Buchmessen

"Ein großer Umschlagplatz für Inspiration"

12:44 Minuten
Ein leeres Regal, vor dem ein großer Bücherhaufen liegt.
Aus dem Regal gefallen: Nach der Pandemie wird sich die Buchbranche neu sortieren müssen. © Getty Images / Image Source
Von Sonja Hartl |
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Leipzig und Frankfurt: Für Bücherfreunde ist es eine Ewigkeit her, dass die letzte unbeschwerte Buchmesse stattfand. Bei jeder coronabedingten Absage beteuerte die Buchbranche, sie brauche Messen auch weiterhin. Doch stimmt das auch angesichts der vielen digitalen Angebote?
Zum dritten Mal in Folge wurde die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr abgesagt. Der Grund: die Coronapandemie. Inzwischen gibt es viele digitale Angebote. Die Buchmesse in Frankfurt wurde im Herbst 2020 ins Internet verlagert und fand 2021 mit in einem hybriden Format mit vielen digitalen Angeboten auch vor Ort statt. Doch wozu braucht es eigentlich noch Buchmessen vor Ort?
"Das sind die Ereignisse, die zweimal im Jahr die (Aufmerksamkeit der) deutschsprachigen Öffentlichkeit – in Frankfurt sogar die globale Öffentlichkeit – auf das Buch, auf Literatur, auf Autoren, auf intellektuelles Leben richtet“, erklärt Tom Kraushaar, verlegerischer Geschäftsführer des Klett-Cotta Verlags.
Er hat sich der Initiative der Verleger Leif Greinus und Gunnar Cynybulk angeschlossen, die in Folge der Absage eine Pop-up-Buchmesse auf die Beine gestellt haben. Mehr als 60 unabhängige Verlage werden dort am Wochenende ihre aktuellen Titel vorstellen. Ein Ersatz für die Buchmesse sei die Pop-up-Buchmesse aber nicht. Tatsächlich konzentriert sie sich vor allem auf einen Aspekt: den Kontakt zwischen Verlagen und Autorinnen und Autoren mit dem Lesepublikum. Gerade für unabhängige Verlage ist das wichtig.

Keine Deals mehr mit Papierstapeln

Konzerne wie Penguin Random House und Holtzbrinck sind am Wochenende nicht dabei. Sie hatten schon im Vorfeld ihre Teilnahme an der Leipziger Buchmesse abgesagt und mit der Pandemie begründet. Britta Egetemeier, geschäftsführende Verlegerin der Verlagsgruppe Penguin Random House, betont aber weiterhin die Bedeutung von Buchmessen:

Es ist für uns immer noch ein Taktgeber. Zweimal im Jahr ist es ist ein kulturelles Ereignis mit enormer Ausstrahlung und ein geschäftlicher Mittelpunkt.

Britta Egetemeier, Penguin RandhomHouse

Messen waren und sind Orte für Geschäfte. Aber was Abschlüsse angeht, dieser Punkt hat sich schon seit vielen Jahren verändert. Wesentlich durch die Digitalisierung, sagt Sebastian Ritscher, Inhaber der international tätigen Agentur Mohrbooks.
Vorher seien beispielsweise Agenturen und Verlage – auch sie seien Rechteanbieter – mit ihrem Prüfmaterial in Form von Papierstapeln angereist. „Es wurden Exposés, Manuskripte, Teile der Kapitel nachts in Hotelzimmern gelesen und dann oft auch auf der Buchmesse schon gekauft.“ Es seien Lizenzrechte abgeschlossen worden, gerade besonders wichtige, vielversprechende: „Das war eine sehr exklusive Angelegenheit für wenige.“
Mittlerweile treffe man sich nicht mehr im Frankfurter Hof oder Jimmy’s Bar. Durch die Möglichkeit, Prüfmaterial elektronisch verbreiten zu können, gebe es viel mehr Marktteilnehmer, der Marktzugang sei viel offener. Digitale Alternativen könnten hier einen demokratisierenden Effekt haben, so Ritscher.
Buchmessen sind aber bereits jetzt inklusiver geworden. Entschieden wird nicht mehr nachts durch einen Verleger in einer Bar, sondern im Team. Die wichtigen Projekte würden immer in den Wochen vor einer Messe verbreitet. „Und oft sind Buchprojekte dann bereits zur Buchmesse verkauft.“

Netzwerk vor Ort erweitern

Warum aber trifft man sich dann immer noch auf der Buchmesse, um über Geschäftliches zu reden?

Für mich ist die Buchmesse heute in allererster Linie eine Möglichkeit, Vertrauen zu bilden.

Sebastian Ritscher, Agentur Mohrbooks

Lena Luczak, die als Lektorin beim Wagenbach Verlag arbeitet, ergänzt: „Wir besprechen Sachen, die zu einem Geschäft werden können, aber ich sitze nicht da mit meiner Geldtasche und wir schlagen mit dem Hämmerchen auf den Tisch und sagen: Jetzt haben wir einen Deal.‘“ Tom Kraushaar vom Klett-Cotta Verlag betont:

Der persönliche Faktor ist kein naives oder idealistisches oder – sogar schlimmer noch – altmodisches Prinzip, sondern eine wirkliche Realität in unserer Arbeit, ein zentraler Faktor für die Qualität von Büchern.

