Keine Sorge um den Nachwuchs
Im Rahmen des derzeit stattfindenden Berliner Theatertreffens wird wie in jedem Jahr der Alfred-Kerr-Dramatiker-Preis an eine junge Schauspielerin oder einen jungen Schauspieler verliehen. Gerd Wameling trifft 2008 die Wahl. Er hat sich bisher alle Stücke auf dem Treffen angesehen und betont im Gespräch, dass vor allem die Frauen diesmal sehr stark seien.
Jürgen König: Benannt nach dem berühmten Theaterkritiker Alfred Kerr wird im Rahmen des Berliner Theatertreffens nun zum 14. Mal schon ein Darstellerpreis verliehen. Er ist mit 5000 Euro dotiert. Wer ihn bekommt, das entscheidet in jedem Jahr eine Schauspielerin oder ein Schauspieler. Ulrich Mühe, Ulrich Matthes, Martin Wuttke, zuletzt Martina Gedeck haben dieses Amt des Jurors übernommen. In diesem Jahr ist es Gerd Wameling, der selber als Schauspieler 14 Mal zu Aufführungen des Theatertreffens eingeladen wurde. Er gehörte fast 20 Jahre dem legendären Ensemble der Schaubühne am Halleschen Ufer, dann am Lehniner Platz an, dem Ensemble des großen Peter Steins, heute freier Schauspieler und unterrichtet auch, ist Professor für Schauspiel an der Universität der Künste in Berlin, hat in Hamburg unterrichtet, auch am Mozarteum Salzburg. Herr Wameling, schön, dass Sie da sind!
Gerd Wameling: Guten Morgen!
König: Woran erkennt man, woran erkennen Sie, dass einer schauspielerisches Talent hat?
Wameling: Na ja, ich meine, wenn man zum Beispiel eine Aufnahmeprüfung macht an einer Hochschule, dann kommen 800 junge Leute, und die wollen alle aufgenommen werden, und wir dürfen aber nur zehn aufnehmen. Und dann lernen Sie zum Beispiel allein schon durch den Vergleich der Menschen untereinander, wie sie sich präsentieren, was sie wollen, welche Neugier sie entwickeln, welche Themen sie haben. Da merken Sie, was ein guter Schauspieler ist. Der will nach vorn, der will sich zeigen und der will etwas erzählen. Und das ist ein Grundprinzip, wie man einen guten Schauspieler erkennt, dass er eine Präsenz hat auf der Bühne, dass, wenn Sie zuschauen, ohne dass Sie extra hinschauen, dieser Mensch in Ihr Blickfeld springt.
König: Man beklagt bei Sängerkarrieren immer, die Sänger hätten sich früher mehr Zeit genommen für ihre Entwicklung, für die Entwicklung der Stimme, heute würde das alles so schnell gehen. Gibt es das analog auch bei Schauspielern, dass die Entwicklung vielleicht durch die medialen Möglichkeiten, fürs Fernsehen zu arbeiten, fürs Kino zu arbeiten, dass die Entwicklungen schneller gehen und eine Entwicklung nicht mehr stattfinden kann, wie sie vielleicht ein Fritz Kortner, eine Elisabeth Bergner, um jetzt ganz große Namen zu nennen, noch erleben konnten?
Wameling: Ja, das fängt schon bei uns auf der Schule an. Wenn wir begabte junge Leute haben, dann steht schon nach einem Jahr irgendein Theater, irgendein Film da, der diesen jungen Schauspieler haben will. Das finde ich eine ganz schlechte Entwicklung, weil der junge Schauspieler möchte das natürlich gern machen, weil es ist sein erstes Angebot, er wird gewollt. Aber er vergisst dabei, dass die Zeit, die er verbringt, auch seine Freizeit, wo er sich mit nur seiner Ausbildung beschäftigt, für ihn ein ganz großer Vorteil sein kann. Und es wird natürlich immer nach dem schnellen Geld geguckt. Natürlich meistens haben die jungen Studenten auch wenig Geld. Das ist für sie natürlich, in ihrem Beruf können sie Geld verdienen. Das ist im ersten Moment natürlich schwer zu argumentieren, dass das nicht sein soll. Aber ich sehe das auch schon.
König: Sie unterrichten seit bald 20 Jahren Schauspiel. Erzählen Sie uns, was sich da geändert hat in der Darstellungsweise, in der Denkweise über diesen Beruf.
