Andreas Speit: Autoritäre Rebellion
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Radikalisierung aus der Mitte
08:27 Minuten

Andreas Speit
Autoritäre RebellionCh. Links Verlag, Berlin 2025172 Seiten
20,00 Euro
Sie geben sich rebellisch und freiheitsliebend – und rücken doch nach rechts. In seinem Buch zeigt Andreas Speit, wie antimoderne Reflexe in breiten Schichten der Gesellschaft zur Radikalisierung führen: von Querdenkern bis zu rechten Netzwerken.
Andreas Speit untersucht das Milieu der „Querdenkenden“, dem er breite Schichten der Gesellschaft zuordnet, und die sich teils selbst in einer gesellschaftlichen Mitte verorten. Und wandern. Speit spricht von antimodernen Reflexen, die auch jene nach rechts rücken lassen, die sich selbst als hier nicht zugehörig verstehen wollen.
Manch einem hatte erst der Wahl-O-Mat zur letzten Bundestagswahl Klarheit über die eigene rechtslastige Gesinnung verschafft. Ein gewisses „aber trotzdem“ wird häufig im Gestus eines Götz von Berlichingen vorgetragen, des Ritters, der gegen die Obrigkeit antrat, als seien die Sprechenden aufrechte Kämpfende gegen etwas, das sie als Mainstream, verordnetes Denken, staatliches Reglement desavouieren.
Menschenrechtliche Bedeutungen werden banalisiert
Da wird vor sich hingelächelt, wenn das N-Wort benutzt wird, die Sprachsensibilität für diverse Zustände, manchmal bezeichnet mit der kleinen Pause im Sprechen, bevor wir das *innen anfügen, als ganz schlimm und künstlich erfunden oder gar diktiert bezeichnet. Diese ihre individuelle Freiheit liebenden Menschen lassen sich all das und Weiteres nicht gefallen – die Verachtung einer Gender- oder Diskriminierungssensibilität steht dabei ganz oben. Der aus Ost-Deutschland stammende Nachbar erklärt, er habe nicht an den Demonstrationen gegen das DDR-Regime teilgenommen, um sich jetzt bevormunden zu lassen.
Eine Gleichsetzung, mit der der Fall der Mauer in seiner politischen und menschenrechtlichen Bedeutung banalisiert und entwertet wird.
Die vermeintliche geheime Macht von Minderheiten
Dies könnte sicherlich unter Pluralität und Meinungsvielfalt unbekümmert Platz haben, wenn es nicht Ausdruck einer politischen Strömung wäre, die das Recht auf individuelle Freiheit gegen das Gleichheitsgebot setzte, und zwar mit höchst autoritärer Konsequenz, wie in der Vorbereitung eines Tags X: eines militärisch vorbereiteten Schlags gegen das demokratisch verfasste System, so wie es die Reichsbürger und Reichsbürgerinnen vorhatten. Hier dienten die Verschwörungserzählungen zur Begründung dafür, dass gegen den vermeintlich „Deep State“ ausgeholt werden müsse, ein Staat, in dem Teile des Staats- und Sicherheitsapparats wie auch geheime Bünde oder gesellschaftliche Minderheiten oder religiöse Orden und mystische Kreise im Verborgenen die eigentliche Macht ausübten.
Andreas Speit räumt dem Verfahren gegen die Reichsbürger und Reichsbürgerinnen und den bisherigen Ermittlungsergebnissen zu Recht breiten Raum ein.
Brave Bürger und Bürgerinnen, denen man es nicht direkt ansieht, behalten sich nach solcher selbst geschaffenen Doktrin vor, ihre Gelder beispielsweise nicht auf Banken zu deponieren. Kinder werden der Schulpflicht entzogen und ihre Geburt nicht gemeldet bis hin zur Gründung von Enklaven. Da werden Grundstücke erworben und Wohn- und Lebensgemeinschaften geschaffen, die mit esoterischem und/oder ökoaufgeladenem ideologischem Falsch- oder Halbwissen für sich allein die Gültigkeit von „Gesellschaft“ auf Partikel herunterbrechen, die ihnen passen.
Individuum gegen Gesellschaft
Besonders befeuert wurde diese Haltung insbesondere gegen den „autoritären“ Staat, nachdem „Staat“ in der Pandemie drastisch in Form von Eingriffen in persönliche Freiheitsrechte sichtbar wurde. Die Einschränkungen durch Impfpflichten, Maskentragen und Weiteres wurden in diesen Milieus nicht als Maßnahmen verstanden, die zum Schutze aller zu treffen seien – Maßnahmen also, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise ergriffen wurden und die die Möglichkeit des Irrtums einschlossen. Individuum gegen Gesellschaft.
