Chanukka-Bräuche

Schenken und Teilen beim jüdischen Lichterfest

08:14 Minuten
Ein Chanukka-Leuchter mit bunten Kerzen. Im Hintergrund sind Schoko-Weihnachtsmänner zu sehen.
Chanukka ist das hebräische Wort für "Einweihung": Der Leuchter erinnert daran, wie das Licht in Jerusalem zurück in den Tempel kam. © Miron Tenenberg
Von Miron Tenenberg · 18.12.2022
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Das jüdische Lichterfest Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem vor über 2000 Jahren. Geschenke spielen dabei keine so große Rolle wie zu Weihnachten. Aber sie gehören dazu – und die Kinder sollen etwas davon abgeben.
Ein Chanukka-Abend im vergangenen Jahr bei Familie Poznanski in Berlin-Mitte. Die Großeltern und Urgroßeltern sitzen am Tisch, die Kinder rennen umher, und die Eltern kümmern sich noch schnell um die letzten Vorbereitungen. Zum Sonnenuntergang werden die Lichter des achtarmigen Leuchters angezündet.
Jeden Abend kommt eine Kerze mehr dazu, sodass zum Schluss, am achten Tag, alle Kerzen der Chanukkia hell erleuchten. Dazu singt man mit der Familie – oder in der Synagoge – das Lied "Maoz Tzur". Es fasst kurz die Chanukka-Geschichte zusammen.

Aufwachsen zwischen Chanukka und Weihnachten

Auch der 38-jährige Texter und Übersetzer Lev Nordstrom feiert jedes Jahr Chanukka. Er ist in einem religiös gemischten Haushalt groß geworden. Seine Mutter war jüdisch, sein Vater geprägt von der christlichen Mehrheitskultur, jedoch nicht religiös. Als Kind hat Lev Nordstrom einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Festen gespürt:
"Für mich hatte Chanukka immer doch eine religiöse Tradition. Man hat die alten Geschichten, das Wunder von Chanukka, das kannte man, und das war eher so ein symbolisches Fest. Und Weihnachten war dann das Geschenkefest."
Im Wohnzimmer von Lev Nordstrom stehen für die Feiertage sowohl eine Chanukkia als auch ein kleiner Weihnachtsbaum, unter dem die Geschenke drapiert werden. "Ich glaube, inzwischen hat Weihnachten die Oberhand gewonnen", sagt er.
Ein Chanukka-Kerzenleuchter steht in der Mitte eines Adventskranzes, der mit Kerzen und Christbaumkugeln geschmückt ist.
Chanukka ist nicht Weihnachten, aber in manchen Familien greifen die Bräuche ineinander.© Miron Tenenberg
Im Grunde ist Chanukka ein kleines, ruhiges, eher schlichtes Fest im jüdischen Kalender. Man sitzt beisammen, isst traditionellerweise Kartoffelpuffer und Berliner Pfannkuchen und spielt – meist mit den Kindern – ein Kreisel-Spiel, Trendel oder Dreidel genannt. Geschenke stehen eigentlich nicht im Vordergrund.
"Bei mir gab es zu Chanukka auch nie Geschenke", erinnert sich Nordstrom. "Es gab natürlich ein schönes Essen, man hat mal mit dem Dreidel um Nüsse – oder, wenn ich dann oft genug gefragt habe, auch um Geld – gespielt, aber ansonsten war Weihnachten immer mit Geschenken verbunden, und ich glaube auch somit emotional stärker mit dem inneren Kind verbunden."

Ein Teil des Chanukka-Gelds wird gespendet

Für die Kinder der Familie Poznanski gibt es nach dem Essen durchaus Geschenke von den Erwachsenen. "Manchmal kriege ich kleine Geschenke und manchmal auch Geld", sagt Noam Poznanski. "Manche machen es so, dass sie jeden Tag ein kleines Geschenk bekommen oder jeden Tag ein bisschen Geld oder am ersten und oder am letzten Tag, je nachdem", erklärt Noams älterer Bruder Benjamin. "Wir haben es eigentlich bis jetzt immer so gemacht, dass es am ersten und am letzten Tag was gab."
Chanukka-Geld ist das klassische Geschenk zum Lichterfest, auch bei der Familie Poznanski. Ein Teil davon wird für wohltätige Zwecke gespendet, auch das will die Tradition so – und sogar der zehnjährige Noam hält sich daran.
"Bei uns wurde kein fester Betrag gesagt, soweit ich mich erinnern kann, sondern einfach, dass wir was von dem Geld abgeben sollen, sowas wie 10, 20 Euro oder so."

Frühzeitig lernen zu teilen

Das dürfen die Kinder selbst entscheiden. Auch an wen das Geld dann geht, können sie bestimmen. Im vergangenen Jahr wollten sie etwas für den Schutz von Walen tun, erzählt Noam: "Letztes Jahr habe ich 20 Euro davon abgegeben, wie alle von unserer Familie, das haben wir dann für eine Walschutzorganisation gespendet."
Diese Art des Engagements gefällt Manuel Herbart, einem Freund der Familie: "Wenn ich mir die verschiedenen Chanukka-Bräuche anschaue, dann finde ich es toll, dass dieses Chanukka-Geld an die Kinder verteilt wird – ganz einfach, um sie schon frühzeitig daran zu gewöhnen, dass man eben auch teilen soll und dass man sich mit anderen austauschen soll."
Auch für dieses Jahr hat der 14-jährige Bruder Benjamin bereits einen Plan: "Ich möchte dieses Jahr für Kinder spenden aus anderen Ländern, die es vielleicht nicht so gut haben wie hier, damit sie auch schöne Tage haben."