Wameling: Ich versuche natürlich, die Werte von Theater immer wieder zu vermitteln. Da trifft man manchmal auf Unverständnis bei jungen Leuten, manchmal aber auch nicht, auf einmal entdeckt man. Ich versuche, ein modernes Stück zu finden und dann sagen die: Wir möchten aber Schiller machen! Da denke ich, Moment mal, hallo, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Und dann zeigen die auf einmal, dass sie in dieser Sprache von Schiller etwas lernen wollen und auch können. Und dann haben Sie etwas, dann haben Sie einen Wert.
König: Was zum Beispiel? Was bei Schiller?
Wameling: Zum Beispiel „Kabale und Liebe“, das ist sein sehr gutes Stück für junge Leute. Und dort gibt es einen, wir sagen, gehobener Text. Und wenn ein Schauspieler diesen gehobenen Text mit einer heutigen Emotion füllen kann, dann hat er auf einmal eine ganz moderne Spielweise, und dann kann man das dazu sagen. Das ist ja eine Erkenntnis.
König: Die Limonade ist matt wie Deine Seele!
Wameling: Genau!
König: Ist der Beruf leichter oder schwerer geworden im Laufe der Zeit? Erst hatte man nur das Theater, dann kam der Film dazu, dann das Fernsehen, die ganzen Fernsehserien.
Wameling: Ja, die Frage ist, was meinen Sie mit leicht? Kriegt man leichter einen Job oder hat man dann den Beruf?
König: Ich meine schon, die Kunst des Schauspiels auszuüben?
Wameling: Ich glaube nicht, dass das leichter geworden ist. Man macht es sich leider leichter. Er ist genauso schwer wie früher, wenn man ihn nach meiner Meinung richtig ergreift und richtig studiert.
König: Inwiefern macht man ihn sich leichter?
Wameling: Sehen Sie, im heutigen Theater wird zum Beispiel, ich hab das jetzt wieder gesehen bei den Theatertreffen-Stücken, da gibt es oft Stücke, wo die Texte zwar wichtig genommen werden, aber die Figuren erspielen sich die Situationen nicht. Sie sagen die Texte, dann, wenn es irgendwie furchtbar wird, wird es ganz laut, und wenn es wieder nicht so furchtbar ist, dann wird es wieder leise. Das heißt, die Figuren stehen auf der Bühne und „baahh, baahh“, geht das so los. Und ich hab es aber lieber, wenn ein Schauspieler sich diese Situation erspielt. Und das sehe ich immer seltener. Und ich finde aber, das ist die wirklich große Leistung. Und wenn ich das sehe, dann habe ich auch eine Möglichkeit der Bewertung. Dann kann ich sagen, meine Güte, wie der das jetzt gemacht hat, das ist großartig. Aber laut und leise ist für mich kein gutes Kriterium.
König: Über das moderne Regietheater wurde immer schon seit Jahrzehnten sehr viel geschimpft. Aktuell finden viele Klassikeraufführungen in stark gekürzter Form statt. Eine Stunde 20 Minuten ist in manchen Häuser fast schon Schnitt für Stücke, die in der herkömmlichen Weise gut und gerne drei Stunden und länger dauern würden. Und es wird auch geklagt, dass damit vielen Schauspielern die Möglichkeit genommen werde, überhaupt die Substanz, die eine Rolle hat, die ein Stück hat, zu zeigen. Was sagen Sie als Schauspieler dazu? Teilen Sie diese Klage? Teilen die jüngeren Kolleginnen und Kollegen diese Klage? Oder ist das nicht auch wiederum ganz schick, mal in einem, sagen wir mal, etwas flotteren Faust dabei zu sein?
Wameling: Ja, schick, das kann schon sein. Nur, ich meine, der Schauspieler möchte natürlich den Gehalt seiner Rolle möglichst profund darstellen. Aber da gibt es auch viel zu zu sagen, zum Beispiel wenn wir nehmen „Die Ratten“. Das ist ja nun auch eine sehr gekürzte Aufführung hier vom Theatertreffen.
König: Michael Thalheimer.
Wameling: Von Thalheimer, der sowieso ganz gerne kürzt. Und ich finde das aber bei dem Hauptmann eine sehr gute Kürzung. Mir kommt die Quintessenz, das Surrogat dieses Stückes, sehr stark nach vorne. Die Schauspieler haben zwar weniger zu spielen, aber sie haben die, sagen wir mal, genaue Figur doch, ich sage mal, eine Möglichkeit, die Figur genau zu spielen und zu zeigen, in ihrer Kleinheit sogar. Und das hat mir sehr gut gefallen. Da bin ich schon dafür.
