Apps statt Ablage

Der lange Weg zur digitalen Verwaltung

27:33 Minuten
Illustration: Eine Person sortiert Akten in der Cloud.
Die Pandemie hat Veränderungen in Ämtern und Behörden hin zu digitalen Anwendungen beschleunigt. © imago / Ikon Images / Gregory Baldwin
Von Johannes Zuber · 27.07.2021
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Corona hat schonungslos offengelegt, wie schlecht es um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht. Faxgeräte, Papierformulare und Wartenummern sind dort immer noch Alltag. Doch so langsam kommt Bewegung in einen trägen Apparat.
Wir befinden uns im Jahr 2020 nach Christus. Videokonferenzen ersetzen das Büro, Lieferdienste das Restaurant, Onlineshopping das Einkaufszentrum. Das ganze Leben ist digital geworden.
Das ganze Leben? Nein! Ein von unbeugsamen Analogen bevölkerter Sektor hört nicht auf, der Digitalisierung Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die digitalen Pioniere, die Behörden, Ämter und Verwaltungen ins 21. Jahrhundert bringen wollen ...
Wenn sich David Adler an den Anfang der Coronapandemie erinnert, gerät er fast ins Schwärmen. "Das war wirklich eine Superzeit. Wenn man das in den Zeiten sagen darf, kann."
David Adler meint natürlich nicht die vielen Infizierten. Oder den Lockdown. Oder die Klopapier-Panikkäufe. Er meint die Zeit, in der er endlich mal die Arbeit machen durfte, die er eigentlich immer machen möchte.
"Ich bin bei der Stadt Bonn zuständig für den Bereich E-Government. Der ganze Bereich Verwaltungsdigitalisierung ist unser Schwerpunkt, also angefangen von E-Akten, Onlineformulare und auch unter anderem die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes."
Und genau diese Expertise war auf einmal gefragt wie nie. Denn als sich im März und April 2020 immer mehr Menschen mit Corona infizierten, hatte das Gesundheitsamt Bonn immer mehr zu tun – und brauchte dringend Hilfe.

Das Gesundheitsamt arbeitet mit Telefon und Fax

"Zunächst kam die Anfrage, ob wir da unterstützen können, in irgendeiner Form, dass wir schauen, wie kriegen wir in die Bearbeitung zum einen eine andere Qualität der Daten", erzählt er. "Dann sind wir an einem Freitagnachmittag ins Gesundheitsamt gefahren und haben da mal geschaut: Wie funktioniert das?"
Was David Adler dort sah, war ziemlich analog: Mehr als 100 Angestellte der Stadt Bonn arbeiteten pausenlos, die meisten von ihnen am Telefon. Sie sprachen mit Infizierten, deren Kontaktpersonen, besorgten Bürgerinnen. Sie druckten Ordnungsverfügungen aus und steckten sie in Briefumschläge. Und sogar die Faxgeräte wurden bedient.
"Ja, also die waren im Einsatz und waren, was Anordnungen von Abstrichen angeht, ein sehr, sehr genutztes Mittel. Auf jeden Fall", erinnert sich David Adler.
Diese umständliche und weitgehend analoge Arbeitsweise gab es längst nicht nur im Bonner Gesundheitsamt. Deutschlandweit zeigten sich Medien schockiert über die rückschrittliche Ausstattung der deutschen Gesundheitsämter.
Im Bonner Gesundheitsamt lief aber nicht alles analog. Zwar erfassten die Mitarbeiter alle Daten erst mal auf Papier. Später übertrugen sie diese aber in eine digitale Tabelle, einen sogenannten Sharepoint.

