Aroa Moreno Durán: "Die Tochter des Kommunisten"

Spanisches Exilantenschicksal in der DDR

05:20 Minuten
Aroa Moreno Durán: "Die Tochter des Kommunisten"
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Aroa Moreno Durán

Aus dem Spanischen von Marianne Gareis

Die Tochter des Kommunistenbtb, München 2022

175 Seiten

22,00 Euro

Von Marko Martin · 21.12.2022
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Katia lernt von ihren vor Franco geflüchteten Eltern, eine gute Bürgerin der DDR zu sein. Sie wird aber nicht heimisch und flieht in den Westen. Aroa Moreno Durán hat sich in ihrem neuen Roman tief in eine andere Erfahrungswelt eingefühlt.
Das in Ostberlin geborene Mädchen Katia trägt „zu Ehren der ruhmreichen Sowjetunion“ einen russischen Namen, hat exil-spanische Eltern, die sie Mamá und Papá nennt, doch achtet man in der kleinen Wohnung am Bersarinplatz im Friedrichshain streng darauf, dass vor allem deutsch gesprochen wird. Und wenn der Vater die Mutter zum Tanzen aufordert, ist die Musik aus dem Radio der von Walter Ulbrichts SED forcierte „Lipsi“, ein in der Bevölkerung wenig populärer Ersatz für „dekadenten westlichen Rock´n Roll“. Umso inniger aber tanzen die Elten, um sich und den Kindern Normalität vorzuspiegeln – einmal greift Papá sogar mit den Fingern ins Suppenwasser, holt ein durchsichtiges Kohlblatt hervor und preist es, ganz und gar unironisch, als annehmbaren Ersatz für eine Scheibe Serranoschinken.

Grenzenlose Dankbarkeit des Vaters

Die Dankbarkeit, als 1938 besiegter Republikaner und kommunistischer Franco-Gegner zuerst in der UdSSR und danach in der DDR Exil gefunden zu haben, scheint beim Vater grenzenlos zu sein, während die Mutter schweigt; sie war ihrem Mann ein paar Jahre später aus Spanien gefolgt. Das heranwachsende Mädchen Katia aber beobachtet. Dabei wundert sie sich über ihre seltsame Umwelt mehr, als es die jüngere Schwester Martina tut, und wir Leser folgen gebannt ihrem Blick über Jahre hinweg, vom Mauerbau über 1968, das in der DDR selbstverständlich kein Emanzipationsereignis sein dufte, bis hin zum Spektakel der staatlich organisierten „Weltjugendfestspiele“ 1973.
Dennoch ist das Buch „Die Tochter des Kommunisten“ kein autobiographisches  memoir, sondern ein Roman, und geschrieben hat ihn die 1981 in Madrid geborene Schriftstellerin Aroa Moreno Durán. In Spanien preisgekrönt und gleichermaßen ein Kritiker- und Publikumserfolg, ist nun auch in der deutschen Übersetzung zu erfahren, was Literatur, die ihren Namen verdient, alles vermag: Mit Empathie und Genauigkeit andere Länder, Zeiten und Milieus glaubwürdig darzustellen und sich mit Respekt und Neugierde andere Perspektiven anzueignen.
Denn tatsächlich ist dieser keineswegs episch überfrachtete, sondern in lakonisch-suggestiven Sätzen geschriebene Roman wieder einmal ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich just mit der so häufig bigott bekrittelten „kulturellen Aneignung“ neue Erfahrungwelten entdecken lassen. 

Die Liebe führt ins schwäbische Backnang 

Schließlich lernt die Protagonistin einen gleichaltrigen Westdeutschen kennen, erspürt den Hauch einer anderen Welt und wagt deshalb die „Republikflucht“, mit falschen Papieren via Tschechoslowakei. So landet Katia schließlich im schwäbischen Backnang, die Hochzeitsreise führt alsdann in den Schwarzwald, während der kriegsverehrte Schwiegervater und die Leute im Ort die „Spanierin“ eher misstrauisch beäugen. Und auch hier: Keine dick aufgetragenen Klischees, sondern weiterhin der präzise und irritiert bleibende Blick der Protagonistin, die sich nun einer weiteren, wenn auch ganz anders gearteten Fremdheitserfahrung ausgesetzt sieht.
Zwei Kinder werden geboren und die lustlos gewordene Ehe schließlich geschieden;  auch ein Urlaubsbesuch im spanischen Dorf von Katias Eltern hatte die Beziehung nicht kitten können, sondern des Gefühl der Ortlosigkeit nur noch verstärkt. Ein paar Jahre zuvor hatte Katia überdies bei einem abrupten Telefonanruf ihrer Schwester erfahren, dass Papá in Ostberlin verstorben war.
Nach Mauerfall und Wiedervereinigung gibt es dann die Möglichkeit, wieder in den Osten zu reisen, doch diesmal reist man als Leser eher skeptisch mit: zu kurzatmig das (womöglich mit Seitenblick auf eine mögliche Verfilmung) beschriebene Geschehen. Eine Brachlandschaft, in der das Wohnhaus ihrer Kindheit freilich noch vorhanden ist, die verbitterte Schwester, die an den Rollstuhl gefesselte demente Mutter und dazu ein Koffer mit den Stasiunterlagen über den Vater: Dieser war Informant des Geheimdienstes gewesen, hatte andere Exilspanier gezielt bespitzelt und musste schließlich für die Flucht seiner Tochter sogar mit Gefängnis büßen. Eine durchaus plausible Jahrhundertgeschichte, die nun leider auf allzu wenigen Schluss-Seiten abgehandelt wird. Andererseits: Es sind gewiss nicht die schlechtesten Bücher, an denen lediglich zu monieren ist, dass sie ein wenig zu früh enden.
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