Clara E. Mattei: "Die Ordnung des Kapitals"
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Austerität – Politik gegen die Mehrheit
05:12 Minuten

Clara E. Mattei
Aus dem Englischen von Thomas Zimmermann
Die Ordnung des Kapitals: Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereitetenBrumaire Verlag, Berlin 2025586 Seiten
22,00 Euro
Austerität, also "Sparpolitik“", wird oft als notwendiges gemeinsames Opfer dargestellt, als Ausweis finanzpolitischer Verantwortung. Aber eigentlich ist sie Klassenkampf von oben, zeigt die Ökonomin Clara E. Mattei.
Das häufigste Argument gegen Austeritätspolitik, umgangssprachlich „Sparpolitik“, lautet: Sie funktioniert nicht. Ausgabenkürzungen in Krisenzeiten verstärken die Abwärtsdynamik noch, führen zu sinkender Nachfrage, weniger Wachstum und mehr Arbeitslosigkeit. Aber wenn das so ist, warum wird sie seit Jahrzehnten immer wieder angewendet?
Weil ihr Zweck ein anderer ist, als wir denken, so die italienische Ökonomin Clara E. Mattei in ihrem Buch „Die Ordnung des Kapitals“: Sie soll nicht die wirtschaftliche Lage insgesamt verbessern, sondern die herrschenden Eigentumsverhältnisse schützen.
Sparpolitik ist ein Bollwerk des Kapitalismus
Austerität, so Mattei, ist ein „Bollwerk zur Verteidigung des kapitalistischen Systems“, sprich: der hierarchischen Beziehung zwischen Kapital und Arbeit. Denn: Austerität ist gar keine „Sparpolitik“, sondern Umverteilung von unten nach oben.
Um diese Thesen zu untermauern, nimmt Mattei uns mit zur Geburtsstunde der modernen Austerität, in die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Die Kriegswirtschaft mit ihren staatlichen Eingriffen hatte damals offenbart, dass die marktbasierte Ordnung kein Naturgesetz ist.
Im ersten Teil des Buches erzählt die in den USA lehrende Ökonomin mitreißend, wie eine erstarkte Arbeiterbewegung nicht nur für höhere Löhne, sondern auch mehr „Arbeiterkontrolle“, also eine demokratische Wirtschaft kämpft: Von den genossenschaftlich organisierten britischen „Baugilden“ über die erfolgreichen Fabrikbesetzungen in Italien bis hin zur geplanten Vergesellschaftung ganzer Industriezweige. Für viele Zeitgenossen scheint damals klar: Der Kapitalismus steht vor dem Aus.
Austerität ist antidemokratisch
Diese fundamentale Bedrohung der kapitalistischen Ordnung ruft Mattei zufolge die moderne Austerität auf den Plan. Und in der Tat kann Mattei dank jahrelanger Archivrecherchen zeigen, dass es den beteiligten Wirtschaftsexperten und Technokraten ganz bewusst um eine „Zähmung“ und ökonomische Auszehrung der (vermeintlich verschwenderischen) Lohnabhängigen geht. Aber auch darum, die Wirtschaft grundsätzlich dem demokratischen Zugriff zu entziehen, etwa durch die Einrichtung einer „unabhängigen“ Zentralbank, die forcierte Arbeitslosigkeit als Mittel gegen zu hohe Löhne nutzt.
Legitimiert wird das durch eine vermeintlich „reine“, unpolitische Ökonomik, die die Wirtschaftswissenschaft bis heute prägt.
Nicht nur die damalige Rhetorik ist uns heute schmerzlich vertraut – „mehr arbeiten, weniger konsumieren“ oder die „Geddes Axe“ als Vorläuferin der heutigen Kettensäge –, sondern auch die Austeritätsmaßnahmen selbst: Kürzungen bei Sozialausgaben und Privatisierungen der Daseinsvorsorge bei gleichzeitigen Steuergeschenken und Mehrausgaben für Reiche.
Hohe Zinsen und repressive Arbeitsgesetze tun ein Übriges, um die Macht der Lohnabhängigen zu brechen. Das Ergebnis: niedrigere Löhne, höhere Profitraten, wachsende Ungleichheit und eine Disziplinierung der Arbeitenden – sodass Unternehmen und Investoren insgesamt trotz einbrechender Wirtschaft profitieren.
Die Frage ist also nicht, ob Austerität funktioniert, sondern für wen. Und sie lässt sich damals wie heute klar beantworten, wie die Autorin faktenbewehrt zeigt: zugunsten der Reichsten.
Wie Austerität und Faschismus zusammenhängen
Eine der brisanten Pointen des Buches ist, wie eng Austerität und Faschismus in Italien Hand in Hand gehen – und wie bereitwillig liberale Eliten die faschistische Herrschaft als Instrument zur Verteidigung des Kapitals unterstützten.
Eine andere: Der Kapitalismus ist tatsächlich auf Austerität angewiesen, schreibt Mattei, weil nur sie dauerhaft die „Bedingungen der Kapitalakkumulation“ (Lohnabhängigkeit und private Profite) gewährleisten kann. Zwar räumt sie einen gewissen Spielraum ein, aber hält fest: Nur indem wir uns vom kapitalistischen System entfernen, können wir mit der Austerität wirklich brechen.
Austerität wirkt verheerend
Dafür mag man Sympathien haben, eine realistische Perspektive ist es derzeit nicht. Hier wäre eine breitere Diskussion von Alternativen zur Austeritätspolitik wünschenswert gewesen, um nicht selbst der „Alternativlosigkeit“ das Wort zu reden. Auch sind manche der geschilderten Zusammenhänge recht voraussetzungsreich für Laien. Und schließlich bleibt fraglich, ob das politische Projekt der Austerität wirklich so einheitlich ist, wie die Autorin es mitunter darstellt.
Dennoch bleibt das Buch eine unschätzbare Bereicherung, um die politische Logik der Austerität besser zu verstehen – und die verheerenden Auswirkungen, die sie für die große Mehrheit hat.