Der Handlungsbedarf war groß

"Das ist, ich sage mal, eine bessere Excel-Liste, also ist eine Datenbank, in der man arbeiten kann, die aber nur bis zu einer gewissen Grenze belastbar ist und auch komfortabel ist in der Suche", erklärt er.
Und diese Grenze rückte durch die steigenden Fallzahlen immer näher. Es musste also dringend etwas passieren. Denn im Kampf gegen Corona ist Deutschland auf die Arbeit der Gesundheitsämter angewiesen. Sie versuchten mit allen Mitteln, die erste Welle zu brechen. Dafür mussten sie den ständig wachsenden Berg an Daten aber irgendwie in den Griff kriegen. Also machte sich David Adler mit seinem Team an die Arbeit.
Etwa zur gleichen Zeit stand eine andere Behörde vor einem ganz anderen Problem. Sönke Fock kann sich noch genau daran erinnern, wie alles begann. "Zunächst mal war in meinem Kopf so eine Art Worst-Case-Szenario."
Sönke Fock leitet die Hamburger Arbeitsagentur, eine der größten Deutschlands. Und in dieser Funktion musste er im März 2020 eine schwere Entscheidung treffen. Die Schulferien waren vorbei, es war abzusehen, dass viel los sein würde in seiner Behörde. Und das bei rasant steigenden Infektionszahlen.
"Da hatte ich mich dann an diesem Wochenende entschieden, an dem besagten Montag ganz früh ins Haus zu kommen und habe gesagt: Wir machen um acht nicht auf", erzählt er.
Diese Information musste natürlich so schnell wie möglich raus. Sönke Fock und seine Mitarbeiterinnen schrieben Pressemeldungen, hängten Zettel an die gläserne Drehtür am Eingang und setzten so viele Leute wie möglich an die Telefone, um die vielen Anfragen zu beantworten.

Persönlicher Kontakt ist "klassischer Zugangskanal"

"Bis hin dazu, dass wir auch unseren Hausbriefkasten hier vor der Tür um ein x-Faches vergrößert hatten, weil wir natürlich davon ausgegangen sind, dass dann viele Menschen ihre Anliegen in den Briefkasten werfen und über den Weg mit uns kommunizieren", erklärt er.
Ein Mann liest die Infozettel am wegen der Coronakrise mit Flatterband abgesperrten Eingang der Agentur für Arbeit. Die Arbeitsagentur ist komplett für Besucherverkehr geschlossen, nur der Briefkasten wird regelmäßig geleert.
Komplett für den Besucherverkehr geschlossen: Abgesperrter Eingang der Agentur für Arbeit in Hamburg im März 2020.© picture alliance / dpa / Georg Wendt
Denn obwohl die Arbeitsagentur schon einige Dienstleistungen digital anbietet, läuft Anfang 2020 noch das meiste analog ab. In den riesigen Backsteinbau kommen jeden Tag Menschen, die Anträge stellen, Formulare unterschreiben, Beratungsgespräche führen. Wie viele Leute es jeden Tag sind, kann Sönke Fock nur schätzen.
"Es sind Tausende. Also der klassische Zugangskanal vor Corona war der persönliche Kanal. Es hat auch da schon Männer und Frauen gegeben, die ihre Anträge online gestellt haben. Das war aber zu der Zeit wirklich die Minderheit."
Zumal längst nicht alles online möglich war. Wer sich arbeitslos melden möchte, musste das vor Corona immer noch persönlich tun. Das schreibt der Gesetzgeber so vor. Also: In der Eingangszone im ersten Stock des Hamburger Backsteinbaus Schlange stehen, in engem Zickzack, getrennt durch Absperrbänder, und am Ende der Schlange einem Mitarbeiter am Schalter den Ausweis zeigen.
Wenn von heute auf morgen aber keine persönlichen Termine mehr möglich sind, dann müssen solche Dienstleistungen auf anderem Weg erbracht werden – sonst bekommen deutschlandweit Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiterinnen kein Geld.

Es fehlt an Technik, Geld – und am Willen

Beide Behörden, das Gesundheitsamt Bonn und die Arbeitsagentur Hamburg sind typische Beispiele für die deutsche Verwaltung während der Coronapandemie. Sie versuchen ihr Bestes, um arbeitsfähig zu bleiben, stoßen aber schnell an ihre Grenzen. Einfach, weil sie immer noch weitgehend analog arbeiten. Und digitaler zu werden, ist gar nicht so einfach.
Es fehlt an Technik, an Geld – und vielfach auch am Willen der Verwaltung selbst, sich tief greifend zu verändern. Die Digitalisierung der Verwaltung ist eine Aufgabe, die auf den ersten Blick einfach erscheinen mag – in der Umsetzung aber häufig scheitert. Allerdings nicht immer.

