Aus den Feuilletons

Kriegsgräuel und Entertainment

Die Schauspieler Daniel Fries als Maler Heinrich Vogeler und Maximilian Grill (vorne) als der im Ersten Weltkrieg verletzte Maler Hans am Ende proben am 29.01.2008 im Theater Bremen eine Szene zu dem Schauspiel "Künstler" von Tankred Dorst Ingo Wagner.
Szene einer Theateraufführung über den Ersten Weltkrieg im Theater Bremen aus dem Jahr 2008. © picture-alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Gregor Sander · 26.03.2014
Im Jubiläumsjahr fühlt man sich offenbar genötigt, das Grauen des Ersten Weltkrieges auf die Bühne zu bringen. Sogar ein Musical zum Thema wird im Sommer aufgeführt. Doch passt das überhaupt zusammen?
"Theaterleute wissen: Man kann Krieg auf der Bühne nicht darstellen." Mit dieser Feuilletonweisheit beginnt Peter Kümmel seine Kritik in der Wochenzeitung DIE ZEIT, und man ahnt nichts Gutes für das Stück. "Der Belgier Luk Perceval, Hausregisseur des Hamburger Thalia Theaters, hat nun ein Projekt namens FRONT inszeniert, welches die Peinlichkeit der fröhlichen Kriegsdarstellung in aller Ehrfurcht vermeidet. Er arrangiert den Ersten Weltkrieg, den Grabenkrieg in Flanderns schlammigen Weiten, als eine 'Polyphonie' in den Sprachen der beteiligten Länder: Deutsche, flämische, französische und englische Sätze zischen wie verirrte Projektile übers unsichtbare Schlachtfeld hinweg."
Elf Schauspieler, neun Männer und zwei Frauen sitzen auf Bierkästen und sprechen Texte, "die aus dem Antikriegsroman 'Im Westen nichts Neues' des deutschen Schriftstellers Erich Maria Remarque und aus dem Kriegstagebuch 'Das Feuer' des französischen Schriftstellers Henri Barbusse stammen".
Aber haben wir das nicht alle schon gelesen?, fragt man sich an dieser Stelle und wird von Peter Kümmel in der ZEIT bestätigt:
"FRONT ist ein Stück, auf dessen Moral sich alle Völker verständigen können, bei denen das Stück demnächst zu Gast sein wird, und das ist ein Problem des Abends: Man spürt so sehr den frommen Wunsch, der aus ihm spricht. Man will auch ästhetisch keine Fehler machen. Man will die Toten ein letztes Mal zum Sprechen bringen, ehe man sie gemeinsam vergessen darf."
Wir sind im Jubiläumsjahr
Aber wir sind nun einmal im Jubiläumsjahr. Im Sommer vor hundert Jahren begann der Erste Weltkrieg und offensichtlich fühlt man sich nicht nur in Hamburg genötigt das Grauen des Grabenkampfes auf die Bühne zu bringen, wie Dieter Bartetzko in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG verrät:
"Im belgischen Ypern wird im Sommer ein Musical über den Ersten Weltkrieg uraufgeführt. Wer das hört, schreckt zurück. Kriegsgräuel und Entertainment sind unvereinbar, in rotem Plüsch zuzusehen, wie Menschen von Granaten zerfetzt werden, wäre eine Ungeheuerlichkeit."
Die belgische Stadt Ypern wurde im November 1914 von deutschen Truppen zerstört und später als Probestätte für Chlorgas und Senfgas missbraucht. Eine leichte Musicalmelodie kommt einem da nicht als erstes in den Sinn. Doch Dieter Bartetzko zeigt sich in der FAZ hoffnungsfroh: "'Miss Saigon' von 1989, basierend auf Puccinis 'Madame Butterfly', spielt im Vietnam-Krieg; Joshua Sobols 'Ghetto', 1984 mit der Musik von Peer Raben in Berlin. Es handelt vom Wilnaer Getto, wo jüdische Künstler für ihre deutschen Bewacher Tingeltangel spielen und am Ende ermordet werden."
Video-Anleitungen fürs Schminken
Aber wen will man mit einem Musical über den Ersten Weltkrieg überhaupt erreichen? Jugendliche vermutlich nicht, weil die ja viel lieber im Internet sind. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt auf ihrer Medienseite einige Youtube-Helden der jüngeren Genration vor, weil: "Ziemlich viele der Youtube-Sendungen mehr Zuschauer haben als eine Fernsehsendung zur Hauptsendezeit." Und wer daran zweifelt dem seien die Lochis ans Herz gelegt. "Dahinter stecken: Heiko und Roman Lochmann, 14, Zwillinge aus Hessen."
670.000 Abonnenten haben die beiden Schüler. Aber wofür? "Witze über nervige Mütter, nervige Lehrer, nervige Nixchecker. Parodien auf Charthits, Telefonstreiche, selbstkomponierte Songs."
Wer nun glaubt, dass sei ein Einzelphänomen, dem hält die SZ DagiBee und BibisBeautyPalace entgegen. Dahinter verbergen sich Dagmar, 19, aus Köln und Bianca, 21, aus Düsseldorf.
Auch sie können auf stolze 500.000 Abonnenten im Internet verweisen. Darüber wäre Harald Schmidt am Ende froh gewesen. Und was haben sie zu bieten? Video-Anleitungen, wie man sich besser schminkt, föhnt, frisiert.
Wer sich in diesem Durcheinander nach einer guten alten Feuilletonnachricht sehnt, wird in der WELT fündig: "Das Bildungsministerium von Mecklenburg- Vorpommern hat der Universität Rostock für die Erstellung der 'Uwe-Johnson-Werkausgabe' eine Förderung von 3,6 Millionen Euro zugesagt." Na bitte. Geht doch!
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