„Charmant, hochintelligent, aber auch schwierig“

Moderation: Susanne Burg |
WikiLeaks-Gründer Julian Assange nahm 2010 Kontakt zum britischen Journalisten Luke Harding auf, um geheime Dokumente der US-Botschaften zu veröffentlichen. Harding arbeitete für den „Guardian“ und wollte seine Quellen schützen. Das führte zum Zerwürfnis mit Assange, der alles veröffentlichen wollte: „Wir waren mehr sorgfältig, und deswegen gab es später Probleme.“
Frank Meyer: Die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat seit 2007 eine Menge brisanter Daten veröffentlicht: interne Bankdokumente, geheime Schreiben von Scientology oder die Mitgliederliste der rechtsextremen British National Party. Für das größte Aufsehen hat das Cablegate gesorgt. Im November 2010 hat WikiLeaks viele, viele Berichte von US-Diplomaten öffentlich gemacht. Berichte über Regierungen und hochrangige Politiker in aller Welt. Heute kommt der Film „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“ in unsere Kinos. Unsere Kritikerin Anke Leweke stellt Ihnen den Film vor.

Das Drehbuch für diesen Film, das basiert auf zwei Büchern über WikiLeaks. Das eine ist ein Buch vom WikiLeaks-Mitgründer Daniel Domscheidt-Berg, und das zweite Buch, das haben Luke Harding und David Leigh geschrieben, zwei britische Journalisten vom „Guardian“. Mit einem der beiden, mit Luke Harding, hat meine Kollegin Susanne Burg gesprochen und zuerst gefragt: Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Fall Julian Assange zu beschäftigen?

Luke Harding: 2010 war ich für den „Guardian“ in Moskau tätig. Ich war Russlandkorrespondent und ich saß damals in meinem Büro, und ich hab einen Artikel gefunden über Julian Assange und WikiLeaks, also auf Russisch. Und Julian hat versprochen, eine ganze Menge Geheimnisse über Russland zu veröffentlichen. Und ich dachte, okay, ich muss irgendwie dabei sein, ich muss da mitmachen. Und ich hab eine E-Mail an David Leigh geschickt und ich kriegte eine sehr mysteriöse Antwort. Er hat einfach gesagt: Komm sofort nach London! Und das war der Anfang.

Burg: Und die mysteriöse E-Mail ging darauf zurück, dass David Leigh schon längst auch Kontakt hatte zu Julian Assange.

Harding: Ja. Ich bin nach London geflogen, und da entdeckte ich, das David schon eine lange Beziehung mit Julian Assange hatte. Also wir haben schon die Irak-Logs und Afghanistan-Logs, also diese Kriegsberichte, veröffentlicht. Aber was als Nächstes kam, nannten wir Package three auf Englisch, also der dritte Teil. Und das waren diese Depeschen, diese Botschaftsberichte, eine Viertelmillion von amerikanischen Botschaften nicht nur in Deutschland, sondern der ganzen Welt. Und das hab ich gesehen, ich habe mitgemacht, und das war etwas Erstaunliches.

Burg: Das war ja ein ganzer Schwall an Material, der dann in kurzer Zeit eigentlich ans Tageslicht kam. Beginnen wir noch mal am Anfang. Sie beschreiben ausführlich die Anfänge der Zusammenarbeit des „Guardian“ mit Julian Assange. Und die waren schon von Beginn an, als Assange noch völlig unbekannt war, etwas holprig.

Assange, schreiben Sie, hat wohl ständig Mails an den Chefredakteur des „Guardian“ geschrieben, an Alan Rusbridger, und ihn versucht, dazu zu bewegen, Geschichten zu veröffentlichen. Sie schreiben, Assanges Leaks waren nicht so umwerfend interessant. Waren Sie das aus heutiger Sicht tatsächlich nicht, oder war man damals einfach noch nicht vertraut genug mit Whistleblowern?

