"Ich habe ihn anders kennengelernt"

Till Tolkemitt im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.04.2011
Dass WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Öffentlichkeit als "eigenartige Person" wahrgenommen wird, sei vor allem auf Hetzkampagnen seiner Gegner zurückzuführen, sagt Till Tolkemitt, der kürzlich den von Assange mitverfassten Roman "Underground" auf Deutsch verlegt hat.
Joachim Scholl: Für amerikanische Behörden ist er ein Staatsfeind, für die schwedische Justiz ein potenzieller Sexualverbrecher, für die Weltöffentlichkeit ist Julian Assange aber auch eine Art digitaler Robin Hood, der mit seinem Unternehmen WikiLeaks vertrauliche Informationen frei verteilt. Wie seine Karriere als Hacker begann, lässt sich einem Buch entnehmen, das jetzt auf Deutsch erscheint, geschrieben von der australischen Journalistin Suelette Dreyfus zusammen mit Julian Assange. Der deutsche Verleger ist Till Tolkemitt, er ist jetzt im Studio – willkommen im "Radiofeuilleton".

Till Tolkemitt: Hallo, guten Tag!

Scholl: Sie haben Ihren Autor Julian Assange gerade vor ein paar Tagen in London getroffen, was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Tolkemitt: Erstaunlich entspannt – ich hatte vielleicht eine etwas mehr gehetzte Persönlichkeit erwartet –, sehr cool, sehr freundlich und geradezu wohlerzogen und ansonsten sehr wohlinformiert, sehr intelligent, das waren meine Eindrücke.

Scholl: Und er hat sich wohl gefreut über die deutsche Ausgabe von "Underground"?

Tolkemitt: In der Tat, ja, worüber ich mich gefreut habe.

Scholl: Kommen wir auf das Buch, Herr Tolkemitt, ein Tatsachenroman, heißt es. Das Buch gibt es schon seit 1997, als Download ist es seitdem frei verfügbar im Netz. Seit letztem Jahr, dem Jahr des Weltruhms für Julian Assange, hätte man eigentlich vermutet, dass sich die gesamte deutsche Verlegerwelt drauf stürzt. Wie haben Sie denn diesen jetzt so hoch attraktiven Fisch an Land ziehen können?

Tolkemitt: Ja, wir alle haben es, glaube ich, in der Verlagsszene wahrgenommen, dadurch dass es zum ersten Mal im Sommer letzten Jahres in einem Artikel, in einem langen Assange-Porträt im "New Yorker" erwähnt wurde das Buch und dann auch an anderer Stelle, in der "FAZ" und sogar hier im Deutschlandradio erwähnt wurde. Und dann habe ich einfach sehr, sehr schnell gelesen und sehr, sehr schnell gehandelt und Kontakt mit der Autorin aufgenommen, Suelette Dreyfus, die an der Uni Melbourne arbeitet. Und zum Glück geht es nicht nur um Geld beim Büchermachen, sondern auch manchmal um Vertrauen und Beziehungen. Insofern bin ich ganz schnell hingefahren zu ihr und hab mich mit ihr hingesetzt und gesagt, ich will dieses Buch gerne machen, und ich glaube, wir können das ganz toll machen. Und wir haben uns wunderbar verstanden, und so kam es dann dazu.

Scholl: Und dann hat man Sie auch nicht gleich überzogen mit exorbitanten Forderungen …

Tolkemitt: Nein, ich hab das klargemacht, dass wir das nicht können und dass wir alle nur gemeinsam reich werden.

Scholl: Es ist die Geschichte der frühen Hackerelite, die sich Ende der 80er-Jahre in Australien formiert, so junge Nerds mit Atari-Computern, Commodore-64-Modellen, primitiven Modems im Kinderzimmer zusammengebastelt gewissermaßen, und einer von Jungs nennt sich Mandax. Und das ist, obwohl es nirgends steht, Julian Assange. Was erfahren wir denn aus diesem Buch, Herr Tolkemitt, über diesen Jungen, er ist damals 16, 17 Jahre alt?

Tolkemitt: Also über Mandax, auch ich kann nicht bestätigen, ob das nun Assange ist oder nicht, ich war auch nicht dabei damals, und die beiden Autoren sagen dazu nichts, also kann ich Ihnen das auch nicht verifizieren. Aber in der Tat, es gibt Parallelen zu seinem Leben, die auch an anderer Stelle schon ausgewertet wurden: 35 verschiedene Schulen besucht während seiner Kindheit, also quasi immer umgezogen, ein Leben on the run, so wie er es jetzt auch führt, aus dem Koffer heraus. Zwei Stiefväter, die beide nichts waren, sage ich mal so, und dann ist er auch jung Vater geworden, mit 18. Man lernt aber auf der anderen Seite eine gewisse Besessenheit im Computerhacken und sicherlich auch eine hohe Intelligenz – ob die nun eine soziale Intelligenz ist, sei mal dahingestellt, aber zumindest eine hohe Intelligenz, was diese Hackerfragen anbelangt – und zuletzt auch ein politisches Interesse, alsodass Hacken an sich als Selbstzweck nicht genug ist, das steht schon in diesem Buch.