König: Aber Sie kennen auch Gegenbeispiele, weil Sie vorhin doch sogleich sorgenvoll nickten, als ich davon sprach?
Wameling: Ja, es gibt auch Gegenbeispiele, wo dann ganze wichtige Stränge eines Stückes gleich weggelassen werden. Ich finde aber, dass die Sachen auserzählt gehören, so hat es der Autor oder der Dichter ja geschrieben. Warum soll man das einfach wegkürzen?
König: Erzählen Sie mal ein bisschen vom Theatertreffen. Sie haben bisher alle Aufführungen gesehen. Sie sind auf der Suche nach einem Nachwuchsschauspieler, der da den Alfred-Kerr-Dramatikerpreis bekommt. Was heißt Nachwuchs in diesem Fall? Ein jüngerer Kollege oder Kollegin, wie alt?
Wameling: Ja, Nachwuchs muss man sich ein bisschen selber definieren. Allgemein sagen die Juroren der letzten Jahre, dass das eben bei 30 aufhört, und als erfahrener Schauspieler möchte man auch gern, dass ein Nachwuchs kommt und dass er gut ist. Und das kann man auf jeden Fall sehen. Selbst wenn man hier nur einen auspreisen kann, ich kann Ihnen sagen, es gibt mehr als einen der jungen Schauspieler, die sehr, sehr gut sind. Und das sieht man ja auch in anderen Stücken. Um den Nachwuchs, glaube ich, muss man sich keine Sorgen machen. Das ist auch wichtig festzustellen. Und dann gibt es eben vielleicht einen, der bei diesem Theatertreffen der Beste von den Guten ist. Und dann wählt man den aus.
König: Das heißt, es steht gut um den Nachwuchs. Wie vergleicht sich das mit den praktisch entsprechenden Situationen der letzten Jahre, als andere Ihrer Kollegen darüber nachdachten, wen wähle ich nun aus? Ist das generell so eine Entwicklung, das will ich sagen, die sich da abzeichnet?
Wameling: Das kann ich nicht ganz so genau beantworten, weil ich sehe ja immer gute Schauspieler, die jetzt in den 30ern sind zum Beispiel. Die waren ja vor zwei, drei Jahren eben ganz frischer Nachwuchs. Und da gibt es ganz viele, 30-, 35-Jährige, vor allen Dingen die Frauen, die sind ganz stark und in diesem Jahr auch wirklich sehr gute Frauen dabei. Und die waren ja vor ein paar Jahren eben auch noch ganz jung. Ich denke mal, dass der Nachwuchs seit einigen Jahren kein Grund zur Sorge ist.
König: Gibt es genug neue Stücke für Schauspieler? Gibt es noch Dramatikerinnen und Dramatiker, die wirklich für Schauspieler Texte schreiben, die die dann auch toll ausfüllen können?
Wameling: Ja, ich glaube, wieder mehr. Ich kann ja nur nennen die Anja Hilling, mit diesem „idiotischen Herz“, heißt das Stück, ich weiß den Titel jetzt nicht ganz genau.
König: Ich leider auch nicht.
Wameling: „Mein furchtbar idiotisches Herz“ heißt es eigentlich. Und das sind, habe ich gelesen, sehr gut geschriebene Texte für Schauspieler. Oder auch Schimmelpfennig schreibt gute Texte für Schauspieler. Es gibt da schon einige Autoren.
König: Wie sprechen die Künstler? Man hört immer gerne, ich hab es jetzt beim Theatertreffen auf einer Abendveranstaltung wieder gehört, die würden alle nicht mehr sprechen können. Hören Sie doch mal einen Kortner an, wie der den Shylock gegeben hat, dagegen sei das heute alles, na ja, gut gemeint, aber eben doch nicht so gut gekonnt. Wie sehen Sie das?
Wameling: Das ist auch wieder so ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite möchte man natürlich heute nicht so eine getönte Sprache haben, die so ganz perfekt alle Vokale und Konsonanten ausformuliert. Man möchte natürlich auch den Menschen, den Schauspieler sehen, der den Text spricht. Aber es ist natürlich auch so, dass die Ausbildung im Sprechen nachgelassen hat und nicht mehr so viel Wert darauf gelegt wird. Und ich finde, dass man das eben an manchen Stellen auch hört, und das darf man auch mal beklagen.
König: Geht das jetzt immer weiter in diese Richtung, oder gibt es da auch Kräfte, die sagen: Nein, wir müssen wieder mehr Wert, zum Beispiel, aufs Sprechen legen?