Harding: Ja, wir waren nicht so vertraut mit Whistleblowern. WikiLeaks war damals ganz winzig, also, Julian hat den Eindruck gegeben, dass er viele Mitarbeiter hatte, 40, 50, 100 Leute in aller Welt. In Wirklichkeit war es noch Julian am Anfang ganz allein. Dann kam Daniel Domscheidt-Berg und ein paar andere. Aber es war ein sehr kleines Outfit.

Aber wir hatten am Anfang eine ziemlich gute Beziehung, würde ich sagen, obwohl Julian immer skeptisch war gegenüber dem, was er „Mainstream Media“ genannt hat, und das bedeutet, „Guardian“, „Spiegel“, „New York Times“ und so weiter. Er dachte, dass wir irgendwie Feiglinge wären, und er hatte seine eigene Philosophie. Also, er dachte und er denkt, dass, wenn alle Informationen freigegeben sind, die Welt sich in eine bessere Richtung bewegt. Wir waren mehr sorgfältig, und deswegen gab es später Probleme.

Burg: Sie sagen, Sie waren sorgfältig. War es tatsächlich so, dass da auch zwei unterschiedliche Positionen aufeinandergeprallt waren? Denn sorgfältig heißt ja auch, Sie haben einen Ethos. Sie sind auch verpflichtet, Persönlichkeitsrechte von Menschen zu schützen.

Harding: Ja, genau. Und das war für mich sehr, sehr, sehr wichtig, weil ich damals in Russland tätig war, und bei diesen Botschaftsnachrichten gab es viele Quellen, die Informationen gegeben haben, also nach Washington geschickt mehr oder weniger. Sie sind genannt, also sie sind erwähnt – es gibt Namen. Und ich und meine Kollegen vom „Guardian“, wir waren uns einig, dass wir diese Namen nicht veröffentlichen. Julian, im Gegenteil, wollte alles veröffentlichen.

Burg: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem britischen Journalisten Luke Harding. Er hat zusammen mit David Leigh ein Buch über Assange geschrieben und über WikiLeaks, das unter anderem Grundlage war für den neuen Film „Inside WikiLeaks – Die fünfte Macht“.

Herr Harding, 2010 gab es ja eine große Geschichte dann über diese Kriegslogbücher, die in drei Zeitungen am gleichen Tag veröffentlicht wurden, in der „New York Times“, im „Spiegel“ und dem „Guardian“. Wenn man jetzt aber den Bogen schlägt zur heutigen Zeit – nun gibt es Edward Snowden. Der hockt ja in Russland und verbreitet seine Informationen über die NSA häppchenweise. Wie unterscheidet sich die Zusammenarbeit zwischen den Medien und Edward Snowden heute von der damals mit Julian Assange?

Harding: Ich denke, es geht um die Persönlichkeiten von Edward Snowden und Julian Assange. Also, Bradley Manning damals, sitzt schon im Gefängnis. Der ist im Mai 2010 verhaftet worden. Und mehr oder weniger war Julian Assange unsere Quelle. Also die Persönlichkeit von Julian ist sehr schwarzweiß. Also ich fand ihn charmant, auf jeden Fall, hochintelligent, aber auch schwierig. Einen Augenblick war er freundlich und sympathisch und so weiter, und im nächsten war er wie ein Vulkan. Und Edward Snowden, im Gegenteil, liebt die Öffentlichkeit nicht, also hatte keine Erfahrung mit Journalisten sogar, als er noch in Hawaii war als Mitglied oder Kontraktor der NSA. Und er ist eine ganz andere Persönlichkeit.

Burg: Aber gleichzeitig ist es ja auch so, Edward Snowden hat sich wie in guten alten Agententagen in einem Hotel getroffen, um Informationen weiterzugeben. Damals bei Julian Assange und Wikileaks hat man ja noch wirklich auch an digitale Übertragungswege geglaubt. Ich hab mich gefragt, wie sich eigentlich das Whistleblowing seit WikiLeaks verändert hat?