Scholl: Es ist ja schon erstaunlich, was diese Freaks mit ihrer Steinzeitgerätschaft, wie sie uns natürlich heute vorkommt, obwohl die Zeit gar nicht so lange her ist, wenn man es sich so klar macht, also die hacken sich in NASA-Netzwerke ein oder in die Citibank. Wie ist man damals eigentlich umgegangen mit solchen Angriffen, die ja völlig neu waren?

Tolkemitt: Na ja, genau, die waren eben neu, und insofern waren diese Netzwerke auch noch nicht großartig geschützt. Man musste eigentlich nur die Telefonnummer finden, die den Zugang zulässt, und man brauchte dann Passwörter. Es gibt eine ganz wunderbare Stelle in diesem Buch, wo gezeigt wird, dass dieser Mendax zum Beispiel anruft bei der größten australischen Telefongesellschaft und dort einfach sich als Systemadministrator ausgibt – im Hintergrund hat er also Büroklappern auf einem Kassettenrekorder aufgenommen, damit es so klingt, als wäre er tatsächlich aus der Technikabteilung – und nach dem Passwort eines Menschen fragt und das dann auch sofort kriegt, und zack, ist er drin. Das waren tatsächlich die frühen Tage, und das Internet in dieser Form gab es noch nicht oder es war eben geschlossen. Das war ein System fürs Militär und für andere große Organisationen.

Scholl: "Underground", ein Tatsachenroman, mitverfasst von WikiLeaks-Gründer Julian Assange, im Deutschlandradio Kultur im Gespräch hier mit dem deutschen Verleger Till Tolkemitt. "Was sind Hacker für Leute, warum brechen sie in fremde Computer ein?", das ist der erste Satz, die Frage von der Autorin Suelette Dreyfus in ihrer Einleitung. Bekommen wir als Leser eine Antwort auf diese Frage, eventuell auch von Mandax, von Julian Assange selbst?

Tolkemitt: Also ich bin mir nicht sicher, ob die Antwort, die in dem Buch gegeben wird, heute noch gilt, wo vielfach staatliches Hackertum vorkommt. Wenn Sie an Stucksnet denken, dann haben wir es hier nicht mehr mit unabhängigen Hackern zu tun, sondern höchstwahrscheinlich mit Angriffen von Staaten auf andere Staaten. Viele Hacker sind jetzt in Russland und China beheimatet. Aber damals, ja, gilt fast so etwas wie das Klischee, wir haben es mit jungen Leuten zwischen 17 und 20 zu tun. Die alte Generation hatte noch keinen Computer Ende der 80er-Jahre, das waren die ersten Computer, und wir haben es etwas mit, ja, heute sagt man nerdigen Charakteren zu tun, Einzelgängern, die dann eine hohe Intelligenz in diese Richtung entwickelt haben, auch unheimlich viel Zeit investiert haben. Und das Motiv, jetzt einzudringen, also ich meine, welcher 17-Jährige steht plötzlich vor den Computern der NASA und möchte nicht gerne einmal dahinter gucken und mal rumgucken. Also ich muss sagen, ich kann das auch heute noch nachvollziehen. Und dazu kam noch die weltweite Verknüpftheit, die uns jetzt das Internet tagtäglich ganz normal bietet, die gab es damals nicht, aber die Hacker hatten Zugang zu diesen Netzwerken und konnten plötzlich mit anderen Leuten chatten, die auf der anderen Seite der Welt saßen. Und diese Neugierde, die war natürlich dabei, es gab schwarze Schafe, die Kreditkartenbetrug, also Kreditkartennummern da irgendwie rausgefunden haben ...

Scholl: Die ja interessanterweise dann wirklich sozusagen verachtet wurden von den anderen Hackern ...

Tolkemitt: Ganz genau, das war ...

Scholl: ... weil es nur einfache Verbrecher waren.

Tolkemitt: Erstaunlicherweise hat sich das nicht durchgesetzt.

Scholl: Deswegen liest man dieses Buch ja, glaube ich, auch vor dem Hintergrund natürlich der WikiLeaks-Erfolgsgeschichte mit besonderem Interesse, weil man vermutet – ja, man könnte vermuten –, dass hier schon so ein bisschen die Ideologie deutlich wird. War sie damals in den späten 80er-Jahren bei diesen Hackern, also vielleicht auch bei diesem Mandax, sozusagen diese Transparenz, diese Sucht nach Transparenz, also freie Verfügbarkeit von Informationen, das System praktisch bloßzustellen und ohne kommerziellen Nutzen ... Man hat ja beim Lesen schon das Gefühl, dass es damals auch schon so edle Cyberrebellen waren, die gegen den bösen Sheriff von Nottingham gekämpft haben.