Was sollen wir tun in dem Haus, das Verrückte macht?
Ach, das ist einfach, ihr braucht euch nur einen Passierschein zu besorgen. Damit wäre die Aufgabe schon erfüllt.
Ah, das ist ja nur eine verwaltungstechnische Formalität!
Sehr richtig. Eine Formalität. Verwaltungstechnischer Art. Ihr müsst nur den Passierschein A38 verlangen.
(aus "Asterix erobert Rom", die Aufgabe Passierschein A38)

Schlechte Noten für die Digitalisierung

"Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte nehmen Sie Platz." Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eröffnet im Juni 2021 eine Debatte im Parlament. "Vereinbarte Debatte: Digitale Agenda in der 19. Legislaturperiode."
Es folgen Schlagworte und Eigenlob der Regierungsfraktionen von Union und SPD: "Alltagsdigitalisierung bei den Menschen ankommen ...", "Verwaltung per Mausklick, Bürgerbeteiligung im Netz, bedarfsgerechte und effiziente Daseinsvorsorge", "mithilfe der Digitalisierung die großen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen".
Naturgemäß sehen die Redner der Oppositionsparteien die vermeintlichen Erfolge der Regierung etwas kritischer. Es sind aber längst nicht nur sie, die der Digitalisierung der Verwaltung eine schlechte Note geben.
"Ich würde mal sagen: unbefriedigend", sagt Thomas Meuche, Professor an der Hochschule Hof. Dort leitet er das Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung. "Sie können heute, wenn Sie im Bett liegen, ein Konto eröffnen. Es dauert acht Minuten oder so. Warum geht das nicht beim Staat?"
Thomas Meuche ist aber keineswegs ein digitaler Nerd, der am liebsten das ganze Leben digital führen würde. "Man kann jetzt nicht immer sagen, alles, was digital ist, ist besser. Ich nutze auch nicht jeden digitalen Schmarrn, den es gibt. Da bin ich dann auch eher zu konservativ."

Die Politik hat das Thema erkannt

Ihm geht es darum, die Verwaltung so umzubauen, dass sie auch in Zukunft arbeitsfähig bleibt und einen möglichst großen Nutzen für die Bürgerinnen erbringt. Denn die alten, analogen Prozesse sind langsam, fehleranfällig – und sie verlangen, dass sich Formular und Mitarbeiterin immer am gleichen Ort befinden.
Alles Nachteile, die es auch schon vor Corona gab. Deshalb ist die Digitalisierung der Behörden auch nicht erst seit Corona ein Thema. 2013 verabschiedete der Bundestag das E-Government-Gesetz. Es verpflichtet die Verwaltung, elektronische Akten zu führen und mehr digitale Dienstleistungen anzubieten.
2014 beschloss die Bundesregierung das Programm "Digitale Verwaltung 2020". Es soll eine Verwaltung schaffen, die, Zitat, "die Potenziale der Digitalisierung nutzt, effektiv, transparent, effizient, barrierefrei, bürger- und unternehmensfreundlich ist".
2017 folgte das Onlinezugangsgesetz. Es verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch anzubieten.
Damit diese hochgesteckten Ziele auch irgendwann erreicht werden, muss die Verwaltung allerdings erst mal drei große Probleme lösen. Sie muss erstens genug Geld und eine angemessene technische Ausstattung bekommen. Zweitens muss sie einen Weg finden, sicher und sparsam mit den Daten der Bürgerinnen umzugehen. Und drittens muss sie sich von einer Verwaltungskultur verabschieden, die die analoge Arbeitsweise zwar 100 Jahre lang geprägt hat, die aber nicht mehr mit der neuen, digitalen Welt vereinbar ist.

