Flüchtlingsschicksal als Theaterstoff

Von Bettina Ritter |
Die 26-jährige Anne Habermehl greift in ihren Werken das Schicksal von Migranten auf. Ihr neues Stück "Letztes Territorium" handelt von einem algerischen Flüchtling, der in Deutschland eine neue Heimat sucht. Es ist auf dem Berliner Theatertreffen zu sehen.
Anne Habermehl steht am Elektroherd ihrer kleinen Küche und kocht Kaffee. Auf die umständliche Art und Weise: Mit einer Cafétiera und einem Topf, in dem sie die Milch warm macht. So schmeckt ihr der Kaffee am besten, sagt die 26 Jahre alte Autorin, setzt sich an den Tisch mit der alten Holzplatte und den roten Plastikstühlen.

"Es gibt einfach immer wieder Themen, die mich interessieren. Bei denen ich merke, wenn ich durch die Straßen gehe oder irgendwie Zeitung lese oder nachdenke, dass das mich irgendwie anfrisst. Und dem versuche ich dann einfach zu vertrauen und zu folgen."

Anne Habermehl lächelt. Ihre dunkelbraunen Augen unter den dichten Brauen schauen aufmerksam. Sie ist ungeschminkt, sportlich schlank, trägt Jeans und einen schlichten Pulli. Schüchtern scheint sie nur auf den ersten Blick zu sein. Wenn sie anfängt zu erzählen, wirkt sie sicher und selbstbewusst. Für ihre Theaterstücke wählt sie oft gesellschaftliche Themen, erzählt sie. "Letztes Territorium" handelt von einem algerischen Flüchtling, der in Deutschland Asyl sucht. Ein Thema, das sie seit ihrem Schulpraktikum in einem Asylantenheim beschäftigt.

"Seitdem hat mich diese Frage, warum es Menschen gibt, die hier leben dürfen, und Menschen gibt, die hier nicht leben dürfen, sie hat mich nicht mehr losgelassen, und ich wusste irgendwann, ich muss dazu etwas machen."

Mehr als ein Jahr hat Anne Habermehl an dem Stück gearbeitet. War im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hat - zum Teil an den Ämtern vorbei - mit Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften und Anwälten gesprochen, war im Abschiebegefängnis. Für die behütete Tochter einer linksliberalen Bildungsbürgerfamilie ein Schock.

"Da war gerade der Kosovo-Krieg und da waren ganz viele Leute, die gar nicht wussten, was mit ihren Verwandten in der Heimat passiert. Das war ziemlich neu für mich. Und dann gab es eine Situation, wo ich bei der Essensausgabe dabei war, und das einfach so krass fand, was die da vorgesetzt bekommen haben, so rationiert. Das ist schon so’n bisschen wie im Zoo gewesen."

Anne Habermehl wird 1981 in Heilbronn geboren und wächst am Bodensee auf. Ihre Mutter ist Grundschullehrerin, ihr Vater Therapeut. Während der Oberstufe schaut sie sich Theater-Stücke ihrer Mitschüler an und ist fasziniert. Sie fängt selbst an zu schreiben und will Autorin werden.

"Und dann habe ich immer gedacht: Mensch, diese Bühne, auch wenn ich sie nicht kenne, übt eine ganz starke Kraft aus, und wollte da immer so’n bisschen hin. Und dann hab ich mir Sarah Kane gekauft, hab das gelesen und das hat mich so getroffen damals, dass ich dachte, ne, also was anderes kommt jetzt sowieso nicht mehr in Frage."

Beeindruckt von der britischen Dramatikerin Sarah Kane, bewirbt sich Habermehl nach einem abgebrochenen Studium der Germanistik und Geschichte für das Szenische-Schreiben an der Universität der Künste in Berlin und wird angenommen. Drei ihrer Stücke werden in Berlin und Gera aufgeführt. Heute wohnt sie bereits seit fünf Jahren in der deutschen Hauptstadt, seit einem Jahr im Arbeiter- und Migrantenviertel Neukölln.

"Ich fühle mich hier super wohl und finde es sehr angenehm, dass hier so viele Türken wohnen. Ich kam irgendwann mal aus dem Urlaub zurück, aus Spanien, und ich hatte überhaupt keinen Bock auf Deutschland, wirklich so null. Und dann bin ich so den Kottbusser Damm entlang gelaufen und dachte, ja super, ich bin eigentlich gar nicht in Deutschland. Das genieße ich sehr nach wie vor."

Außerdem leben ihre Freunde in der Nähe und die Mieten sind billig, erzählt die junge Autorin. Jetzt, wo sie das Studium beendet habe, müsse sie sich schließlich finanziell neu organisieren. Ihre Haupteinnahmequellen sind derzeit Stipendien und ihr Job in einer Eisdiele. Jeden Tag recherchiert und schreibt sie an ihrem neuen Stück. Darin geht es um die Möglichkeiten, aber vor allem um die Grenzen von Sprache, sagt sie und schaut auf ihre rot lackierten Fingernägel.

"Das ist derzeit der Punkt, der mich interessiert: Wie diplomatisch Sprache tatsächlich sein kann und wo sie auch aufhört, also, wo Dialoge vielleicht auch aufhören. Ich merke, wenn ich Dialoge schreibe, dass sich das insofern verändert, dass, ja – es treten mehr Pausen ein als früher. Da ich inzwischen auch selber gemerkt habe, dass die Sprache nicht immer hilft, dass man nicht immer über alles sprechen kann."

Für die Zukunft wünscht sich Anne Habermehl, dass ihre Stücke gespielt und gesehen werden, sagt sie und nimmt einen Schluck Milchkaffee. Und sie möchte weiter schreiben, intensiv arbeiten. Wenn sie nicht mehr weiter weiß, geht sie joggen, um den Kopf klar zu bekommen. Oder sie trifft Freunde, gern auch Menschen, die gar nichts mit dem Theater zu tun haben.

"Vor kurzem habe ich so jemanden kennen gelernt, dem hab ich dann so erzählt, was ich so mache, und der hatte so überhaupt keine Ahnung . Wenn ich dem erzählt hätte, ich hab den letzten Hollywood-Film geschrieben, dann hätte der das geglaubt. Und das fand ich so toll, dass diese ganzen für mich so wichtigen Stationen, dass das für ihn völlig wurscht war. Und das relativiert das immer so, und das ist, glaube ich, auch gut".