Harding: Also erstens, Material geheim zu halten ist bei dieser neuen Welt von Big Data fast unmöglich. Also alle Regierungen wissen jetzt, dass, was sie im elektronischen Format schreiben, später veröffentlicht werden kann, was eigentlich der Fall ist. Also nicht nur, was wir bei WikiLeaks hatten – das waren geheime Dokumente, aber nicht streng geheim. Aber was wir von Snowden gekriegt haben, ist streng geheim. Und nicht nur ein paar Dokumente, sondern die Zahl ist sehr hoch.

Szene aus „Inside WikiLeaks“ (Bild: dpa)


Burg: Eine Zeit lang herrschte ja auch die Sorge, der Bürgerjournalismus, wie man es nannte, würde den klassischen Medien den Rang ablaufen. Wie würden Sie denn das Verhältnis von Whistleblowern zum investigativen Journalismus heute beschreiben?

Harding: Ich denke, die Beziehung ist gut, auf jeden Fall, aber das Problem damals mit Julian war verschiedene Philosophien, also, dass wir nicht alles veröffentlicht haben, war für Julian nicht akzeptabel. Und jetzt, wenn ich meinen Laptop anschaue, jeden Morgen gibt es einen Tweet von Julian gegen den „Guardian“, gegen mich persönlich, gegen David Leigh und so weiter.

Burg: Es ist aber auch Tatsache so, dass die britische Regierung den „Guardian“ unter Druck gesetzt hat und unter Druck setzt. Eine Weile lang war der Guardian sehr, sehr vorsichtig, Geschichten zu veröffentlichen. Wie gut hat denn der Druck aus Sicht der Regierung funktioniert? Wie groß ist die Angst vor juristischen Konsequenzen beim „Guardian“?

Harding: Die Angst ist sehr groß. Also, Sie wissen, dass die britische Regierung unsere Computer zerstört hat, also, das haben wir gemacht, aber nur unter großem Druck von der Regierung. Sie haben uns mehr oder weniger gesagt, okay, wenn Sie das nicht machen, dann kommen schon morgen juristische Schritte gegen Sie, also wegen Hochverrats. Das ist wirklich sehr ernst, und die Debatte hier in England ist ganz verschieden.

Was jetzt in Deutschland läuft, ist erstaunlich und sehr gut, wie ich finde, also für eine Demokratie, das alles zu besprechen, das alles zu verstehen, wie wichtig das ist, diese Debatte. Aber in England, also wir haben James Bond, wir haben diese altmodische Beziehung mit Spionen und wir haben David Cameron, der behauptet, dass Spione gut sind, und er will das Thema weiter nicht vernünftig besprechen.

Burg: Nun haben Sie ja auch noch mal einen ganz besonderen Blickwinkel auf die ganze Geschichte, denn Sie, haben Sie ja erwähnt, waren in Russland Korrespondent, mussten dann das Land verlassen aufgrund eben auch dieser WikiLeaks-Veröffentlichungen, haben kein Visum mehr bekommen. Nun sitzt Edward Snowden in Russland, ausgerechnet.

Harding: Ja, also das ist eine sehr heikle Frage, und ich hab sehr viel darüber nachgedacht. Es ist ein bisschen ironisch, weil was Edward Snowden mehr oder weniger veröffentlicht hat zusammen mit Journalisten, ist, was wir jetzt wissen, ist, dass die Vereinigten Staaten ein absolut großes, weltweites Überwachungssystem gemacht hat, also nicht nur im letzten Jahr, sondern in den letzten Jahrzehnten.

Das ist sehr wichtig, aber im gleichen Moment, wie Sie sagen, sitzt er jetzt in Moskau. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es auch ein Überwachungssystem in Russland gibt. Sie haben mich überwacht, ständig, und meine Frau und meine Kinder auch, und letztendlich bin ich rausgeschmissen worden von Russland. Also ich kriege kein Visum mehr. Ich weiß, was das bedeutet.

Meyer: Der britische Journalist Luke Harding. Susanne Burg hat mit ihm über Überwachung und Wikileaks gesprochen. Heute kommt der Film „Inside WikiLeaks – Die fünfte Macht“ in unsere Kinos.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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