Hören Sie, Fräulein!
Können Sie denn nicht warten, bis Sie dran sind? Was wollen Sie denn überhaupt?
Den Passierschein A38.
Haben Sie das blaue Formular?
Blaues Formular? Nein.
Wie wollen Sie denn dann den Passierschein A38 bekommen?
Und wo bekomme ich das blaue Formular?
Schalter 1!
(aus "Asterix erobert Rom")

Berufsberatung am Bildschirm

Der Eingangsbereich der Hamburger Arbeitsagentur ist im Mai 2021 eine Baustelle, er bekommt einen neuen Boden, der alte war abgewetzt durch die Tausende von Füßen, die jeden Tag darüber gingen. Jetzt ist die perfekte Zeit zum Renovieren, schließlich kommen gerade keine Kunden in dem Backsteinbau vorbei. Und auch viele Mitarbeiterinnen arbeiten von zu Hause aus.
Eine derjenigen, die trotzdem noch ins Büro kommt, ist Julia Wagner. An der Wand hängen noch große Luftballons in Form einer Drei und einer Null. Ihr 30. Geburtstag ist noch nicht lange her. Auf einem Schränkchen liegen Broschüren, die Jugendlichen den Weg ins Berufsleben erleichtern sollen. Der Besucherstuhl an ihrem Schreibtisch ist leer. Früher saßen hier den ganzen Tag lang Jugendliche.
"Genau die wurden dann eingeladen zu einer bestimmten Uhrzeit, haben die Einladung zugesendet per Post, und dann sind sie zum Teil alleine, zum Teil mit Freundinnen, Mutter, Vater, Onkel, genau, Betreuer, natürlich auch Vormund und hergekommen", erzählt sie.

Ganz einfach per Smartphone oder Computer

Jetzt sieht die Berufsberaterin Julia Wagner ihre Klientinnen nur auf dem Bildschirm. Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 musste sie in kurzer Zeit umstellen. "Es war tatsächlich auch unabhängig von Corona Thema, die Videoberatung einzuführen. Aber tatsächlich aktiv nutzen wir sie erst, seit es Corona gibt."
Eine Frau mit gestreiftem T-Shirt hält ein Smartphone in den Händen, um den Hals trägt sie Kopfhörer.
"Es ist überhaupt nicht kompliziert": Die allermeisten von Julia Wagners Kundinnen haben sowieso ein Smartphone.© imago images / Westend61 / Giorgio Magini
Inzwischen veranstaltet die Arbeitsagentur sogar Karrieremessen und Infoveranstaltungen online. "Da wurden verschiedene Räume eingeräumt oder angegeben, wo sich Jugendliche einwählen konnten. Und dann holen sie sich eben zum Beispiel eine Beratung oder schauen sich die Berufe, Betriebe an"
Technisch funktionieren diese Beratungen ziemlich einfach. Egal ob am Computer oder mit dem Smartphone. "Und es ist überhaupt nicht kompliziert. Du klickst einfach auf den Link im Endeffekt. Mehr ist es nicht."

Die Arbeitsagentur auf Einkaufstour

Die allermeisten von Julia Wagners Kundinnen, sprich Schülerinnen und Absolventen, haben sowieso ein Smartphone, das sie für die Beratung nutzen können. Auf der anderen Seite aber, bei den Berufsberaterinnen, musste die Arbeitsagentur technisch aufrüsten. Deshalb hat Julia Wagner eine Webcam am Monitor, und ein Headset liegt auf dem Tisch.
Technik, die die Arbeitsagentur natürlich nicht einfach so auf Vorrat im Keller liegen hatte, erzählt deren Chef Sönke Fock. "Also anfangs nicht. Also klar haben wir erst einmal eine Sichtung gemacht. Wer ist ausgestattet mit entsprechender Technik? Da haben wir uns dann also gefragt, was können wir sozusagen schnell zusammentragen? Gibt es da noch irgendwelche Reserven dann an der Ecke? Aber dann sind wir auch schlicht auf den Markt gegangen und mussten einkaufen."
Allein Laptops musste die BA in rauen Mengen kaufen. Wie viele genau, kann Sönke Fock nicht sagen. "Das weiß ich jetzt gar nicht aus dem aus dem Kopf. Da gehen Sie mal davon aus, dass das bestimmt ein vierstelliger Bereich gewesen ist."
Also über 1000 Laptops, allein für die Arbeitsagentur Hamburg. Hochgerechnet auf ganz Deutschland und alle unterschiedlichen Behörden von Gemeinden, Ländern und Bund kommen da schnell Kosten in Milliardenhöhe zustande. Geld, das irgendwer bezahlen muss.

