Chloé Delaume: „Das synthetische Herz“

Satire auf den französischen Literaturbetrieb

31:48 Minuten
Buchumschlag des Romans "Das synthetische Herz" von Chloé Delaume, darauf ist vor blauem Hintergrund zwei eingewickelte Hochzeitspüppchen zu sehen, also ein Bräutigam im schwarzen Anzug und ein eine Brau in weißem Brautkleid.
© Verlag Liebeskind

Chloé Delaume

Claudia Steinitz

Das synthetische HerzLiebeskind, Berlin 2022

160 Seiten

20,00 Euro

Von Miriam Zeh |
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Sie organisiert sogar erotische Fotoshootings für ihre Autoren. Zur Nominierung für den Prix Goncourt reicht es trotzdem nicht. In Chloé Delaumes Roman ackert eine Verlagsmitarbeiterin für den großen Wurf – im Literaturbetrieb und in der Liebe.
Satiren über den Literaturbetrieb gibt es viele – nicht ganz ohne Grund. Schließlich ist es doch, von außen betrachtet, einfach zum Brüllen komisch, wie Autoren jahrelang an Formulierungen feilen und sich das Herz aus der Seele schreiben, nur um im allherbstlichen Getöse um die hunderten Neuerscheinungen sang- und klanglos zu verpuffen. Ins Fernsehen kommen ohnehin die mit den anrührend persönlichen Anekdoten. Wer es also Ende September nicht auf die Nominierungsliste für einen der begehrten Literaturpreise geschafft hat, ist dem eigenen Verlag keine Liebesmüh mehr wert.

Jede Buchsaison dasselbe Preisrennen

Adélaïde Bethel kennt dieses Spiel in- und auswendig. Sie ist 46 Jahre alt und arbeitet in der Presseabteilung eines großen Pariser Verlags. Ihre Arbeit kann Adélaïde gut, denn sie legt sich für ihre Autorinnen und Autoren ins Zeug. Sie telefoniert Literaturkritikern hinterher, lädt Jurorinnen zum Essen ein. Sie begleitet ihre Autorinnen auf Literaturfestivals, spricht ihnen Mut zu und für ihr Sorgenkind der Saison, einen 25-jähirgen Debütanten mit der Ausstrahlung eines toten Otters, organisiert sie sogar ein Fotoshooting: der Autor mit nacktem Oberkörper unter der Lederjacke, die Unterhose nur vom aufgeklappten Buch verdeckt. 
Adélaïdes Liebesleben läuft dagegen weniger erfolgreich. Gerade hat sie sich von ihrem langjährigen Partner getrennt, musste in eine kleinere Wohnung ziehen und sich ein Kätzchen anschaffen gegen die Einsamkeit. Jetzt ist sie auf Partnersuche – gar nicht so einfach, wenn man sich hartnäckig gegen Dating-Apps und Vermittlungs-Portale sträubt.

Beziehungen vergehen, Freundinnen bleiben

Zum Glück hat Adélaïde vier Freundinnen, die sie durch alle Lebensphasen begleiten. Die Frauen Ende vierzig stehen selbstbewusst in ihren Leben, wünschen sich zwar tendenziell das, was sie gerade nicht haben, im Zweifelsfall aber einfach ihre Ruhe.
Mit scharfzüngiger Erzählstimme und erfrischend wenig Psychologie erzählt Chloé Delaume zwei Lebensjahre ihrer alternden Heldin, die im Laufe des Romans immer zufriedener wird. Das alles wäre aber nur halb so originell, wenn sie die Frauenbiografie nicht anhand einer herrlich possenhaften Zustandsbeschreibung der französischen (und der deutschen gar nicht so unähnlichen) Verlagsbranche beschriebe.

Kritischer Blick auf Verlagsfusionen

Adélaïde hat ihre Rolle als „Pressefrau“ zwar jahrelang artig gespielt, während auf den höheren Hierarchieebenen von Lektorat bis Verlagsleitung und Aktionärsversammlung zuverlässig Männer das Sagen hatten. Als aber ihr Verlag an eine internationale Konzerngruppe verkauft wird, die nach strikter Gewinnausrichtung verlangt und der hochgebildeten Adélaïde ein Bildband über „Geschichte(n) unseres Käses“ zu betreuen gibt, hat sie genug.
Sie kündigt und heuert im unabhängigen Verlag eines aparten Intellektuellen-Paars an. Hier verdient sie zwar weniger Geld, kann aber vergleichsweise selbständig arbeiten. Und das ist eine Erkenntnis, nach der Adélaïde schließlich auch ihr Privatleben ausrichtet: Lieber selbst die Zügel in der Hand behalten, statt nach der Pfeife eines Mannes zu tanzen.

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