Oliver Bottini: "Einmal noch sterben"

Was wusste "Curveball"?

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Das Cover des Krimis von Oliver Bottini, "Einmal noch sterben". Es zeigt eine Frau in schwarzer Kleidung von hinten, die in einer orientalisch anmutenden Stadtlandschaft auf einer Treppe steht. Das Buch ist auf der Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur.
© Dumont

Oliver Bottini

Einmal noch sterbenDuMont, Köln 2022

432 Seiten

25,00 Euro

Von Thomas Wörtche · 09.09.2022
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Oliver Bottini fragt in seinem Politithriller "Einmal noch sterben" nach der Rolle, die der Bundesnachrichtendienst im letzten Irakkrieg gespielt hat. Weltpolitik, aus der fiktionalen Perspektive betrachtet: ein hervorragender Roman.
Oliver Bottinis neuer Roman „Einmal noch sterben“ spielt hauptsächlich im Februar 2003. Der Krieg gegen den Irak ist in den USA längst beschlossene Sache, am 5. Februar hält Colin Powell seine berüchtigte „Massenvernichtungswaffen“-Rede vor dem UN-Sicherheitsrat, um die „Koalition der Willigen“ auf Kurs zu bringen. Doch die deutsche Bundesregierung schließt sich nicht an.
Das passt einer mächtigen Gruppierung innerhalb und außerhalb des Bundesnachrichtendienstes überhaupt nicht, stützt sich doch die Argumentation der Falken wesentlich auf eine BND-Quelle mit dem Codenamen „Curveball“. Als eine irakische Dissidentin auftaucht und Material verspricht, das Curveball als Betrüger entlarven und damit die Legitimität des Krieges in Frage stellen könnte, beginnt ein fieses Intrigenspiel. Ausgestattet mit einer beinahe perfekten Lügengeschichte wird der BND-Agent Frank Jaromin nach Bagdad geschickt, um die Irakerin zu liquidieren: Man lässt ihn glauben, sie sei eine gefährliche Terroristin.

Vertrauen, Verrat und Loyalität

Das ist aber nur eine Ebene eines sehr vielschichtigen Plots um Vertrauen und Verrat, um Loyalität und die Konsequenzen von großer Politik für Menschen, Beteiligte und Unbeteiligte gleichermaßen. Jaromin hat Frau und Kinder, die höchst gefährdet sind. Die BKA-Polizistin Hanne Lay, die für das Kanzleramt die Lage rund um den suspekten Curveball sondieren soll, riskiert Leib und Leben und ihre Karriere ebenso. Kaum eine der Hauptfiguren des Romans kommt unbeschadet davon.
„Einmal noch sterben“ ist allerdings keiner der üblichen historischen Thriller, Oliver Bottini nennt seinen Roman ein „Gedankenspiel“, deswegen fiktionalisiert er die Namen der handelnden Figuren. Die Geheimdienstchefs hießen damals anders, der Name von Bundeskanzler Schröder wird nicht genannt, auch Bush und Powell werden nicht erwähnt. Nur Curveball ist „echt“, sein Schicksal und seine Legende kann man sogar auf Wikipedia nachlesen, unter seinem richtigen Namen Rafid Ahmed Alwan.

Enorme Spannung

Insofern leitet sich die enorme Spannung des Romans nicht von der Frage her, ob man den Irak-Krieg noch in letzter Minute verhindern kann, sondern eher von der Frage, wie weit Institutionen, die man demokratisch abgesichert und fest in den „westlichen Werten“ verwurzelt glaubt, aus machiavellistischen Gründen zu gehen bereit sind. 
Unter der reichlich vorhandenen Action und den oft herzzerreißenden Schicksalen der Figuren liegt ein bitterböser Kommentar zu den politischen Verhältnissen, bei dem das „damals“ ganz schnell zum „heute“ wird, wenn man – Gedankenspiele eben – die Mechanismen von Weltpolitik aus einer fiktionalen Perspektive betrachtet, im Grunde die einzige Perspektive, die tiefere Erkenntnisse jenseits offizieller Einschätzungen erlaubt.
Oliver Bottinis unaufgeregte, sachliche Prosa verzichtet auf sensationsheischende Hysterie, Cheap Thrills und vor allem auf die verschwörungstheoretische Gewissheit, dass in Wirklichkeit alles genau so verlaufen sei. Das alles mach „Einmal noch sterben“ zu einem hervorragenden Roman.
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