Sinnvolle Ausgaben rechnen sich

Dabei aber nur die Kosten zu betrachten, ist für Thomas Meuche von der Hochschule Hof zu kurz gegriffen. "Also es fehlt sicherlich an vielen Stellen das Geld, muss man einerseits so sagen. Man kann aber jetzt auch nicht nur hingehen und sagen, wir betrachten jetzt mal die Technologie."
Sinnvolle Ausgaben in Sachen Digitalisierung rechnen sich, sagt Thomas Meuche. Denn richtig eingesetzte Technik spart mittelfristig Arbeitszeit – und damit Personalkosten. "Wenn Sie sich anschauen, wie lang dann die Amortisationsdauer einer solchen Lösung ist, da liegen sie teilweise bei unter einem Jahr. Das heißt, nach einem Jahr haben Sie eigentlich diese neue Lösung finanziert und sparen sich einfach relativ viel Arbeitszeit."
Geld für neue Technik dürfte also eigentlich nicht die entscheidende Hürde sein. Und damit lassen sich nicht nur Laptops, Kameras und Headsets kaufen, sagt Thomas Meuche. "Wenn sie irgendwie Software brauchen, dann können sie irgendwie Software kaufen. Und sie werden alles kriegen, was sie brauchen."

Gesundheitsamt entwickelt eigene Software

Im Gesundheitsamt Bonn haben David Adler und sein Team kurz darüber nachgedacht, eine bereits bestehende Software zu kaufen, sich aber schnell dagegen entschieden.
"Also, wenn wir da jetzt irgendwie ein Ausschreibungsverfahren hätten machen müssen, selbst eine Software, die wir vielleicht so hätten haben können, die zu implementieren, in die städtische Infrastruktur rein zu bekommen. Ich glaube, das hätte viel mehr Zeit gebraucht", sagt er.
Also entwickelten sie kurzerhand selbst eine Software. "Es war für die Kollegin insbesondere, die das programmiert hat, eine sehr fordernde Zeit. Das muss man sagen, weil ich sie leider auch im Urlaub, wenn da mal was war, kontaktieren musste. Das ist schon so zwei-, dreimal passiert."
Am Ende hat sich die viele Arbeit aber gelohnt – denn ohne die Software Covdi wäre das Bonner Gesundheitsamt schnell an seine Grenzen gestoßen. Dass es nicht so weit kam, lag an David Adlers Team und der Flexibilität der Leute im Gesundheitsamt, die sich innerhalb kürzester Zeit auf die neue Arbeitsweise einstellen mussten. Eigentlich untypisch für eine sonst eher verschlafene Behörde.

Die Kollegin ist zu Tisch, versuchen Sie mal Schalter 35, zu erfragen beim Pförtner.
(aus "Asterix erobert Rom")

Homeoffice mit Covdi nicht möglich

Komplett flexibel waren die Mitarbeiter des Bonner Gesundheitsamts trotzdem nicht. Was in anderen Branchen während der Pandemie zum Standard wurde, war in Bonn nach wie vor nicht drin. Das Programm Covdi funktionierte zwar gut – allerdings nur auf den Rechnern der Stadt. "Das war im Prinzip der Nachteil. Man muss das im Büro machen."
Für die inzwischen 300 Menschen, die mit Covdi arbeiteten, war es also nicht möglich, aus dem Homeoffice auf das Programm zuzugreifen. Technisch wäre es wohl gegangen, aber es gab ein anderes gewichtiges Argument gegen den Remote-Zugriff.
"Das hat auch Datenschutzgründe, dass wir gesagt haben, wir machen das in der geschlossenen städtischen Infrastruktur. Weil, wir haben da hochsensible Gesundheitsdaten der Bürgerinnen und Bürger. Und da waren wir auch nicht in der Lage, in der Kürze so ein Konzept aufzusetzen, dass wir es auch von außen zugreifbar hätten machen können. Das war in dem Umfang nicht möglich", erklärt David Wagner.

