ich hab' irgendwie noch gar keinen Hunger
das Jahr ist aber auch so schnell vergangen
ist das von IKEA? das habe ich nämlich auch
na, das ist ja lustig ... gerade habe ich an dich gedacht
also morgen ist ja genaugenommen schon heute
da wär' auch noch ein Parkplatz gewesen
Clemens Schittko: "Artaud ist tot"
© XS Bücher
Poetische Protest-Power
06:53 Minuten
Clemens Schittko
Artaud ist totXS-Verlag, Berlin 2022172 Seiten
16,00 Euro
Politische Lyrik hat es nicht leicht in Deutschland. Clemens Schittko macht sie trotzdem, und zwar laut und gut. Die Gedichte in seinem zehnten Band sind erfrischend frech und gekonnt auf Pointe geschrieben.
Die 70er-Jahre waren furchtbar für die Lyrik, zumindest in Westdeutschland. Es war die Hochzeit der politischen Poesie, als Zeilen zu Bannern degradiert wurden und die richtige Einstellung zählte, aber nicht die Qualität der Kunst.
Aus dieser Zeit hat sich ein tiefes Misstrauen gegenüber explizit politischer Poesie erhalten. Wer poetische Power in das Prokrustesbett einer Aussage quetscht, gewinnt oft nichts, verliert aber viel.
Aus Pamphleten werden Gedichtbände
In dieser Hinsicht ist Clemens Schittko, der am Ende ebendieser 70er in Berlin (allerdings Ost) geboren wurden, ein Phänomen. "Der Aufstand kommt sowieso", "Sag Ja zum Nein" oder "Und ginge es demokratisch zu", das könnte über Pamphleten stehen, so heißen aber seine Gedichtbände.
Und darin geht es wunderbar lyrisch zu:
Kunstvolle Gedichte
Es ist der gekonnte Einsatz von lyrischen Produktionsmitteln - wie hier der Montage -, die Schittkos gesellschaftskritische Gedichte weit über das Niveau öder Anklageschriften hebt. Der 44-Jährige schöpft aus dem Vollen der künstlerischen Tradition.
Im neuen Gedichtband "Artaud ist tot" sind es Pastiches, also literarische Imitationen von Lyrikern wie Eugen Gomringer, Williams Carlos Williams oder H.C. Artmann, Readymades, wenn etwa Kneipenaushänge aus dem zweiten Corona-Lockdown zu Versen werden oder Ideogramme wie das "Schneegedicht", stilisiert mit weißen Versen auf weißem Papier, um nur ein paar zu nennen.
Kritik am Literaturbetrieb
Oft reicht schon der Gedichttitel, um zu entlarven: "Rolf Dieter Brinkmann hätte das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium nie erhalten".
Schittko ist bekennender "Hartzer". Er bezieht Arbeitslosengeld, fühlt sich dadurch unabhängig von Preisgeldern und Stipendien und teilt mit erfrischender Frechheit aus:
die sogenannte
zeitgenössische Lyrik
hat zwei Probleme:
sie ist weder
zeitgenössisch
noch Lyrik
Schittko schreibt in solchen Gedichten zwar auf Pointe, aber auch das will gekonnt sein. Schrauben, Drähte und Kolben ergeben bloß nebeneinandergelegt ja noch keinen funktionierenden Motor. Überdies bilden diese leicht verdaulichen Aperçus einen guten Kontrast zu seinen Langgedichten.
Ein preisverdächtiger Dichter
"Artaud ist tot" ist sein zehnter Gedichtband im neunten Verlag. Andere Lyrikerinnen und Lyriker von seiner Qualität wären längst in der Preis- und Förderspirale angekommen. Vielleicht ist Clemens Schittko trotz eines bescheidenen, fast schüchternen Auftretens, etwas zu laut in seiner Lyrik.
Schittko selbst nimmt sich gar nicht so wichtig. Wichtig ist ihm seine Lyrik. Und was er mit ihr zeigen kann. Das zeigt er so gut wie kaum ein anderer, weshalb ihn der Tagesspiegel einmal zum derzeit "interessantesten lebenden deutschen Lyriker" geadelt hat.
Daraus hat Schittko übrigens ein selbstironisches Gedicht gemacht.