Bekömmliche Theaterkost

Von Bernhard Doppler |
Insgesamt zehn junge Dramatiker aus Europa stellen beim diesjährigen "Stückemarkt" ihre von einer Jury ausgewählten Arbeiten vor. Gemeinsam ist allen bisherigen Texten, dass Tiere darin mitspielen. In Paul Brodowskys "Regen in Neukölln" gibt es einen Fuchs. Zehn bis Hundert Hunde verlangt Jose Manuel Mora für sein Stück "Meine Seele anderswo".
"Nach Berlin. In Berlin" so nannte sich der erste "Autorentisch" beim "Stückemarkt". "Nach Berlin. In Berlin" hätte durchaus auch eine Veranstaltung der Tourismuswerbung sein können. Während der Gesprächsrunde wurden Fotos an die Wand im Foyer des Festspielhauses geworfen: Berlin-Ansichten, Reisebilder. Manche der Fotos kennt man schon von der Eröffnungsveranstaltung. Bei der szenischen Lesung von Paul Brodowskys "Regen in Neukölln" waren Taxikneipen, U-Bahnstationen und andere Neuköllner Stadtansichten gezeigt worden. "Regen in Neukölln" ist eine Art Lokalstück, eine Nachtfahrt – oft mit einem Berliner Taxifahreroriginal – durch den Berliner Problembezirk.

Zwischen den Personen werden einige Beziehungen anskizziert, aber nicht weiter ausgeführt – wobei sich Figuren aus dem alten Neukölln, wie ein alter Scherenschleifer, mit neuem jugendlichem türkischem Personal mischt und die Alltagssprache bisweilen in eine Kunstsprache umkippt. Bekömmliche, nicht sonderlich tiefe Theaterkost. Auch ein Tier kommt vor. Einer jener Füchse, die man ja in der Tat immer wieder im Stadtgebiet Berlin sehen kann. Er hat Zahnschmerzen

"Regen in Neukölln" ist das einzige deutsche Stück, das die fünf Juroren von 646 Einsendungen ausgewählt haben. Ganz neu ist es übrigens nicht, vorgestellt wurde "Regen in Neuköln" bereits in einer szenischen Lesung der Bühnen Graz, auch dort ist die Dramatikerförderung bereits institutionalisiert und in drei Wochen wird "Regen in Neuköln" in der "Langen Nacht der Autoren" in Hamburg schon wieder präsentiert werden. Nun boomt überall die Dramatikerförderung. Für Kreatives Schreiben gibt es eigene Studiengänge, auch Paul Brodowsky hat einen solchen besucht. Joachim Lux, Dramaturg am Wiener Burgtheater und designierter Intendant des Thalia-Theaters, sieht das in seinem Impulsreferat kritisch:

" Von Vernachlässigung kann aber schon lange keine Rede mehr sein, zumindest gibt es einen ziemlichen Betrieb um Autoren: Seit zehn Jahren etwa fördern zahllose deutschsprachige Theater wie nie zuvor. Überall kann man einreichen, sich bewerben, mitmachen, lesen, entwickeln und lernen: in den Theatern, an den Hochschulen. Es ist meines Erachtens dringend an der Zeit, innezuhalten, Kassensturz zu machen, Bilanz zu ziehen: Welche und wie viele Autoren sind mit einiger Nachhaltigkeit tatsächlich aus all diesen Programmen hervorgegangen? Setzen sich gute Autoren und ihre Stücke kunstdarwinistisch sowieso durch oder helfen diese Förderprogramme? Lernen die Autoren in all diesen Workshops sinnvolles Handwerk oder werden sie dort im Sinne der Marktgängigkeit rundgeschliffen? Inwieweit kann man schreiben überhaupt lernen? "

Seit Iris Laufenberg das Theatertreffen leitet, zeichnet sich der "Stückemarkt" durch eine Öffnung für das europäische Theater aus. Über 310 Dramen mussten zunächst aus anderen Sprachen übersetzt werden von Englisch bis Ungarisch. Zwei Spanier wurden für den zweiten "Stückemarkt"-Tag ausgewählt. In "Gegen den Fortschritt" von Estever Soler kommt der Apfel aus dem Koffer vor; allerdings steht dieser Apfel eines Morgens plötzlich riesengroß im Raum. Oder da sind die sprechenden Seerobben, die Kinder erschlagen müssen, um das ökologische Gleichgewicht zu erhalten. Oder die Lehrerin, die "Rotkäppchen" vorliest und nicht merkt, dass ein kleines Kind in der letzen Reihe unterdessen vom Wolf verschluckt wird? Dass der absurde Text nicht manchmal ins platte Kabarettistische umschlägt, verdankt er den hochkarätigen Schauspielern: Margit Bendokat und Michael Schweighöfer, denen zuzuhören eine Freude ist.

Gemeinsam ist allen bisherigen Stücken, dass Tiere darin mitspielen. Zehn bis Hundert Hunde verlangt Jose Manuel Mora für sein Stück "Meine Seele anderswo". Mora ist auch ein reisender Dramatiker. Er war Playwrighter in Residence in London und besucht nun einen Dramatikerstudiengang in Amsterdam. Bei soviel Reisen auch hier ein erdverbundenes Familien- und Heimatstück im südspanischen Olivenhain. Im Mittelpunkt ein alter eigensinniger Mann mit dunklen Beziehungen zu Schwiegertochter und Enkelin. Er nimmt die Arbeit auf sich, kranke herumstreunende Hunde zu töten. Am liebsten spricht er mit dem Hund Mozart.

Ein großer Sandhaufen die Bühne, in der die Lesestühle hineingerückt werden, wenn man sich dem alten Mann nähert. Auch hier die allerbesten Rahmenbedingungen für ein nur kaum überzeugendes Stück. Für das Lesearrangement werden beim "Stückemarkt" Top-Regisseure gewonnen, bei Mora Sebastian Nübling. Der "Stückemarkt", das ganze Jahr über geleitet von Yvonne Büdenhölzer, nimmt nicht nur durch die Sichtung und Übersetzunge so vieler Manuskripte Dramaturgen und Verlagen viel Arbeit ab, er kümmert sich auch um Nachhaltigkeit und Bühnenpräsenz nach den Lesungen. Während dieses Jahr das Gorki-Theater und das Wiener Schauspielhaus Preisträger des letzten "Stückemarkts" aufführten, wird es nun dem Gorki-Theater das Münchner Residenztheater sein. Und auch das DeutschlandRadio Kultur ist wieder dabei. Auch vom Stückemarkt Jahrgang 2008 wird ein Text als Hörspiel produziert und 2009 als Hörtheater öffentlich vorgeführt werden.
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