Jede Menge sensibler Daten

"Agentur für Arbeit, Klose, hallo. Ja, sind sie genau richtig." Tim Klose sitzt an seinem Schreibtisch in der Hamburger Arbeitsagentur und telefoniert mithilfe eines Headsets. So hat er die Hände frei, die Daten der Anruferin in den Computer zu tippen.
"Welches davon ist der Vor- und welches der Nachname?" Viele Daten. "Ich bräuchte einmal ihr Geburtsdatum." Sehr viele Daten. "Wo sind Sie aktuell wohnhaft gemeldet?"
Tim Klose hat eine junge Frau am Telefon, die demnächst mit ihrer Ausbildung fertig wird und noch keine feste Stelle gefunden hat. "Ich gehe mal davon aus, dass Sie ihre Ausbildung erfolgreich abschließen. So, ich gucke jetzt gerade noch ein bisschen im System rum. Sprachkenntnisse haben wir von Ihnen soweit schon erfasst. Ist bei Ihnen auch ein Führerschein vorhanden?"
Tim Klose findet im System schon früher erfasste Daten der jungen Anruferin. Die Bundesagentur für Arbeit hat nämlich schon vor Jahren auf die E-Akte umgestellt. Milliarden von Papierformularen wurden digitalisiert und sind jetzt sofort im System verfügbar. Auch deshalb blieb die Arbeitsagentur während des Lockdowns arbeitsfähig und brach selbst unter der Last von Tausenden Anträgen für Kurzarbeitergeld nicht zusammen.

Arbeitslosmeldung per App

Seitdem ist aber eine wichtige neue Funktion dazugekommen. Wer sich arbeitslos melden will, muss dafür nicht mehr persönlich vorsprechen – sondern kann das von zu Hause aus mit einer eigens dafür entwickelten App tun.
"Da gehen Sie auch einfach über den Online-Zugang rein, und da ist es dann genau erklärt, wie das funktioniert. Im Grunde machen sie eine Aufnahme, von ihrem Ausweis und von sich. Dann gleicht das System einmal ab, ob Sie wirklich Sie sind", erklärt er.
Warum die Arbeitsagentur die Arbeitslosmeldung per App ohne Corona wohl auch heute noch nicht eingeführt hätte, ist für Thomas Meuche von der Hochschule Hof ein Rätsel. Schließlich verwenden unter anderem Banken ein ganz ähnliches System. Und bei denen geht es nicht nur um persönliche Daten.
"Ja, und da kann mir keiner erzählen, das hat was mit Sicherheit zu tun", kritisiert er. "Also, wenn der Bürger vor irgendetwas Angst hat, dann ist es, dass sein Geld weg ist. Also viel mehr Angst, als dass ihm der Pass geklaut wird, dass seine persönlichen Daten irgendwo bei irgendeinem Social-Media-Account verschwinden oder sonst was. Und das ist was, was ich nicht nachvollziehen kann."

Unnötiges Datensammeln vermeiden

Man müsse das Thema Datenschutz zwar durchaus ernst nehmen, findet Thomas Meuche. Es darf aber nicht zum Totschlagargument werden, um jegliche technische Neuerung zu verhindern. "Und das nervt natürlich auch diejenigen, die sich um den Datenschutz kümmern, dass sie immer die Buh-Leute sind."
Im Aktenvernichter unkenntlich gemachte Dokumente.
Im Aktenvernichter unkenntlich gemachte Dokumente: Die digitale Verwaltung schafft neue Herausforderungen beim Datenschutz.© picture alliance / imageBROKER / Bernhard Claßen
Viel besser wäre es aus Sicht des Experten, vorher genau zu überlegen, welche Daten denn wirklich notwendig sind.
"Weil, wenn ich, um irgendeinen Prozess zu steuern, gar nicht diese personenbezogenen Daten brauche und sie demnach auch nicht speichern muss. Dann kann sie mir nachher auch keiner wegnehmen. An ganz vielen Stellen – egal, ob das jetzt im Unternehmen ist, ob das in Behörden ist – erfassen wir Daten, die eigentlich für die Bearbeitung eines bestimmten Prozesses nicht relevant sind. Und damit schaffen wir ein vollkommen überflüssiges Risiko."
Das geht natürlich nicht überall, keine Frage. Wer einen Personalausweis beantragt, muss zwangsläufig persönliche Daten angeben, und die muss das Amt auch bearbeiten. Digitalisierung heißt aber nicht, dass man die theoretisch unendlichen Speicherkapazitäten auch ausschöpfen sollte, um möglichst viele Daten zu sammeln.

