Andreas Speit: "Bürgerliche Scharfmacher"

Thilo Sarrazin war "Türöffner" für neu-rechte Bewegungen

Der deutsche SPD-Politiker Thilo Sarrazin und der Chef der rechtspopulistischen, österreichischen Partei, FPÖ, Heinz-Christian Strache bei einer Diskussion im Oktober 2015 in Wien
Der deutsche SPD-Politiker Thilo Sarrazin und der Chef der rechtspopulistischen, österreichischen Partei, FPÖ, Heinz-Christian Strache bei einer Diskussion im Oktober 2015 in Wien © (c) dpa
Moderation: Maike Albath · 07.01.2017
Der Rechtspopulismus sei kein "Jungbrunnen der Demokratie", sagt der Buchautor Andreas Speit. Die Folge neu-rechter Strömungen sei vielmehr, dass sie eine antidemokratische und antiemanzipatorische Politik vorantrieben, die dann von anderen Parteien umgesetzt werde.
Maike Albath: Die deutsche Neue Rechte will nicht nur mit der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel abrechnen, sie stellt das bundesrepublikanische Modell insgesamt infrage. Wie das funktioniert und wer hinter der politischen Bewegung steckt, steht im Mittelpunkt des Buches "Bürgerliche Scharfmacher". Der Journalist und Sozialökonom Andreas Speit hat es geschrieben, er ist einer der besten Kenner der rechtsextremen Szene und jetzt aus Hamburg zugeschaltet. Guten Tag!
Andreas Speit: Einen schönen guten Morgen!
Albath: Wer sind denn die Vordenker der Neuen Rechten?
Speit: Ja, wir müssen leider feststellen, dass genau diese Vordenker in der Mitte der Gesellschaft in Medien und Politik kaum beachtet werden und man deswegen so unglaublich überrascht ist von dem, was wir in den letzten Jahren erleben konnten. Diese Vordenker der Neuen Rechten sind organisiert in Zeitungen, in Instituten und kleineren Zirkeln. Das Institut für Staatspolitik ist mittlerweile einer der zentralen Orte, wo die rechte Ideologie gebildet wird, Personen geschult werden und man auch ganz gezielt versucht, Einfluss auf die AfD zu nehmen.
Albath: Jemand, der dort sehr entscheidend war, ist Götz Kubitschek, das ist auch für Sie eine zentrale Figur – warum?
Speit: Götz Kubitschek ist einer der zentralen Vordenker, der in den letzten Jahren es wirklich geschafft hat, ein Netzwerk aufzubauen, wobei man auch eindeutig betonen muss, dass in diesem Netzwerk eben verschiedene Akteure zusammengekommen sind, die sonst nicht zusammengearbeitet haben, und das ist auch die neue Qualität.
Albath: "Wünschen wir uns die Krise" ist ein Zitat von Götz Kubitschek, das Sie bringen. Wovon profitiert er da? Oder wovon profitiert die gesamte Bewegung, wenn etwas so ins Rutschen gerät?

Schlagwort "Alternativlosigkeit in der Politik"

Speit: Also ich glaube, da muss man sehr vorsichtig sein und sollte sich vor pauschalen Aussagen ein wenig hüten. Es sind verschiedene Prozesse, die ineinandergreifen, und verschiedene Momente, die auch ineinanderwirken. Ein Aspekt ist natürlich, dass wir in den letzten Jahren ein politisches Vakuum erlebt haben unter diesem Schlagwort "Alternativlosigkeit der Politik". Und das ist einer der Aspekte, den sie auch sehr geschickt aufgreifen und natürlich eben auch bestehende Probleme in Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingspolitik. Und das ist der Punkt, wo wir sehen können, dass sie ganz bewusst sagen, dass es jetzt Zeit ist, weil sonst ist es zu spät, sonst könne Deutschland nicht gerettet werden. Jetzt wollen sie aktiv werden, jetzt wollen sie noch mehr sozusagen auf die Straße auch gehen.
Albath: Mir ist aber noch nicht so ganz klar, was Götz Kubitschek so brisant macht oder seine Position so brisant macht.
Speit: Das Brisante an Götz Kubitschek ist, dass er ein Netzwerk aufgebaut hat, das muss man wirklich betonen. In den letzten Jahren konnten wir auch erleben, dass mit der Identitären Bewegung, die sich sehr eng an Götz Kubitschek angehängt hat, wir auch wahrnehmen müssen, dass diese Szene ganz gezielt politische Provokationen sucht, die er beispielsweise eben in einem seiner Bücher auch hervorgehoben hat, nämlich durch die Provokation die politische Auseinandersetzung voranzutreiben. Und jemand, der mit Worten auch arbeitet, wie Götz Kubitschek, dem muss man dann auch vorhalten, dass er dort unter anderem eben betont, dass eigentlich heute nichts anderes mehr helfen würde als der Schlag ins Gesicht. Und das ist eine ganz klare Kriegserklärung.
Albath: Es gibt auch immer wieder Rückbindungen an den italienischen Faschismus, an Vordenker der französischen Rechten, Sie sprechen auch, Herr Speit, von einer bürgerlichen Fassade, hinter der sich häufig etwas ganz Radikales verbirgt, und als Beispiel nennen Sie Frauke Petry. Worin zeigt sich da das Radikale?
Die "Identitäre Bewegung" ist eine rechtsextreme Strömung mit Wurzeln in Frankreich.
Die "Identitäre Bewegung" ist eine rechtsextreme Strömung mit Wurzeln in Frankreich.© Imago