Tolkemitt: Ja, es gibt tatsächlich damals wie heute dieses Motiv David gegen Goliath, zum einen. Zum anderen stellte sich auch Ende der 80er-Jahre für die Hacker die Frage, die aus Neugierde und vielleicht auch um sich vor anderen Hackern großzutun, guck mal, ich war in der NASA, also so im inneren Zirkel, nach außen konnte man das ja nicht tragen, die also plötzlich an Informationen kamen, die ihnen hochinteressant erschienen. Da gab es zum Beispiel den einen Hacker, der in das System der kalifornischen Sicherheitsfirma eindrang, ein privates Unternehmen, die damals das Starwars-Programm für Reagan gebaut haben, und hat da ganz viele Informationen gehabt. Und was macht man dann damit? Das ist ja das Thema von WikiLeaks heute. Ich habe Informationen, die eventuell die ganze Welt interessieren sollten, wenn man eine gewisse Einstellung hat, und ich weiß jetzt nicht wohin. Und darauf ist WikiLeaks die Antwort. Hier gibt es eine Plattform, die solche Informationen sicher veröffentlichen kann, mit vielleicht auch den Nachteilen, dass es dann noch nicht redaktionell gefiltert ist.

Scholl: Das ist ja auch, glaube ich, jetzt auch die Kritik, die natürlich an WikiLeaks geäußert wird, und insofern hat die WikiLeaks-Erfolgsgeschichte ja immer jetzt schon, ja, ist im Diskurs und hat schon Risse bekommen, also die Informationen, wie sie öffentlich gemacht werden und was eigentlich damit bezweckt wird. Julian Assange ist inzwischen eine umstrittene Person geworden, Mitstreiter haben ihm den Rücken gekehrt, andere ähnliche Plattformen sind entstanden. Hat die Geschichte, die er vielleicht selbst losgetreten hat, ihn inzwischen überholt?

Tolkemitt: Ich glaube nicht, ehrlich gesagt. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Assange und WikiLeaks einigen sehr mächtigen Menschen und Organisationen auf die Füße getreten hat, und die wehren sich. Und das ist auch veröffentlicht, dass der amerikanische Geheimdienst seitenweise Memos veröffentlicht hat oder geschrieben und die dann auch veröffentlicht wurden: Wie kann man diese Jungs von WikiLeaks mundtot machen? Und da steht dann eben, Hetzkampagne gegen ihn und anzweifeln, dass die Technik sicher ist. Die Bank of America hat auch so etwas gemacht. Wer sich mit solchen Leuten anlegt, als Kleiner, der kriegt ordentlich einen auf die Fresse, auf Deutsch. Und ich denke, ein Teil dieser, dass wir jetzt Julian Assange als so eigenartige Person da sehen, geht sicherlich auf diese Kampagne zurück. Und vielleicht ist er ansonsten auch menschlich gesehen nicht immer einfach, das mal dahingestellt. Das sind ganz viele andere, die was zu sagen haben und für Schlagzeilen sorgen auch. Ich habe ihn anders kennengelernt.

Scholl: Kurz noch: Haben Sie ihn vielleicht auch mal gefragt, wie es ist so, wenn er so an die späten 80er in Australien zurückdenkt, waren das irgendwie romantische, schöne Zeiten?

Tolkemitt: Ja, er hat gesagt, dass er stolz ist, dabei gewesen zu sein, weil es eben so eine Gründungsgeneration war. Und die Romantik, auf mich hat er nicht besonders romantisch gewirkt in den Dingen, also so wie er die Vorkommnisse schildert, aber Stolz war dabei. Und er hat gesagt, es war aufregend einfach auch. Das muss man mal sagen. Und die wurden dann auch vom Geheimdienst verfolgt und so weiter, vielleicht ein Teil eingebildet, ein anderer Teil aber definitiv wahr. Er wurde dann ja auch gefasst, und auch so was hat natürlich einen Thrill. Da gehört man plötzlich als 18-Jähriger einer Gemeinde an, die verfolgt wird vom Geheimdienst. Irgendwo ist das ja auch cool.

Scholl: "Underground. Die Geschichte der frühen Hackerelite", der Tatsachenroman von Suelette Dreyfus und Julian Assange ist jetzt auf Deutsch im Verlag Haffmans und Tolkemitt erschienen, mit 603 Seiten zum Preis von 24,90 Euro. Till Tolkemitt, ich danke Ihnen für den Besuch!