Für das gelbe Formular Schalter 7, 5. Stockwerk, Stiege K, Korridor W.
Grünes Formular, Schalter 14, 1. Stock, Stiege F, Korridor T.
Hier kommen wir nie mehr raus, Asterix. Hier kann uns nicht mal der Zaubertrank helfen.
(aus "Asterix erobert Rom")

Der Anfang ist gemacht

In der Arbeitsagentur Hamburg hat Tim Klose inzwischen alle Daten der Auszubildenden am Telefon aufgenommen und in die elektronische Akte eingetippt. In den kommenden Tagen kann sie sich dann von zu Hause aus per Computer oder Smartphone arbeitslos melden.
Sie wird zusätzlich aber auch eine Menge Briefe von der Agentur bekommen, wird das eine oder andere Formular unterschreiben und zurückschicken müssen und mit Sicherheit auch noch mal bei Tim Klose und seinen Kolleginnen anrufen.
Denn trotz allen Fortschritts ist auch bei der Arbeitsagentur längst nicht alles digital und benutzerinnenfreundlich. Aber immerhin, der Anfang ist gemacht.
Eine funktionierende Software hatte im Frühjahr 2020 auch das Bonner Gesundheitsamt. Das Problem war nur, dass die Mitarbeiter erst einmal mit Covdi vertraut gemacht werden mussten, erzählt David Adler, Leiter der Abteilung E-Government und elektronische Verwaltung.
"Es lief zu Beginn so, dass wir die Kollegen im Gesundheitsamt noch selber geschult haben. Das war dann so eine Gruppe von zehn Leuten ungefähr, die dann unsere Multiplikatoren waren, mit denen wir uns auch immer ausgetauscht haben", erklärt er.
Diese Mitarbeiterinnen schulten wiederum weitere Kollegen. So lange, bis alle der insgesamt 300 Mitarbeiter wussten, wie sie mit dem Programm Covdi umgehen mussten. Und das war gar nicht so einfach. Denn die meisten der neuen Leute im Gesundheitsamt kamen eigentlich aus ganz anderen Bereichen.

Mitarbeiter teilweise überfordert

"Also aus dem Personalamt, aus dem Sport- und Bäderamt, aus dem Theater. Zum Ende kam auch die Bundeswehr dazu." Alle mussten in kürzester Zeit den Umgang mit der neuen Technik lernen.
"Also ich glaube schon, dass wir die Kollegen dann teilweise auch überfordert haben. Und wir hatten auch Kolleginnen, mit denen ich freitags abends lange telefoniert habe, die wirklich auch mit Tränen erstickter Stimme mich angerufen haben, weil das natürlich sehr viel war."
David Adler hat innerhalb von wenigen Wochen im Gesundheitsamt eine Entwicklung erlebt, die der gesamten öffentlichen Verwaltung in den kommenden Jahren bevorstehen könnte. Das zumindest glaubt Professor Thomas Meuche von der Hochschule Hof.
"Das, was wir jetzt in Corona erlebt haben an ganz vielen Stellen, das war nicht primär ein Problem nicht vorhandener digitaler Infrastruktur. Es war mindestens genauso ein großes Problem, dass wir keine adäquaten Organisationsstrukturen haben in der Verwaltung, die ein schnelles Agieren ermöglichen", sagt er.
"Also das, was man typischerweise in anderen Organisationen hat: Projektmanagement, Projektgruppen, die unabhängig von der Hierarchie sind, wo ich einfach Leute schnell zusammenziehen kann aus unterschiedlichsten Fachbereichen."