"Fundamentale Absage an jede liberale Gesellschaft"

Speit: Vielleicht darf ich das mit einem kleinen Rückgriff versuchen: Wir erleben, dass natürlich die AfD in den letzten Jahren sozusagen der parteipolitische Gravitationspunkt für diese gesamte soziale Bewegung von rechts geworden ist. Das Institut für Staatspolitik ist quasi eins der zentralen ideologischen Zentren, und die Pegida-Bewegung, wenn man das so betonen möchte, ist quasi ein atmosphärischer Anheizer. Und sie alle haben etwas gemein, was wir im ersten Moment gar nicht so wahrgenommen haben, nämlich genau den Bezug zur konservativen Revolution und zum italienischen Faschismus und zu verschiedenen Vordenkern der französischen neuen Rechten.
Und hier merkt man, dass wir da nicht so genau sind in der Wahrnehmung. Wir sind nicht so schockiert, wenn da beispielsweise auf jemand zurückgegriffen wird wie Arthur Moeller van den Bruck, der sagt, an Liberalismus gehen die Völker zugrunde. Da sind wir gar nicht so erschrocken, dabei ist das eine fundamentale Absage an jede demokratische, liberale Gesellschaft. Und diese Dimension erkennen wir oft zu spät oder manches Mal merken wir sie gar nicht.
Und Frauke Petry spielt genau auch mit solchen Elementen. Sie hat ja ganz bewusst vor kurzer Zeit gesagt, sie würde gern den Begriff völkisch neu denken, positiv besetzen wollen, hat dann auch im nächsten Zug gesagt, natürlich nicht im Sinne des Nationalsozialismus. Und das ist genau so eine Argumentationsstrategie: Man prescht vor mit einer radikalen Position, relativiert sie und bedient damit zwei Ebenen, nämlich einerseits das Klientel, was weit rechts steht in der Mitte der Gesellschaft, und gleichzeitig das etwas konservativere Milieu, was sich aber von der CDU/CSU nicht mehr so vertreten fühlt. Und gleichzeitig erleben wir etwas anderes dabei, dass wir selber gar nicht nachfragen, ja, was heißt denn dann eigentlich völkisch. Völkisch ist von Anbeginn der ersten Bewegung 1871 eine Bewegung gewesen, die immer von Blut und Boden ausgegangen ist und daraus abgeleitet hat, wer zum deutschen Volk dazugehört und wer nicht – mit den radikalsten Konsequenzen.
Albath: Sie erwähnen, Andreas Speit, auch eine Studie, die sehr bekannt geworden ist, des Soziologen Heitmeyer über Menschenfeindlichkeit, der auch von einer Entkultivierung des Bürgertums spricht. Teilen Sie diese Einschätzung des Soziologen?

