Heinz Helle: "Wellen"

Verzweifeln über Männlichkeit

05:11 Minuten
Das Cover des Buches "Wellen" von Heinz Helle. Zu sehen ist eine Art Spirale, die sich auf dunklem Grund von oben nach unten über das Cover zieht und an Radiowellen erinnert.
© Suhrkamp Verlag

Heinz Helle

WellenSuhrkamp, Berlin 2022

284 Seiten

23,00 Euro

Von Wiebke Porombka · 12.09.2022
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Zwischen Roman und Regenhose, dem Existenziellen und Banalen bewegt sich Heinz Helles Erzähler. Er ist Autor, Familienvater und stellt sich als Mann in eine Linie mit der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Liest man die Romane Heinz Helles in der Reihenfolge ihres Erscheinens, beginnend mit „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ (2014) bis hin zum jüngsten, dann macht es den Eindruck: Mit jedem dieser Bücher schreibt sich der 1978 Geborene näher heran an die eigenen Lebensumstände. Oder aber: wird die Verbindung zwischen biografischen und literarischen Umständen zumindest offensichtlicher.

Corona und Kinder

„Wellen“ erzählt von einer doppelten Ausnahmesituation im engen – immer wieder auch beengten – familiären Rahmen. Es ist das erste Jahr der Coronapandemie, der Ich-Erzähler und seine Frau sind gerade Eltern einer zweiten gemeinsamen Tochter geworden – ebenso wie Heinz Helle und seine Frau, die Schriftstellerin Julia Weber.
Sie hat interessanterweise mit „Die Vermengung“ im Frühjahr ein Buch veröffentlicht, das – ebenfalls sehr dicht an der eigenen Erfahrungswelt – das fragile Verhältnis von Mutter- und Künstlerinnenschaft verhandelt.

Wellenförmiges Denken

„Wellen“ heißt Helles Roman – und damit ist weniger das Meer gemeint, auch wenn der Ich-Erzähler sich immer wieder an die schwedische Küste träumt, wo er nicht nur den zermürbenden Anstrengungen des Züricher Alltags, sondern womöglich auch dem kollabierenden Klima entkommen könnte.

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Wellen, das meint vor allem das im Denken des Erzählers beständige Ineinanderwogen von Prosaischem und Existenziellem. Er kümmert sich – so verlangt es die Abmachung mit seiner Frau, aber auch der eigene Anspruch – um den Haushalt genauso wie um den nachts weinenden Säugling oder darum, dass die ältere Tochter ihre Regenhose anzieht und hält diese Verrichtungen wie in einer Art literarischem Protokoll fest.

Gewaltvolles Erbe

Zugleich denkt er beinahe notorisch über die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts nach und darüber, wie sich aus ihr Verbindungen ziehen lassen zu einer – auch seiner – von Kälte, mitunter Aggression, grundierten Männlichkeit.
Ähnlich wie bei Helles Vorgängerroman „Die Überwindung der Schwerkraft“ weiß man nicht – und womöglich hat auch der Erzähler keine Antwort darauf: Ist die Verzweiflung dieses Mannes bedingt durch das Wissen um die Vergangenheit? Oder werden die historischen Verbrechen nur zu einer Begründung für die eigene, haltlose Traurigkeit?

Liebe zur Sprache

Man kann Helles Roman als einen Prototypen der Autofiktion nehmen, wie sie derzeit vermehrt zu lesen ist. Viel mehr aber ist „Wellen“ eine sensible und tiefsinnige, in ihrer Ungeschütztheit berührende Reflexion über Vaterschaft, überkommene und neue Rollenmodelle und nicht zuletzt über die Liebe: zu den eigenen Kindern, zu seiner Frau, zu sich selbst. Nicht zu vergessen: zur Sprache.
Die langen, nie mäandernden, sondern aufs musikalischste ausufernden Sätze, die Helle zu schreiben versteht, stiften – bei aller Unruhe, die den Erzähler umtreibt – Halt genauso wie Harmonie. Wellen, das sind in diesem Roman vor allem die sanften Sprachbewegungen, die das Unglück – das vielleicht banal anmutende alltägliche ebenso wie das universellere Zweifeln und Verzweifeln –  immer wieder in einen Zustand verwandeln, der von Glück nicht ganz weit entfernt zu sein scheint.
 
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