Aus den Feuilletons

"Der Mindestlohn bleibt eine Utopie"

27.03.2014
Die Debatte um den Mindestlohn und der Fall Gurlitt bestimmen heute die aktuellen Feuilletons.
„Der Verbund liberaler Demokratien sollte mehr sein als eine Zugewinngemeinschaft mutloser Pfeffersäcke.“ Das schreibt Sigmar Gabriel, großer Vorsitzender des kleinen Partners in der Großen Koalition, in einem Gastbeitrag für die WELT. Angst und bang kann einem werden, wenn so eine große Große Koalition großen Worten Taten folgen lässt. Und wenn Gabriel „Pfeffersäcke“ ruft, kommt als Echo „Mindestlohn“ zurück. Da ist er selber schuld. Und so erwischt der Mindestlohn die Generation Praktikum.
Auch Praktikanten, „die nach dem Abschluss von Ausbildung oder Studium länger als vier Wochen in einem Betrieb arbeiten, haben Anspruch auf 8,50 Euro Stundenlohn“, erklärt die TAZ freundlicherweise noch einmal – und lässt zwei ihrer Praktikantinnen darüber debattieren.
„Der Mindestlohn ist eine Dystopie“, schreibt Fumiko Lipp:
„Angenommen, heute wäre Mindestlohn, müssten Sie wahrscheinlich auf einen der Texte hier verzichten. Zwei Praktikanten könnte sich dieses taz-Ressort nämlich nicht mehr leisten.“
Lan-Na Grosse meint dagegen: „Der Mindestlohn bleibt eine Utopie“ und erläutert die GroKo-Argumentation so:
„Praktikanten seien keine Arbeitnehmer und müssten dementsprechend auch nicht wie Arbeitnehmer bezahlt werden. Genauso wenig wie Ehrenamtliche und Auszubildende – eine sehr freie Interpretation der Realität, um nicht zu sagen: eine Verarschung.“
Scharfe Worte aus den Federn derer, die Gabriel doch irgendwann wieder aus der Großen Koalition rauswählen sollten.
Und sonst? Gurlitt ist zurück, also der Fall Gurlitt. Einerseits sind noch mehr sogenannte Gurlitt-Bilder aufgetaucht, andererseits will Gurlitt nun ein Bild an frühere Eigentümer zurückgeben, obwohl er rechtlich nicht dazu gezwungen werden kann.
„Neues Lager, neue Transparenz“, titelt die TAZ. Brigitte Werneburg meint:
„Die Herausgabe des Matisse versteht der 81-Jährige als Botschaft, dass Unrecht nicht Unrecht bleiben darf“.
Kerstin Krupp spricht in der BERLINER ZEITUNG schon vom „Vorbild Gurlitt“. Nicola Kuhn mahnt im Tagesspiegel: „Gurlitt taugt nur bedingt als Skandalfigur, sein Fall aber bringt ein Problem deutlich wie nie zuvor ans Licht – die ungeklärte Provenienz tausender Werke in Museen und Privathaushalten“. Julia Voss findet in der FAZ: „Der Fall Gurlitt hat sich in ein großes verwinkeltes Schloss verwandelt, mit vielen Geschossen, Türmchen und Trakten, Flügeln und Zimmern“, und Stefan Koldehoff erläutert im gleichen Blatt:
„Cornelius Gurlitts Vater kaufte in Hitlers Auftrag ein. Trotzdem könnte für die Bilder die Unschuldsvermutung gelten.“
Trotz alledem gibt sich Peter Dittmar in der WELT tapfer überzeugt,
„dass die Causa Gurlitt vom Skandal zu einer Sache geworden ist, die in absehbarer Zeit … vernünftig gelöst werden kann.“
Sein Wort in Gottes Ohr.
Á propos Gott. Die WELT, immer auf der Suche nach dem Extra-Kick, lockt mit der fetten Überschrift: “Allah ist gar nicht so groß?“ – immerhin mit einem Fragezeichen versehen. Eva Maria Kogel berichtet von einer obskur anmutenden Tagung eines islamwissenschaftlichen Forscherkollektivs namens „Inarah“. Das, lesen wir,
„zweifelt an den Grundfesten des Islam: Mohammed habe es nicht gegeben, der Koran sei ein Plagiat und Mekka eine Erfindung“.
„Der Name“, schreibt Kogel, „ist Programm: Inarah heißt so viel wie `Lampenladen´ oder eben: Aufklärung.“
Zwar weist auch der WELT-Beitrag darauf hin, wo die Crux der Argumentation liegt:
„Indem der Inarah-Kreis eine ´Überschreibung´ oder ein ´falsches´ Verständnis älterer Traditionen postuliert, berauben sich die Forscher der wahren Möglichkeiten einer Kontextualisierung“
- aus einer abseitigen Tagung in Otzenhausen bei Saarbrücken einen Aufreger zu produzieren, bleibt dennoch, wenn auch im feuilletonistischen Rahmen, ganz schön populistisch.
Und wie es eigentlich gewesen ist – tja, das werden wir eh nie erfahren. Marc Tribelhorn hat für die NZZ eine Zürcher Ausstellung zu den „fiebrigen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg“ besucht und ist verwirrter herausgekommen als er hineingegangen ist:
„Wer die Zeitreise im Landesmuseum hinter sich hat, den plagt die Gewissheit: Es hätte auch ganz anders kommen können.“
Kein Trost im Feuilleton an diesem Frühlingstag.