Sarrazin tritt in Österreich bei der FPÖ auf

Speit: Ja, die teile ich. Die Studie lief über zehn Jahre, und wir müssen leider feststellen, dass die Daten, die dort über die Jahre erhoben worden sind, mehr und mehr auch wirklich zutreffend sich in der Politik widergespiegelt haben. Wir wussten quasi schon immer, dass es rechte Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft gibt, es war nur eine Frage der Zeit, wann es vielleicht ein Angebot geben wird, eine Partei oder eine Bewegung, die es schafft, einerseits das als parlamentarische Option zu präsentieren oder eben als Kraft auf der Straße. Und genau diese Phase erleben wir in den letzten drei, vier Jahren mit dem Aufkommen der AfD.
Die Studie belegt auch das, was die Neue Rechte selbst eigentlich offen zugibt. Götz Kubitschek sagt nämlich selber, sie selbst als Neue Rechte, zu der ja auch die "Junge Freiheit" und die "Blaue Narzisse" gehören, haben gar nicht so in der Mitte der Gesellschaft diesen großen Schlag geschafft. Der ist gekommen von Personen aus der Mitte der Gesellschaft wie Thilo Sarrazin. Das waren für sie Türöffner, wie sie selbst sagen, Rammböcke, und in diesem Fahrwasser der politischen Debatte, die diese Personen losgetreten haben, schwimmen sie sehr gut mit.
Albath: Schaffen sie es denn, solche Personen wie Thilo Sarrazin, den Sie jetzt als Türöffner bezeichnet haben, auch einzubinden in diese Bewegung, oder ist das mehr so eine atmosphärische Sache?
Speit: Ja, es ist eine atmosphärische Sache, Thilo Sarrazin – es ist ganz offensichtlich – meidet das neue rechte Milieu tatsächlich in Deutschland. Aber er hatte beispielsweise überhaupt keine Probleme, in Österreich bei der FPÖ im Wahlkampf aufzutreten für die FPÖ, aber zur Neuen Rechten geht er noch ein bisschen auf Distanz. Aber es gibt auch Punkte, wo man sagen muss, da ist ihm das egal, beispielsweise bei der Zeitschrift "Compact" von Jürgen Elsässer, ein weiteres rechtes Projekt, was leider sehr erfolgreich in den letzten Jahren gewesen ist. Dort ist er auch ganz gern ein großer Interviewpartner gewesen und legt auch dort gerne seine Thesen dar.
Albath: Nun ist die AfD ja in einige Parlamente eingezogen. Haben Sie beobachtet, was dort passiert ist, was haben die geleistet, diese Parlamentarier?

"Sie gehen nicht in die Parlamente, um die Demokratie zu stärken"

Speit: Das ist sehr unterschiedlich. Wir müssen da auch feststellen, dass die Partei ja in sich sehr heterogen ist, auch wenn sie gemeinsame Punkte hat, vor allem in den Feindbildern sind sie sich ja sehr einig, aber in den Parlamenten muss man feststellen, dass sie sehr unterschiedlich agieren. Aber eins kann man pauschal doch sagen: Sie arbeiten dort nicht konstruktiv mit, das ist aber auch noch nie die Intention einer rechtspopulistischen Partei im Parlament gewesen. Sie gehen nicht in die Parlamente, um die Demokratie zu stärken.
Albath: Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die sich schon seit vielen Jahren mit dem rechten Populismus beschäftigt und populistischen Bewegungen, bewertet den rechten Populismus ja auch positiv und sagt, dass von dieser Bewegung Impulse ausgehen könnten und dass es eine Chance wäre für eine neue demokratische Offenheit. Das ist ja zunächst einmal sehr irritierend – wie würden Sie das bewerten, Andreas Speit?
Speit: Diese Aussage ist natürlich ein wenig irritierend und sie blendet vor allem etwas aus, was wir eigentlich in den letzten Jahren europaweit und auch in Deutschland erleben mussten: Immer, wenn rechtsextreme Parteien stark wurden oder rechtspopulistische Bewegungen stark wurden, ist in der Mitte der Gesellschaft darauf reagiert worden. Man hat quasi die Anliegen angenommen, man hat das politische Vakuum, was man hinterlassen hatte, wo diese Bewegungen und Parteien stark geworden sind, versucht zu füllen, aber nicht mit mehr Demokratiefragen, sondern meistens durch die Einschränkung von demokratischen Rechten. Und gerade in Deutschland können wir erleben, dass die Frage von Einwanderung und Asyl im Schatten der Angst vor der AfD ja immer mehr sozusagen eingeengt wird und ausgehebelt wird. Also darum würde ich jetzt nicht sagen, dass der Populismus ein Jungbrunnen der Demokratie ist, sondern der Rechtspopulismus – das ist eher zu befürchten – ist ein Antreiber für antidemokratische, antiemanzipatorische Politik, die dann in der Mitte der Gesellschaft von anderen Parteien umgesetzt werden.
Albath: Vielen Dank, Andreas Speit! Wir sprachen über sein Buch, "Bürgerliche Scharfmacher: Deutschlands neue rechte Mitte – von AfD bis Pegida" heißt der Band, er liegt vor bei Orell Füssli, 350 Seiten für 19,95 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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