Eine neue Erfindung: Der Chanukka-Kalender

Chanukka wird in vielen jüdischen Familien als Gegenstück gesehen zur allgegenwärtigen christlichen Tradition mit ihren vier Adventssonntagen, dem Adventskalender, den Weihnachtsmärkten, Weihnachtsmännern, Weihnachtsgänsen, Weihnachtsferien, Leckereien und Geschenken. Viele jüdische Eltern fühlen sich dadurch unter Druck gesetzt, den Kindern etwas Gleichwertiges zu bieten. Und weil es in Deutschland an jüdischen Produkten fehlt, werden sie erfinderisch – wie Batya Ilan, die ihren Kindern jedes Jahr Chanukka-Kalender schenkt, genauer gesagt: umgewidmete Adventskalender.
"Ich denke schon, dass das sehr viel auch mit Weihachten zu tun hat, weil man einfach in einer christlichen Welt lebt, und dass man das dann einfach übernommen hat für die Kinder, damit sie nicht traurig sind, dass sie keinen Kalender haben", sagt Ilan.
Ein gedeckter Tisch bei Kerzenschein zu Chanukka.
Kartoffelpuffer sind ein traditionelles Chanukka-Gericht.© Miron Tenenberg
Das fordert dann auch einen gewissen kreativen Umgang, denn Chanukka fällt jedes Jahr im weltlichen Kalender auf ein anderes Datum.
"Wir zählen von der ersten Kerze und von der ersten Kerze 24 Türchen zurück, denn der hat ja nur 24 Türen“, erzählt Batya Ilan. „Da haben wir uns schon in dem ein oder anderen Jahr verzählt, dann war der schon zu Ende und dann waren noch ein paar Tage oder Chanukka hatte schon längst angefangen und dann konnte man noch Türchen offen. Ja, das kann schon mal passieren!"

Das Fest wird bunter und aufwendiger

Wie zu christlichen Festen gibt es auch zu jüdischen Feiertagen Grußkarten. Irina Bozak vertreibt zum Beispiel selbstgemachte Chanukka-Postkarten:
"Meine Postkarten sind eigentlich aus dem Wunsch entstanden, etwas zu haben, das ich selber schön finde. Ich wollte es nicht ganz so überladen, nicht so kitschig haben. Es gibt ja so Produkte aus Amerika, die sehr kitschig sind, sehr glitzerig und sehr golden, da kann man ja die wildesten Sachen finden. Da gibt es dann eine Chanukkia als Dinosaurier oder manchmal auch alberne Sachen. Ich wollte lieber was Schlichteres und auch etwas Selbstgemachtes und etwas aus Deutschland, was es so ja wenig gibt."
Die Postkarten gehen momentan sehr gut weg. Die Tendenz, dass Chanukka immer bunter und aufwendiger wird, ist Irina Bozak nicht entgangen. Sie sieht in der Entwicklung auch etwas Gutes.
"Es gibt zum Beispiel viel mehr Bücher, in denen auch die Chanukka-Geschichte erzählt wird, was man auch auf Deutsch jetzt bekommen kann, das gab es lange Zeit gar nicht", sagt Bozak. "Ich kenne das aus meiner Kindheit auf Hebräisch, aber dass man die auch auf Deutsch kriegt, ist neuer. Ich habe auch das Gefühl, dass es viel mehr amerikanische Produkte gibt."

Zwischen Besinnung, Beschenken und Spenden

Batya Ilans 17-jährige Tochter, Mascha, beobachtet einen Trend, der aus den USA nach Deutschland herübergeschwappt ist: Dort gibt es zu Weihnachten immer häufiger überfrachtete Motiv-Pullover mit Rentieren oder Schneemännern, die zum Fest getragen werden und durchaus extra-hässlich sein dürfen.
"Das ist superkitschig", sagt Mascha, "und da gibt es so eine Mitbewegung aus dem Jüdischen, gerade unter Jugendlichen, dass sie sich dann einen Pulli anziehen, wo ein Davidstern drauf ist. Aber ich würde mich das auch nicht mit einem Davidstern trauen – hier in Deutschland."
Den bunten Christmas-Hype auszuhalten, ist für manche jüdische Kinder in der Weihnachtszeit mitunter schwer, auch wenn kleinere Geschenke schon fester Bestandteil von Chanukka sind. Einige Familien versuchen gegenzusteuern und sich auf die klassischen Chanukka-Werte wie Beisammensein und Spenden zu besinnen, andere schwimmen kreativ mit und schmücken das jüdische Lichterfest neu aus. Das kommerzielle Angebot dazu wächst jedenfalls, auch hier in Deutschland.

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