Cherie Jones: "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt"

Blick in den (männlichen) Abgrund

03:00 Minuten
Das Cover des Krimis von Cherie Jones, "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt". Es zeigt den Namen der Autorin und den Titel auf einem mehrfarbigen Hintergrund, von oben nach unten Gelb, Rot und Türkis.
© Culturbooks

Cherie Jones

Aus dem Englischen übersetzt von Karen Gerwig

Wie die einarmige Schwester das Haus fegt CulturBooks, Hamburg 2022

325 Seiten

25,00 Euro

Von Katrin Doerksen · 16.09.2022
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Prügelnde Ehemänner, vergewaltigende Väter: Cherie Jones erzählt in ihrem Krimidebüt von häuslicher Gewalt auf der Karibikinsel Barbados. Über Generationen hinweg teilen die Frauen lähmende Hilflosigkeit.
Die Geschichte von der „einarmigen Schwester“, die Cherie Jones’ Roman den Titel gegeben hat, erzählen Eltern auf der Karibikinsel Barbados ihren Töchtern eigentlich als Warnung, dass Ungehorsam nirgendwohin führt. In Lalas Fall funktioniert das nicht. Für das kleine Mädchen aus dem Küstenstädtchen Baxter Beach ist es eher eine spannende Abenteuergeschichte.

Gewalt über Generationen hinweg

So bewahrheiten sich Jahre später die schlimmsten Befürchtungen ihrer Großmutter: Lalas eigenes Leben verwandelt sich in eine sich unerbittlich in Richtung Abgrund drehende Gewaltspirale. Nicht nur, dass ihr Ehemann Adan sich nach der ersten Phase des Werbens als brutaler Schläger entpuppt und sein Versuch, in einer nahe gelegenen Villa einzubrechen, entsetzlich aus dem Ruder läuft. Sie verliert auch noch ihr Baby infolge eines so tragischen wie sinnlosen Unfalls.
Ob nun bei Lala, ihrer eigenen Mutter, der Großmutter oder den übrigen Frauen aus Baxter Beach - in Cherie Jones’ Krimi-Debüt „Wie die einarmige Schwester das Haus fegt“ wird die Gewalt über Generationen hinweg vererbt. Immer wieder führen Exkurse zu den Vorgeschichten der Figuren oder zu ihren Vorfahrinnen, zu prügelnden Ehemännern, vergewaltigenden Vätern, übergriffigen Liebhabern.
Gemein ist all den Frauen über die Dekaden hinweg eine lähmende Hilflosigkeit. Im Umgang mit der Gewalt selbst und überhaupt ob der Tatsache, dass ihr Leben statt von ihren eigenen Leistungen und Träumen geradezu ausschließlich vom gesellschaftlichen Status und Charakter ihrer Männer abhängt.

Windschiefe Strandhütten neben Villen

Letztlich kehrt „Wie die einarmige Schwester das Haus fegt“ aber immer wieder zu Lala zurück, zu ihrer naiven, manchmal geradezu kleinkindlich anmutenden Weltwahrnehmung. Es ist ein Selbstschutzmechanismus: Jones beschreibt mit jedem Kapitel expliziter, welcher Gewalt Lala ausgesetzt ist, wie ihr Ehemann in jeder Hinsicht ihr Denken und Handeln dominiert, und was es für ihren Selbstwert bedeutet, wenn sie den Tag damit beginnt, darüber nachzudenken, welche scharfkantigen Gegenstände sie in ihrem eigenen Haus besser aus dem Sichtfeld räumt, damit ihr Mann sie damit nicht verletzt.
Cherie Jones’ Geschichte nimmt einen emotional in die Mangel. Aber nicht allein um des billigen Effekts willen. Der Roman spielt die meiste Zeit an einem kleinen Strandabschnitt, auf dem die gegensätzlichsten Lebensrealitäten aufeinander treffen. Die windschiefe Strandhütten bewohnenden Anwohner neben den reichen Villenbesitzern, Sexarbeiter*innen zwischen mehr oder weniger ignoranten Pauschaltouristen, die Kriminellen im Augenwinkel der Polizisten: Sie alle laden den Ort mit einer Komplexität auf, die das Klischeebild vom Inselparadies Lügen straft. Und mitten unter ihnen die einheimischen Teenager, die im Sand sitzen und sich ganz weit weg träumen. Cherie Jones bringt einen dazu, sie zu verstehen.
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