Aus den Feuilletons

"Putins Ideologie hat faschistische Wurzeln"

Der Historiker Timothy Snyder
Der Historiker Timothy Snyder © picture alliance / dpa
Von Adelheid Wedel · 28.03.2014
Die "Welt" und den "Tagesspiegel" beschäftigen Aussagen des Historikers Timothy Snyder zur Ukraine, die "FAZ" zitiert Erich Fromm zum von Gier getriebenen Wirtschaftssystem. Der Echo erntet vernichtende Kritik.
"Putins Ideologie hat faschistische Wurzeln" ist einer der Kernsätze aus einem Interview mit dem US-amerikanischen Historiker Timothy Snyder in der Tageszeitung DIE WELT. Auf die Berichterstattung über die Ukraine eingehend, meint Snyder:
"Vieles finde ich merkwürdig. Man vergisst zum Beispiel, dass der Zweite Weltkrieg mit dem Anschluss Österreichs und der Annexion des Sudetenlands begann. Hätte es dagegen Widerstand gegeben, wäre alles anders gekommen. Und das müsste doch eigentlich der Bezugspunkt für eine deutsche Debatte über die Ukraine sein."
Eine andere Überlegung des Historikers lautet:
"Es ist die Politik Russlands, die äußerste Rechte in Europa zu unterstützen, mit dem Ziel, die Europäische Union zu Fall zu bringen."
Claudia von Salzen unterstreicht in ihrer Zusammenfassung im TAGESSPIEGEL, dass Snyder den verbreiteten Stereotypen über die Ukraine widerspricht und zitiert ihn:
"Die Behauptung, die Ukraine sei gespalten in Ost und West, ist Propaganda, die das Ziel hat, die Ukraine als Staat zu delegitimieren. Die von Putin erträumte Eurasische Union sei ein nationalistisches, imperialistisches Projekt, das sich nicht nur gegen die Nachbarstaaten, sondern auch gegen die EU richte."
Russland: Westen hat Chance verspielt
Einen anderen Ton schlägt der Schriftsteller Ingo Schulze in seiner Betrachtung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG an. "Das System Putin ist nicht vom Himmel gefallen", schreibt er und erinnert daran:
"Jelzin hörte auf seine Reformer, und die hörten auf ihre westlichen neoliberalen Berater. In einer Zeit, in der Russland im wahrsten Sinne des Wortes offen war für den Westen, für westliches Denken, verkamen Begriffe wie Demokratie und Marktwirtschaft zur Farce. Dass jemand wie Putin ein autokratisches System erfolgreich etablieren konnte, wird nur verständlich als Reaktion auf diese Jahre. Putin brachte eine gewisse Stabilität und Sicherheit."
Man kann es bedauern oder nicht, aber "der Westen hatte in Russland seine Chance gehabt. Er hat sie verspielt."
Eine der interessantesten jüngeren russischen Schriftstellerinnen, Alissa Ganijewa, klagt in der Beilage der Welt, in der LITERARISCHEN WELT:
"Ich kann nicht glauben, was gerade in meinem Land geschieht. Der sowjetische Geist der Breshnew-Ära scheint über Nacht zurückgekehrt. Wer Kritik äußert, gilt als Hochverräter",schreibt die in Moskau lebende Ganijewa.
Echo-Verleihung: "Spektakuläre Sinnlosigkeit"
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG druckt einen Artikel von Dirk Schümer, in dem er fragt:
"Können wir von Erich Fromms Theorien etwas über die gegenwärtige wirtschaftliche Kalamität lernen?"
Können wir die derzeitige Krise verstehen, "wenn wir Einsichten der Frommschen Gesellschaftsdiagnose auf sie anwenden?" Erich Fromm sagte: "Das Wesentliche ist, dass in der psychoanalytischen Auffassung Gier eine pathologische Erscheinung ist." Schümers Kommentar:
"Fromm legt hier wie ein hellsichtiger Arzt den Finger auf die Wunde." Und: "Fromm hat es kommen sehen: ein Wirtschaftssystem, das von Gier getrieben und von persönlicher Verantwortung frei ist."
Bereits vor 30 Jahren mahnte er, "dass die vom System hervorgebrachte Selbstsucht die Politiker veranlasst, ihren persönlichen Erfolg höher zu bewerten als ihre gesellschaftliche Verantwortung." Wir empfehlen die Lektüre des gesamten Artikels in der FAZ.
Die Echo-Verleihung erhält keine gute Beurteilung. In der BERLINER ZEITUNG nennt Jens Balzer das Ereignis "eine Veranstaltung, die verlässlich durch ihre spektakuläre Sinnlosigkeit zu faszinieren und zu unterhalten versteht." In diesem Jahr allerdings "mit einigen Mängeln".
Jens-Christian Rabe zieht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG weniger rücksichtsvoll her über "den wichtigsten Musikpreis Deutschlands, wenn nicht Europas. Oder sogar der Welt".
Kurzum: "Große Musik. Große Preise. Große Show. Die Echos. Es war ganz einfach Quatsch, nicht einmal organisierte Zeitverschwendung in wirklich großem Stil. Bis auf zwei Momente und einen guten Witz von Max Raabe war einfach alles falsch. Drei Stunden lang. Die Musik. Die Auftritte. Die Show. Die Echos."
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