Wameling: Ich bin zum Beispiel eine Kraft, und bei uns an der Schule gibt es jetzt auch immer mehr Kräfte, die, glaube ich, in diese Richtung arbeiten.
König: Sie werden uns natürlich noch nicht verraten, wer nun den Preis bekommt. Aber Sie sind sicher, dass Sie jemand finden?
Wameling: Ja, da bin ich ganz sicher. Da bin ich ganz sicher. Die Liste ist schon gemacht.
König: Vielen Dank! Ein Gespräch mit Gerd Wameling. Er ist der Juror, der über den Alfred-Kerr-Dramatiker-Preis des Jahres 2008 entscheiden wird. Vergeben wird er am 18. Mai, am kommenden Sonntag.
Wameling: Danke Ihnen!
Gerd Wameling: Guten Morgen!
König: Woran erkennt man, woran erkennen Sie, dass einer schauspielerisches Talent hat?
Wameling: Na ja, ich meine, wenn man zum Beispiel eine Aufnahmeprüfung macht an einer Hochschule, dann kommen 800 junge Leute, und die wollen alle aufgenommen werden, und wir dürfen aber nur zehn aufnehmen. Und dann lernen Sie zum Beispiel allein schon durch den Vergleich der Menschen untereinander, wie sie sich präsentieren, was sie wollen, welche Neugier sie entwickeln, welche Themen sie haben. Da merken Sie, was ein guter Schauspieler ist. Der will nach vorn, der will sich zeigen und der will etwas erzählen. Und das ist ein Grundprinzip, wie man einen guten Schauspieler erkennt, dass er eine Präsenz hat auf der Bühne, dass, wenn Sie zuschauen, ohne dass Sie extra hinschauen, dieser Mensch in Ihr Blickfeld springt.
König: Man beklagt bei Sängerkarrieren immer, die Sänger hätten sich früher mehr Zeit genommen für ihre Entwicklung, für die Entwicklung der Stimme, heute würde das alles so schnell gehen. Gibt es das analog auch bei Schauspielern, dass die Entwicklung vielleicht durch die medialen Möglichkeiten, fürs Fernsehen zu arbeiten, fürs Kino zu arbeiten, dass die Entwicklungen schneller gehen und eine Entwicklung nicht mehr stattfinden kann, wie sie vielleicht ein Fritz Kortner, eine Elisabeth Bergner, um jetzt ganz große Namen zu nennen, noch erleben konnten?
Wameling: Ja, das fängt schon bei uns auf der Schule an. Wenn wir begabte junge Leute haben, dann steht schon nach einem Jahr irgendein Theater, irgendein Film da, der diesen jungen Schauspieler haben will. Das finde ich eine ganz schlechte Entwicklung, weil der junge Schauspieler möchte das natürlich gern machen, weil es ist sein erstes Angebot, er wird gewollt. Aber er vergisst dabei, dass die Zeit, die er verbringt, auch seine Freizeit, wo er sich mit nur seiner Ausbildung beschäftigt, für ihn ein ganz großer Vorteil sein kann. Und es wird natürlich immer nach dem schnellen Geld geguckt. Natürlich meistens haben die jungen Studenten auch wenig Geld. Das ist für sie natürlich, in ihrem Beruf können sie Geld verdienen. Das ist im ersten Moment natürlich schwer zu argumentieren, dass das nicht sein soll. Aber ich sehe das auch schon.
König: Sie unterrichten seit bald 20 Jahren Schauspiel. Erzählen Sie uns, was sich da geändert hat in der Darstellungsweise, in der Denkweise über diesen Beruf.
Wameling: Ich versuche natürlich, die Werte von Theater immer wieder zu vermitteln. Da trifft man manchmal auf Unverständnis bei jungen Leuten, manchmal aber auch nicht, auf einmal entdeckt man. Ich versuche, ein modernes Stück zu finden und dann sagen die: Wir möchten aber Schiller machen! Da denke ich, Moment mal, hallo, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Und dann zeigen die auf einmal, dass sie in dieser Sprache von Schiller etwas lernen wollen und auch können. Und dann haben Sie etwas, dann haben Sie einen Wert.
König: Was zum Beispiel? Was bei Schiller?
Wameling: Zum Beispiel „Kabale und Liebe“, das ist sein sehr gutes Stück für junge Leute. Und dort gibt es einen, wir sagen, gehobener Text. Und wenn ein Schauspieler diesen gehobenen Text mit einer heutigen Emotion füllen kann, dann hat er auf einmal eine ganz moderne Spielweise, und dann kann man das dazu sagen. Das ist ja eine Erkenntnis.