Tom Kraushaar, Klett-Cotta Verlag

Britta Egetemeier von der Verlagsgruppe Penguin Random House weist daraufhin, dass ihr Haus natürlich in den vergangenen beiden Jahren auch weiter beispielsweise Akquisen gemacht habe. Aber man könne sein Netzwerk besser erweitern und neue Geschäfte anfangen, wenn alles an einem Ort stattfinde. Hinzu komme: „Wir lernen die Programme der internationalen Verlage kennen, wir spüren Trends, wir tauschen uns mit anderen aus.“ Man schnappe Ideen für Buchprojekte auf, fügt Lena Lucazk hinzu. „Wo sind Lücken? Was müssten wir mal lancieren? Es ist ein großer Umschlagplatz für Inspiration.“

Öffentlichkeit für gesellschaftliche Themen

Die findet man aber nicht nur in Gesprächen unter Verlagen oder auf Lesungen, sondern gerade auch in dem Programm, das Buchmessen darüber hinaus anbieten – Diskussionsrunden beispielsweise. Lena Luczak ist bei der Initiative #verlagegegenrechts aktiv, die regelmäßig Gesprächsrunden insbesondere auf der Leipziger Buchmesse organisiert.
„Wenn diese gesellschaftliche Auseinandersetzung zu bestimmten Themen ausfällt, findet sie eventuell gar nicht statt“, warnt sie. Ohne konkrete Podien seien sie in jedem Fall weniger präsent. Das lasse sich nicht unbedingt in Zahlen fassen. Dass diese Themen stattfinden, sei aber eminent wichtig. Etwa auch, weil auf einer Messe nicht nur die Menschen so eine Diskussion mitbekämen, die sich ohnehin für das Thema interessieren. Buchmessen schafften demokratische Öffentlichkeit.
Tom Kraushaar vom Klett-Cotta Verlag hebt noch einen Punkt hervor: „Die Messen sind ein zentraler und auch konstitutiver Baustein eines Systems, das den Buchmarkt mit dem Literaturbetrieb verbindet.“
Der Buchmarkt sorge dafür, dass der Literaturbetrieb – etwa Autoren, Verlage, Übersetzer – mit Geld versorgt würden. Und der Literaturbetrieb beispielsweise mit seinen Preisen und der Literaturkritik sorge dafür, dass der Buchmarkt mit kulturellen Werten versorgt werde.
Die Messen sorgten dafür, dass beides nicht auseinanderbreche. Sonst drohe auf der einen Seite ein rein nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisierter Buchmarkt, und auf der anderen Seite ein durchsubventionierter, elfenbeinturmartiger Literaturbetrieb, der sich von der gesellschaftlichen Realität abkoppeln könnte.
Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts, hält die Buchmesse zumindest jetzt noch nicht für ersetzbar. „Es entsteht eine kritische Masse. Es ist an Ort und Stelle in einem definierten Zeitraum ganz, ganz viel los.“ Deshalb wird als Weg in der Zukunft eine Erweiterung des Publikums gesehen.

Messen als Veranstalter gefragt

Kraushaar schlägt vor, den Wissenschaftsbetrieb noch stärker mit einzubeziehen und den Bibliotheken noch mehr Forum zu bieten. Dazu könnten auch neue Veranstaltungsformate beitragen. Literaturhäuser machten es vor, so Torsten Casimir vom Börsenblatt: „Die haben Gäste in ihren Häusern und machen gleichzeitig Streams, haben eine Reichweite wie nie zuvor.“ Auch monetäre Gewinne könnten die Häuser mit zeitlich beschränkten Angeboten erzielen.

In Frankfurt sind regelmäßig mehr Journalisten akkreditiert als zu einer Fußball-WM. Das führt zu einer Aufmerksamkeit für das Thema Buch weltweit – und in Leipzig jedenfalls national –, die Sie sonst nicht herstellen können. Mit keinem Mittel. Auch nicht mit der noch so professionellen Social-Media-Arbeit.

Torsten Casimir, Börsenblatt

Für die das Budget – ebenso wie das Marketing-Budget insgesamt – bei Konzernverlagen wie Penguin Random House sicherlich um ein Vielfaches höher ist als bei kleinen bis mittelgroßen unabhängigen Verlagen wie Klett-Cotta. Nicht ohne Grund engagieren sich schließlich die Unabhängigen bei der Leipziger Pop-up-Buchmesse, schaffen gemeinsam Aufmerksamkeit für ihre Autorinnen und Autoren. Und doch braucht die gesamte Branche die Buchmessen als Event – zweimal im Jahr.
Hier werden die Messen in Zukunft noch mehr als Veranstalter gefragt sein. Um Lesefest und Branchentreff zu verbinden, müssen sie sich gegenüber neuen Formaten aufgeschlossen zeigen, gerade weil die Branche die vergangenen Jahre ohne Messen ausgekommen ist.
„Wir konnten nur deswegen gute Beziehungen aufrechterhalten, weil sie mal unter Bedingungen von Präsenz, Termin und so weiter entstanden sind“, so Tom Kraushaar. „Aber wir ernähren uns hier von einem kulturellen Kapital, was wir uns mühsam erarbeitet haben durch Jahrzehnte von Buchmessen. Und dieses Kapital wird aufgebraucht sein, wenn wir nicht nachlegen mit weiteren Buchmessen.“

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