Annette Pehnt: "Die schmutzige Frau"

Eine Frau in der Falle

05:37 Minuten
Buchcover des Romans "Die schmutzige Frau" von Annette Pehnt: Gemalte Szene, in der sich eine Frau mit kurzen dunklen Haare auf eine Balkonbrüstung aufstützt und in Richtung der Natur im Hintergrund schaut.
© Piper

Annette Pehnt

Die schmutzige FrauPiper, München 2023

176 Seiten

22,00 Euro

Von Wiebke Porombka · 27.01.2023
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Sein Selbstbewusstsein trifft auf ihre Unsicherheit: Ein raumeinnehmender Ehemann kauft seiner Frau eine eigene Wohnung zum Schreiben. Doch der Luxus wird zum Gefängnis. In "Die schmutzige Frau" schreibt Annette Pehnt über toxische Beziehungsmuster.
„Meinmann“ - geschrieben in einem Wort - nennt die Erzählerin konsequent ihren Mann, Vater der beiden gemeinsamen, gerade erwachsenen Kinder. Die Beziehung zeichnet sich für sie allerdings durch ein umgekehrtes Gefühl aus: Die Erzählerin ist zu einer Art Verfügungsmasse des raumgreifenden Mannes geworden, der sie durch seine physische und psychische Dominanz zu erdrücken droht.

Dominanz trifft Passivität

Ein beinahe überdeutliches Bild, das es bis in den Titel von Pehnts Roman geschafft hat: der Schmutz, der an der Erzählerin zu kleben scheint. Ihr Eindruck, ihr Mann sehe sich genötigt, immerzu an ihr herum zu wischen, etwas zu korrigieren, etwas auszuradieren. Das Bewusstsein eines permanenten Ungenügens.
Pehnt lässt die Lesart zu, dass hier zwei konträre Veranlagungen – Dominanz und Passivität, Selbstbewusstsein und Unsicherheit – aufeinandertreffen und sich als Muster einschleifen, verstärken, verselbstständigen. Ebenso wie jene: dass da eine Frau in eine Falle geraten ist, vor der bis in heutige Beziehungen auch gewandelte gesellschaftliche Bedingungen, theoretische Möglichkeiten der Emanzipation nicht schützen.

Eine eigene Wohnung

Ausgerechnet der Versuch der Erzählerin, einer Schriftstellerin, diese Dynamik aufzubrechen, mündet in ein klaustrophobisches Szenario. Ihr Wunsch war eine Wohnung, ein Raum für sich allein, wie er in der Nachfolge Virginia Woolfs von Frauen, vor allem Künstlerinnen immer wieder reklamiert worden ist - um schreiben zu können. Aber eben diese Wohnung – und an dieser Stelle kippt Pehnts Roman mal mehr, mal weniger deutlich ins Fantastische oder immerhin Allegorische – wird zu einer Art Gefängnis: Der Mann hat die Wohnung ausgesucht, gekauft, die Einrichtung organisiert.

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Die Erzählerin, ohne dass es logisch begründet würde, kann diese Wohnung nun nicht mehr verlassen. Sie ist angewiesen auf die Einkäufe, die ihr Mann bringt. Sie muss den Besuch aushalten, den der Mann ungefragt in ihre Wohnung einlädt, ebenso wie den Regen, der irgendwann unaufhaltsam durch die Decke tropft.

Gefangen im Verskorsett

Die Form, die Annette Pehnt, für ihren Roman gewählt hat - Versumbrüche verbunden mit dem Verzicht auf durch Punkte markierte Satzenden - entwickelt literarisch leider keine zwingende Wucht. Dennoch korreliert die Form überzeugend mit der emotionalen Bewegung, die in „Die schmutzige Frau“ vollzogen wird: das permanente Changieren zwischen dem Korsett, in das die Erzählerin durch ihren Mann geschnürt wird und dem als Äquivalent auf formaler Ebene die Versform entspricht. Und einer doch eigentlich möglichen – vielleicht von ihr nur übersehenen - Offenheit, die sich in den nach hinten offenen Sätzen spiegelt.
Ähnlich konsequent sind die Geschichten angelegt, die Pehnt ihre Erzählerin in der gleichermaßen verhassten wie herbeigesehnten Wohnung schreiben lässt und die, kursiv gesetzt, in die Romanhandlung eingefügt sind. Diese Geschichten korrespondieren zunächst nur über einzelne Motive, etwa den Schmutz, der wie eine märchenhafte Verwünschung an den weiblichen Figuren haftet, mit Leben und Empfinden der Erzählerin.

Reflexion übers Schreiben

Mit jeder weiteren Geschichte, die sie schreibt, rückt jedoch die Erzählerin näher oder offensichtlicher an ihren eigenen Alltag heran. Bis schließlich Geschriebenes und das Leben der Schriftstellerin, beinahe wie nebenbei, ineinander überzugehen scheinen.
So ist Annette Pehnts „Die schmutzige Frau“ nicht nur ein Roman über toxische Beziehungsdynamiken, sondern auch eine Reflexion über das autofiktionale Schreiben, dessen derzeitige Konjunktur durchaus kontrovers diskutiert wird. Die Haltung Pehnts lässt sich dabei als eine emphatische deuten. Erzählt sie doch von einer Schreibbewegung, der in der zunehmenden Annäherung die Kraft zukommt, einen Ausweg zu eröffnen aus eingefahrenen Lebens- und Denkmustern.
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