Hoffnung auf Generationenwechsel

Thomas Meuche hält es durchaus für möglich, dass die öffentliche Verwaltung sich in dieser Weise modernisiert. Die Bundesagentur für Arbeit zum Beispiel sei schon auf einem guten Weg. Der Großteil der deutschen Behörden und Ämter hat die Digitalisierung aber noch vor sich.
"Also eine gewisse Hoffnung bringt einfach die Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen", sagt er. "Und das ist jetzt nicht die Hoffnung, dass diejenigen, die technikfeindlich sind, in Ruhestand gehen, sondern einfach die Tatsache, dass uns dann 30 Prozent der Mannschaft fehlt und wir gezwungen sind, trotzdem die Prozesse am Laufen zu halten. Und das wird ohne die Digitalisierung und eine Veränderung der Prozesse nicht gehen."

Bin ich hier richtig für den Passierschein A39?
Sie meinen A38? Nein, für den Passierschein A38 …
Nein, nein, nein. Es handelt sich tatsächlich um den Passierschein A39, wie er im neuen Rundschreiben B65 festgelegt ist.
(aus "Asterix erobert Rom")

Dauerhaft positive Folgen?

Corona hat die öffentliche Verwaltung ganz schön durchgeschüttelt, Probleme schonungslos offengelegt und blitzschnelle Veränderungen verlangt. Einfach weil viele Ämter aus Hygienegründen geschlossen blieben und ein Großteil der Mitarbeiterinnen im Homeoffice war. Aber wird die Pandemie auch langfristig eine Veränderung bewirken? Professor
Thomas Meuche ist skeptisch. "Es ist die Gefahr, die ich sehe: Wir waren gerade so ein bisschen aus der Schiene rausgesprungen. Aber jetzt werden wir wieder zurückgehievt und fahren auf der Schiene wieder weiter, weil es dann unterm Strich doch einfach ist."
Sönke Fock von der Hamburger Arbeitsagentur ist da optimistischer. Er glaubt, dass die erzwungene Digitalisierung durch Corona dauerhaft positive Folgen für seine Behörde haben kann, weil manche Dinge jetzt schneller gehen.
"Arbeitslosmeldung, Antrag auf Arbeitslosengeld, das sind ja eigentlich Standardleistungen", sagt er. "Ich glaube, die könnten wir über den Weg der virtuellen Kommunikation gut und eben auch schnell lösen. Und in der persönlichen Kommunikation sollten wir wirklich die individuelle Beratung stärker sehen, uns darauf auch konzentrieren und die Zeit dann eben dafür verwenden."
In Bonn will David Adler mit seinem kleinen Team die Behörden und Ämter der Stadt auch in Zukunft mit individuellen Software-Lösungen versorgen. "Ja, auf jeden Fall. Ich glaube schon, dass das ein Weg ist, den wir auch aktuell gehen."

Bundesweit einheitliches Programm

Zeit dafür hat er jetzt. Denn sein Programm Covdi wurde im Frühjahr abgeschaltet. Stattdessen verwenden die Gesundheitsämter jetzt eine bundeseinheitliche Software. Für David Adler und sein Team war Covdi trotzdem ein großer Erfolg – auf den er jetzt aufbauen will. Denn das nächste Projekt wird noch größer.
"Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, das uns verpflichtet, bis Ende 2022 bei uns – für Bonn sind so ungefähr 500 kommunale Leistungen – für die Bürgerinnen und Bürger digital verfügbar zu machen. Und das ist gerade wirklich unser größtes Projekt, was wir aktuell haben, weil das schon ja die Verwaltung in allen Bereichen betrifft und auch kein Bereich, der außen vor ist", erklärt er.
Und vielleicht, ganz vielleicht, wird ein Behördengang in Zukunft dann so einfach wie Politik, Verwaltungsmitarbeiterinnen und Bürger sich das wünschen. Bequem, schnell und effizient.

Sagen Sie bitte …
Was denn, ich bin beschäftigt. Was wollen Sie eigentlich?
Nur den Passierschein A38.
Hier ist er doch. Und nun verschwinden Sie! Wir haben hier schließlich Wichtigeres zu tun.
(aus "Asterix erobert Rom")

Autor: Johannes Zuber
Es sprechen: Monika Oschek, Mirko Böttcher
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Carsten Burtke

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