Christoffer Carlsson: "Was ans Licht kommt"

Die Mörder sind unter uns

Auf dem Bild ist eine einsame schwedische Holzhütte am Strand zu sehen. Vor der Hütte eine Person in einer Regenjacke, im Hintergrund ist das Meer. Neben der Horizontlinie der Buchtitel und der Autorenname.
© Rowohlt Verlag

Christoffer Carlsson

Übersetzt von Ulla Ackermann

Was ans Licht kommtRowohlt, Hamburg 2022

492 Seiten

23,00 Euro

Von Tobias Gohlis · 05.08.2022
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Angriff aufs Idyll: Christopher Carlsson verbindet in seinem Krimi "Was ans Licht kommt" die Ermittlungen zu einem Fall im südschwedischen Halland mit dem bis heute nicht völlig aufgeklärten Attenttat auf Olof Palme.
Halland liegt südlich von Göteborg. Mit zwei Büchern ist diese friedliche Gegend zum neuen Hotspot der schwedischen Kriminalliteratur geworden. Schuld daran ist der mit 36 Jahren noch immer sehr junge Christoffer Carlsson. Er ist zum Studium der Kriminologie nach Stockholm gegangen, hat dort promoviert, hat nebenbei drei Kriminalromane um den Kripomann Leo Junker verfasst, wurde mit Preisen für diese Romane wie für seine wisssenschaftlichen Arbeiten ausgezeichnet.
Er ist jetzt mit zwei Romanen über die Polizisten Jörgensson literarisch in seine Heimat Halland zurückgekehrt und damit auf der Krimibestenliste gelandet. Aktuell im August, mit „Was ans Licht kommt“.

Bester schwedischer Krimi seit Arne Dahls "Misterioso"

Völlig zurecht: Mir ist jedenfalls seit dem Debüt von Arne Dahl  2002 mit „Misterioso“ kein derart klug gearbeiteter und soziologisch weiser Krimi aus Schweden mehr vor die Kritikerbrille gekommen.
Die trauten Schärenfelsen und rot gestrichenen Holzwände auf dem Einband von „Was ans Licht kommt“ täuschen über die Tiefen und Verästelungen des Inhalts hinweg: Schon der namenlose Ich-Erzähler aus der Handwerkerfamilie Carlsson, aber zehn Jahre älter als der Autor, könnte ein Konstrukt aus der berühmten nordischen Autofiktionswerkstatt für Weltliteratur sein.
Dabei ist dieses Ich noch etwas anderes. Der Erzähler ist zugleich Erfinder einer Seelengeschichte aus der halländischen Heimat, in die er zurückgekehrt ist, ist eine Art True-Crime-Reporter über zwei Serienmorde und Vergewaltigungen, die 1986 in der Nähe des Gutshofs Tiarp begangen wurden und wird sogar selbst zum Nebenermittler in den Fällen, deren Details er angeblich erfunden hat.
Denn ihm gelingt es schlussendlich, den „Tiarp-Mörder“ zu identifizieren, den die Polizei und seine beiden Hauptfiguren, Vater Sven und Sohn Vidar Jörgensson, über 30 Jahre lang vergeblich gesucht haben.

Kategorischer Zweifel an Recht und Gesetz

Das ist aber nur der vertrackte Rahmen, das narrative Drumrum. Denn im Kern geht es in der unglaublich wendungs- und irrtumssatten Erzählung um die Zerstörungen, die das Verbrechen in einem bisher weitgehend friedlichen oder als friedlich empfundenen Sozialwesen anrichtet, bei den Opfern wie bei den Ermittlern.
Letztere zerbröseln – nicht schwedisch-klischeehaft an Alkohol und Melancholie, sondern am Widersinn, der darin liegt, mit den strukturell unzulänglichen Mitteln der Justiz und mit persönlichem Einsatz den Opfern Gerechtigkeit verschaffen und durch Wahrheit zu Sühne gelangen zu wollen.
Ausdruck dieses kategorischen Zweifels an Recht, Gesetz und Stabilität ist die Romankonstruktion Carlssons, der den ersten Mord an der zwanzigjährigen Hotelangestellten Stina Franzén mit dem bis heute nicht völlig geklärten Mord an Ministerpräsident Olof Palme, dem Trauma der schwedischen Wohlfahrtsgesellschaft, zeitlich zusammenfallen lässt. Große Literatur, großer Kriminalroman!
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