König: Die Limonade ist matt wie Deine Seele!
Wameling: Genau!
König: Ist der Beruf leichter oder schwerer geworden im Laufe der Zeit? Erst hatte man nur das Theater, dann kam der Film dazu, dann das Fernsehen, die ganzen Fernsehserien.
Wameling: Ja, die Frage ist, was meinen Sie mit leicht? Kriegt man leichter einen Job oder hat man dann den Beruf?
König: Ich meine schon, die Kunst des Schauspiels auszuüben?
Wameling: Ich glaube nicht, dass das leichter geworden ist. Man macht es sich leider leichter. Er ist genauso schwer wie früher, wenn man ihn nach meiner Meinung richtig ergreift und richtig studiert.
König: Inwiefern macht man ihn sich leichter?
Wameling: Sehen Sie, im heutigen Theater wird zum Beispiel, ich hab das jetzt wieder gesehen bei den Theatertreffen-Stücken, da gibt es oft Stücke, wo die Texte zwar wichtig genommen werden, aber die Figuren erspielen sich die Situationen nicht. Sie sagen die Texte, dann, wenn es irgendwie furchtbar wird, wird es ganz laut, und wenn es wieder nicht so furchtbar ist, dann wird es wieder leise. Das heißt, die Figuren stehen auf der Bühne und „baahh, baahh“, geht das so los. Und ich hab es aber lieber, wenn ein Schauspieler sich diese Situation erspielt. Und das sehe ich immer seltener. Und ich finde aber, das ist die wirklich große Leistung. Und wenn ich das sehe, dann habe ich auch eine Möglichkeit der Bewertung. Dann kann ich sagen, meine Güte, wie der das jetzt gemacht hat, das ist großartig. Aber laut und leise ist für mich kein gutes Kriterium.
König: Über das moderne Regietheater wurde immer schon seit Jahrzehnten sehr viel geschimpft. Aktuell finden viele Klassikeraufführungen in stark gekürzter Form statt. Eine Stunde 20 Minuten ist in manchen Häuser fast schon Schnitt für Stücke, die in der herkömmlichen Weise gut und gerne drei Stunden und länger dauern würden. Und es wird auch geklagt, dass damit vielen Schauspielern die Möglichkeit genommen werde, überhaupt die Substanz, die eine Rolle hat, die ein Stück hat, zu zeigen. Was sagen Sie als Schauspieler dazu? Teilen Sie diese Klage? Teilen die jüngeren Kolleginnen und Kollegen diese Klage? Oder ist das nicht auch wiederum ganz schick, mal in einem, sagen wir mal, etwas flotteren Faust dabei zu sein?
Wameling: Ja, schick, das kann schon sein. Nur, ich meine, der Schauspieler möchte natürlich den Gehalt seiner Rolle möglichst profund darstellen. Aber da gibt es auch viel zu zu sagen, zum Beispiel wenn wir nehmen „Die Ratten“. Das ist ja nun auch eine sehr gekürzte Aufführung hier vom Theatertreffen.
König: Michael Thalheimer.
Wameling: Von Thalheimer, der sowieso ganz gerne kürzt. Und ich finde das aber bei dem Hauptmann eine sehr gute Kürzung. Mir kommt die Quintessenz, das Surrogat dieses Stückes, sehr stark nach vorne. Die Schauspieler haben zwar weniger zu spielen, aber sie haben die, sagen wir mal, genaue Figur doch, ich sage mal, eine Möglichkeit, die Figur genau zu spielen und zu zeigen, in ihrer Kleinheit sogar. Und das hat mir sehr gut gefallen. Da bin ich schon dafür.
König: Aber Sie kennen auch Gegenbeispiele, weil Sie vorhin doch sogleich sorgenvoll nickten, als ich davon sprach?
Wameling: Ja, es gibt auch Gegenbeispiele, wo dann ganze wichtige Stränge eines Stückes gleich weggelassen werden. Ich finde aber, dass die Sachen auserzählt gehören, so hat es der Autor oder der Dichter ja geschrieben. Warum soll man das einfach wegkürzen?
König: Erzählen Sie mal ein bisschen vom Theatertreffen. Sie haben bisher alle Aufführungen gesehen. Sie sind auf der Suche nach einem Nachwuchsschauspieler, der da den Alfred-Kerr-Dramatikerpreis bekommt. Was heißt Nachwuchs in diesem Fall? Ein jüngerer Kollege oder Kollegin, wie alt?
