschiedensten Art verschobenen Menschen immer im Blick, gleichzeitig jede Menge Simone de Beauvoir, Virginia Woolf und viele andere Vor- und Mitdenkerinnen und -denker aus Geschichte und Gegenwart im gut gefüllten Literaturkoffer.
Vor allem aber stellt die Autorin klar, dass eine lebenswerte Utopie des menschlichen Miteinanders nur darin bestehen kann, eine Kultur zu fördern, in der es – auch gesichert durch ein neues ökonomisches Miteinander – reichlich Raum gibt für Wärme und Zartheit.

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