Grace Blakeley: "Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus"

Der Mythos vom freien Markt

05:31 Minuten
Buchcover Grace Blakeley: "Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus".
© Tropen Verlag

Grace Blakeley

Übersetzt von Christian Alexander Herschmann, Alexander Krützfeldt, Tom Müller

Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des SozialismusTropen, Stuttgart 2025

496 Seiten

28,00 Euro

Von Constantin Hühn |
Audio herunterladen
Kapitalismus heißt freier Markt statt Planung? Das sei ein Irrglaube, meint die Ökonomin Grace Blakeley. Die Frage sei nicht, ob geplant wird, sondern von wem – und wer davon profitiert. Echte Freiheit gebe es nur in einer demokratischen Wirtschaft.
Bis heute glauben viele Liberale, Demokratie und Kapitalismus gingen Hand in Hand. Die britische Ökonomin (und bekennende Sozialistin) Grace Blakeley will in ihrem jüngsten Buch das Gegenteil demonstrieren: Nicht nur fördere der Kapitalismus die Demokratie nicht, er verhindere sogar Demokratie im umfassenden Sinne – denn mit dem privaten Besitz an Produktionsmitteln gehe nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht einher.

Freiheit, aber für wen?

Zunächst widerspricht die Autorin einer geläufigen Konzeption ökonomischer Systeme: "Das Wesentliche am Kapitalismus sind nicht 'freie Märkte', und das Wesentliche am Sozialismus ist nicht die zentrale Planung", schreibt sie. In Wirklichkeit gehe es nicht darum, ob geplant wird, sondern wer die Kontrolle darüber hat und wer davon profitiert.
Wie sie an zahlreichen Beispielen zeigt, war der Kapitalismus schon immer ein Hybrid aus Wettbewerb und Planung – mit der Tendenz, vor allem die Machtlosen dem Wettbewerb zu unterwerfen, während sich mächtige Unternehmen in schöner Regelmäßigkeit den "Gesetzen des Marktes" entziehen können, oft mithilfe des Staates.
Wir treffen auf Beratungsfirmen, die gleichzeitig für den Staat und zu regulierende Unternehmen arbeiten; finden seitenlange Auflistungen von Unternehmen, die staatliche Unterstützung während COVID kassierten, nur um danach Rekord-Dividenden auszuzahlen und Stellen abzubauen; und wir tauchen ein in den Fall Boeing, dessen Sparkurs zu Abstürzen mit Hunderten Toten führte und das trotzdem von der US-Regierung gerettet wurde.

Geplante Ungleichheit

In der Verdichtung solcher Beispiele zeigt die Autorin: Sie sind "keine Perversion des Kapitalismus. Sie sind Teil des Kapitalismus." Und: Der Gegensatz von Markt und Staat führt in die Irre. Auch formal demokratische Staaten, so Blakeley, spiegeln gesellschaftliche Machtverhältnisse wider – und diese haben sich seit Beginn der neoliberalen Ära massiv zugunsten des Kapitals verschoben.
Eine Gesellschaft voll übermächtiger Unternehmen könne sich daher nicht auf den Staat als Korrektiv verlassen, vielmehr werde er zum – planenden – Erfüllungsgehilfen von Kapitalinteressen. Nicht nur greift der Staat permanent in Märkte ein – ja, schafft erst deren Bedingungen –, auch nehmen Unternehmen planend massiv Einfluss auf Regulierung, Gesetzgebung und die gesellschaftliche wie technologische Entwicklung. Planung sei im Kapitalismus allgegenwärtig, nur habe die Mehrheit darauf kaum Einfluss, so die Ökonomin.
Die Folge: Wachsende politische wie wirtschaftliche Ungleichheit. Zwar verliert der Begriff der Planung im Zuge der Analyse ein wenig an Trennschärfe – sind Lobbyismus und Monopolmacht wirklich "zentralisierte Planung"? – in der Tendenz kann Blakeleys Diagnose aber überzeugen.

Die Planung nicht dem Kapital überlassen

Am Ende steht das Plädoyer: Freiheit für alle sei nur durch eine andere, demokratische Planung möglich – kein hierarchischer Staatssozialismus, sondern echte "Mitgestaltung", unterstützt durch digitale Technologien. Zwar zielt Blakeley letztlich auf eine vollständige Überwindung des Kapitalismus, aber zu den Stärken ihres Buches gehört, dass sie sich nicht auf diese Maximalforderung beschränkt.
Vielmehr zeigt sie, wie der Weg dorthin aussehen könnte, wie graduelle, konkrete Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus möglich wären und wo sie bereits ganz praktisch erprobt wurden und werden, sei es durch Bürgerhaushalte oder Unternehmen in Arbeiterhand.
Das Buch liest sich wie ein Krimi: Leichtfüßig verknüpft Blakeley haarsträubende Anekdoten aus der Welt des Big Business mit verblüffenden Zahlen und Theorie-Angeboten. Manche Formulierung gerät arg zugespitzt, hier und da wünscht man sich mehr Details und Differenzierung – etwa, wenn es um die Finanzkrise geht. Auch wirken Blakeleys Erwartungen an eine Arbeiter-Demokratie stellenweise etwas idealisierend und ihre Konturen etwas vage.
Dennoch: Insgesamt eine erkenntnisreiche Lektüre für alle, die ihr Unbehagen am Kapitalismus mit guten Argumenten unterfüttern möchten. Und die dem falschen Gegensatz von Markt und Planung nicht länger auf den Leim gehen wollen.
Mehr zum Thema Kapitalismus