Wameling: Ja, Nachwuchs muss man sich ein bisschen selber definieren. Allgemein sagen die Juroren der letzten Jahre, dass das eben bei 30 aufhört, und als erfahrener Schauspieler möchte man auch gern, dass ein Nachwuchs kommt und dass er gut ist. Und das kann man auf jeden Fall sehen. Selbst wenn man hier nur einen auspreisen kann, ich kann Ihnen sagen, es gibt mehr als einen der jungen Schauspieler, die sehr, sehr gut sind. Und das sieht man ja auch in anderen Stücken. Um den Nachwuchs, glaube ich, muss man sich keine Sorgen machen. Das ist auch wichtig festzustellen. Und dann gibt es eben vielleicht einen, der bei diesem Theatertreffen der Beste von den Guten ist. Und dann wählt man den aus.
König: Das heißt, es steht gut um den Nachwuchs. Wie vergleicht sich das mit den praktisch entsprechenden Situationen der letzten Jahre, als andere Ihrer Kollegen darüber nachdachten, wen wähle ich nun aus? Ist das generell so eine Entwicklung, das will ich sagen, die sich da abzeichnet?
Wameling: Das kann ich nicht ganz so genau beantworten, weil ich sehe ja immer gute Schauspieler, die jetzt in den 30ern sind zum Beispiel. Die waren ja vor zwei, drei Jahren eben ganz frischer Nachwuchs. Und da gibt es ganz viele, 30-, 35-Jährige, vor allen Dingen die Frauen, die sind ganz stark und in diesem Jahr auch wirklich sehr gute Frauen dabei. Und die waren ja vor ein paar Jahren eben auch noch ganz jung. Ich denke mal, dass der Nachwuchs seit einigen Jahren kein Grund zur Sorge ist.
König: Gibt es genug neue Stücke für Schauspieler? Gibt es noch Dramatikerinnen und Dramatiker, die wirklich für Schauspieler Texte schreiben, die die dann auch toll ausfüllen können?
Wameling: Ja, ich glaube, wieder mehr. Ich kann ja nur nennen die Anja Hilling, mit diesem „idiotischen Herz“, heißt das Stück, ich weiß den Titel jetzt nicht ganz genau.
König: Ich leider auch nicht.
Wameling: „Mein furchtbar idiotisches Herz“ heißt es eigentlich. Und das sind, habe ich gelesen, sehr gut geschriebene Texte für Schauspieler. Oder auch Schimmelpfennig schreibt gute Texte für Schauspieler. Es gibt da schon einige Autoren.
König: Wie sprechen die Künstler? Man hört immer gerne, ich hab es jetzt beim Theatertreffen auf einer Abendveranstaltung wieder gehört, die würden alle nicht mehr sprechen können. Hören Sie doch mal einen Kortner an, wie der den Shylock gegeben hat, dagegen sei das heute alles, na ja, gut gemeint, aber eben doch nicht so gut gekonnt. Wie sehen Sie das?
Wameling: Das ist auch wieder so ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite möchte man natürlich heute nicht so eine getönte Sprache haben, die so ganz perfekt alle Vokale und Konsonanten ausformuliert. Man möchte natürlich auch den Menschen, den Schauspieler sehen, der den Text spricht. Aber es ist natürlich auch so, dass die Ausbildung im Sprechen nachgelassen hat und nicht mehr so viel Wert darauf gelegt wird. Und ich finde, dass man das eben an manchen Stellen auch hört, und das darf man auch mal beklagen.
König: Geht das jetzt immer weiter in diese Richtung, oder gibt es da auch Kräfte, die sagen: Nein, wir müssen wieder mehr Wert, zum Beispiel, aufs Sprechen legen?
Wameling: Ich bin zum Beispiel eine Kraft, und bei uns an der Schule gibt es jetzt auch immer mehr Kräfte, die, glaube ich, in diese Richtung arbeiten.
König: Sie werden uns natürlich noch nicht verraten, wer nun den Preis bekommt. Aber Sie sind sicher, dass Sie jemand finden?
Wameling: Ja, da bin ich ganz sicher. Da bin ich ganz sicher. Die Liste ist schon gemacht.
König: Vielen Dank! Ein Gespräch mit Gerd Wameling. Er ist der Juror, der über den Alfred-Kerr-Dramatiker-Preis des Jahres 2008 entscheiden wird. Vergeben wird er am 18. Mai, am kommenden Sonntag.
Wameling: Danke Ihnen!