Die Vertreterinnen und Vertreter des Staates werden denn auch als nicht legitimiert durch Wahlen angesehen, sondern als Handlanger von ... ja, von wem eigentlich? Geklärt wird das nicht. Auf dieser Basis kann an einer Delegitimierung dieser Vertreterinnen und Vertreter auch fortlaufend gearbeitet werden. Wobei die Zielsetzung, wenn sie nicht wie durch die Reichsbürger und Reichsbürgerinnen unmittelbar erklärt wird, offenbleibt. Das Delegitimieren per se ist gewissermaßen die Botschaft.
Ein autoritärer Freiheitsgedanke
Zwischen „Meinungen“, „rechter Gesinnung“ und „Rechtsextremismus“ verläuft keine klare Trennlinie. Die QAnon-Erzählung von der Vorstellung, dass Andersgläubige den Kindern der Gastvölker schadeten bis hin zum Reden über „Umvolkung“ oder vom „Großen Austausch“ berührt sich hier mit einem autoritären Freiheitsgedanken, der antiaufklärerisch, oft wissenschaftsfeindlich, antisemitisch, rassistisch und anti-feministisch unterlegt ist und sich in allerhand trübem Geraune Ausdruck verschafft, ‚von denen da oben, die…‘.
Diese Kritik wird dann nicht in die Richtung eines demokratischen Aushandlungsprozesses geführt, sondern in autoritäre Selbstermächtigung. Im Kern ist das ein antimoderner Weg, der bis hin zu „gesichert rechtsextremen“ Inhalten reicht, wie der Verfassungsschutz gegenüber der Gesamt-AFD in seinem Gutachten aussagte bzw. dem Credo des Nationalsozialistischen Untergrunds, das lautete: „Taten statt Worte“. Eine Parole der Selbstermächtigung.
Wem die Rechte anderer egal sind oder aktiv daran arbeitet, sie zu beschneiden, sodass sie minderen Status hätten oder gar keinen, der oder die steht tatsächlich nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Die Verbotsfrage liegt mithin wieder auf dem Tisch.
Heidegger und Carl Schmitt als Ur-Väter
In der „autoritären Rebellion“ verfolgt Andreas Speit die ideologischen Anleihen dieses „Querdenkens“ zurück bis in die deutsche Romantik. Heidegger und Carl Schmitt kommen unter anderem als Ur-Väter vor. Es ist ein der Idee der Demokratie feindlich gesonnenes Aufgebot, das sich hier den Ideen der Französischen Revolution gegenüber als resistent oder anti-modern begreift. Entfernt klingt die Problematik an, wie die ökonomisch anhaltende Ungleichheit im kapitalistischen System den Gleichheitsgedanken konterkariert und unter anderem eine – hier „Naturflucht“ – genannte Bewegung begünstigt. Karl Marx polemisierte 1843 dagegen. Es wäre ein eigenes Buch darüber wert, wie Versatzstücke des Marxismus zu antimodernen Gesellschaftsentwürfen in der Gegenwart gebraucht werden.
Unterschieden wird nach Strömungen der „libertären Autoritären“, jene, die sich selbst als Autorität genügen, und den klassisch Autoritären. „Vordergründig gegen vermeintlich undemokratische Institutionen und Entscheidungen“ identifizierten sich die libertär Autoritären nicht mit einer Führerfigur, ihnen genüge ihre eigene Autonomie. Speit zitiert Beate Küpper, die diejenigen mit „völkisch-autoritär-rebellischer Haltung“ als nicht mehr von rechtsextremen Ideologien unterscheidbar ansieht. Der Verfassungsschutz fasste Aktionen des Querdenken-Milieus seit dem Jahr 2022 unter den Bereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
Rechte Gewalttaten
Im Januar 2025 antwortete das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage von Die Linke nach dem Ausmaß politisch motivierter Straftaten von rechts mit 28.945 Taten – eine Zunahme von 17,34 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Speit zitiert die Linken-Bundestagsabgeordnete und Rechtsextremismusexpertin Martina Renner:
„Wenn wir uns nicht an mehr als 3000 Straftaten von Neonazis pro Monat gewöhnen wollen, müssen grundsätzliche Konsequenzen gezogen werden.“
Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt berichtet, dass die Straftaten gegen Obdachlose, queere und geflüchtete Menschen einen Höchststand erreicht haben. Das Bundesinnenministerium trägt vor: Fast jeden Tag ein Femizid, ein Mord an einer Frau. Alle diese Gruppen machen das Völkisch-(männlich)-Deutsche vorgeblich „un-deutsch“. Sie bevölkern zu sichtbar, zu laut, zu selbstbewusst eine Gegenwart, die vorgeblich früher anders war.