Anke te Heesen: „Revolutionäre im Interview“

Krieg der Physiker

05:43 Minuten
Zwischen orange-weißen Diagonalstreifen sind der Autorinname und der Buchtitel zu sehen.
© Wagenbach Verlag

Anke te Heesen

Revolutionäre im Interview. Thomas Kuhn, Quantenphysik und Oral HistoryWagenbach Verlag, Berlin 2022

237 Seiten

24,00 Euro

Von Katharina Teutsch · 25.08.2022
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Anfang des 20. Jahrhunderts stellten Forscher wie Niels Bohr oder Werner Heisenberg die Physik neu auf. Der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn befragte zentrale Figuren dieser Revolution. Einige dieser Interviews kann man jetzt nachlesen.
Von dem französischen Epistemologen Georges Canguilhem stammt der Satz: „Die Vergangenheit einer Wissenschaft ist nicht dieselbe Wissenschaft in ihrer Vergangenheit.“
Damit nimmt er einige Gedanken vorweg, die der amerikanische Historiker Thomas S. Kuhn 20 Jahre später in seiner Studie Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen präzisiert hatte. Kuhn beschrieb den subversiven Charakter wissenschaftlicher Revolutionen, die sowohl dem gesunden Menschenverstand, also der Alltagspraxis, zuwiderlaufen als auch bestimmten Vorannahmen über das Denken.

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„Epistemologische Brüche“ nannte sein Lehrer Gaston Bachelard solche Revolutionen des Denkens. Demnach ist die Erkenntnis eines Objekts im Grunde gar nicht möglich, weil es unausweichlich frühere Erkenntnisse sind, gegen die man erkennt. Aus diesem Grund gibt es „keine ursprünglichen Wahrheiten, nur ursprüngliche Irrtümer“, meinte Bachelard.
Die große Leistung der in den 60er-Jahren prosperierenden Wissenschaftsgeschichte bestand also darin, zu zeigen, dass Erkenntnis, wie lange angenommen, keine Fortschrittsgeschichte ist, sondern ein diskontinuierlicher Prozess voller Widersprüche, Rückschritte und Zufälle.

Nach Newton

Die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen geht jetzt in ihrem Buch „Revolutionäre im Interview“ einem wissenschaftshistorischen Archivierungsprojekt nach, das Thomas S. Kuhn kurz nach der Fertigstellung seines Buchs über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen Anfang der 60er-Jahre von Berkeley aus betreute.
Es ging ihm darum, in Interviews mit den Stars der quantenphysikalischen Revolution um Leute wie Einstein herauszufinden, wie genau es zur Entstehung der neuen Sicht auf die Naturgesetze gekommen war, die die Newtonsche Mechanik Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hinter sich gelassen hatte.
„Zu diesem Zeitpunkt galt die Physik nach wie vor als die mächtige Königin der Wissenschaften. Keine andere Disziplin konnte das Funktionieren der Welt so gut erklären, keine andere die Natur, ihre Gesetze und Regelhaftigkeiten besser in ein Verhältnis setzen. … Im Lichte von Newtons Mechanik war die Natur als nach unwiderruflichen Gesetzen, nach Ursache und Wirkung geordnet verstehbar und voll universeller Naturkonstanten.“

Bauliche Veränderungen

Der britische Astrophysiker Stanley Eddington schrieb 1928 über das neue Gebäude der Physik folgenden lustigen Satz: „Bauliche Veränderungen im Gange – Unbefugten ist der Eintritt streng verboten.“
Das Interviewprojekt „Sources for History of Quantum Physics“ war ein Projekt von Befugten, das über einen Zeitraum von vier Jahren Oral History betrieb zur Entstehung erst immer abstrakterer Wissenschaftsgebäude und dann ihrer immer konkreteren Anwendbarkeiten wie der Atombombe. Kuhn interessierte sich vor allem für die gescheiterten Versuche, die Sackgassen und auch für die psychische und soziale Situation der Forscher.

Wissenschaftliche Sackgassen

In Anke te Heesens Buch kann man nun einige dieser Interviews mit Physikern von Heisenberg bis Bohr nachlesen, was allerdings inhaltlich Vorkenntnisse in der Materie erfordert. Man kann aber auch als Laie der Physik ein paar grundlegende Dinge über wissenschaftliche Paradigmenwechsel im frühen zwanzigsten Jahrhundert lernen.
Oder vom „Krieg der Physiker“ lesen, bei dem das geheime Wissen über die Möglichkeit der Megabombe vor allem nationalpolitisch genutzt wurde: „Im Rahmen militärischer, technologischer und administrativer Programme wurde die physikalische Forschung als Sache der nationalen Sicherheit gegen die von Nazideutschland propagierte Weltherrschaft vorangetrieben.“
Alles in einem sehr lesbaren und im besten Sinne unakademischen Stil, der um Vermittlung ebenso bemüht ist wie das legendäre Forschungsprojekt, das er präsentiert.
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