Nationalistische Intellektuelle

Wie neu ist die "Neue Rechte"?

Der rechte Verleger Götz Kubitschek, aufgenommen in seinem Arbeitszimmer in Schnellroda
Der rechte Verleger Götz Kubitschek, aufgenommen in seinem Arbeitszimmer in Schnellroda in Sachsen-Anhalt © picture alliance / dpa / Georg Ismar
Von Philipp Schnee · 20.07.2016
"Konservative Revolution" - dieser Sammelbegriff steht für die antiliberalen und antidemokratischen Strömungen in der Weimarer Republik. Diese Ideologien greift heute die "Neue Rechte" wieder auf. Welche Köpfe nimmt sie sich zum Vorbild? Und wie ist das zu bewerten?
"Schnellroda ist längst zur Chiffre für diesen Geist geworden. Schnellroda ist der Knotenpunkt eines konservativ revolutionären Milieus, einer rechtsintellektuellen Szene. Schnellroda ist ein Beispiel, für das, was möglich ist..."
Konservativ revolutionär? Selbststilisierung in einem Werbevideo des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda, Sachsen-Anhalt. Ein Art Schulungszentrum der "Neuen Rechte", deren Kopf Götz Kubitschek hier von konservativ revolutionärem Milieu spricht. "Konservative Revolution", ein Schlüsselbegriff der sogenannten Neuen Rechten. Er beschreibt, kurz gefasst, den Kanon radikalnationalistischer Intellektueller der Zwischenkriegszeit in Deutschland, auf die sich die Neue Rechte bezieht.
Weiß: "Die 'Konservative Revolution' als solche gab es aber gar nicht. Sie ist eine Konstruktion, die der Schweizer Autor Armin Mohler direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, um gewissermaßen den Theoriekanon der deutschen Rechten wiederzubeleben, unter Umgehung - zumindest vorgeblicher Umgehung - des Nationalsozialismus."
Sagt Volker Weiß, Historiker und Publizist aus Hamburg. Die "Konservative Revolution" ist erfunden worden, um eine rechte Theorielinie jenseits des Nationalsozialismus in die heutige Bundesrepublik zu retten? Klingt steil, diese These. Doch selbst, wenn man in den Schriften der Neuen Rechten selbst nachliest, findet man diese Erklärung. Wenn auch etwas hübscher verpackt: Ein "Syntagma" von Armin Mohler, also ein Art zusammengesetzter Sammelbegriff, nennt etwa Karlheinz Weißmann die "Konservative Revolution" in einem Sammelband zum Thema. Weißmann ist Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik, Autor rechter Publikationen wie der "Jungen Freiheit" und "Sezession.
Zitator: Mohler wollte die Konservative Revolution dabei deutlich von der älteren 'Reaktion' getrennt wissen. Das heißt, als konservativ-revolutionär konnten nur solche einzelnen oder Gruppen gelten, die nicht daran dachten, irgendein Ancien régime wiederherzustellen. Ihnen gemeinsam war das Wissen, dass es kein Zurück gibt, und der Widerwille gegen die sentimentale Bindung an das Vergangene.
Weiß: "Konservative Revolution ist insofern ein Widerspruch. Das Konservative wird ja immer mit dem Bewahrenden verbunden, was bleiben soll. Die Revolution ist immer das Dynamische, Verändernde. Das war ein bewusstes Spiel von Armin Mohler, weil er tatsächlich Autoren gesucht hat, die in den 20er Jahren versucht haben, die rechte Debatte zu beschleunigen, mit einer größeren Dynamik zu versehen, sie wirklich revolutionär zu machen."

"Konservative Revolution" als Widerspruch und Konstrukt

Auch wenn die konservative Revolution ein nachträgliches Konstrukt ist: Es gibt diese Intellektuellen, auf die sich die "Neue Rechte" bezieht. Der Schriftsteller Ernst Jünger, der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler und der Staatsrechtler Carl Schmitt sind die bekanntesten, daneben der Publizist Arthur Moeller van den Bruck und der Politiker Edgar Julius Jung. Obwohl es innerhalb des konservativ-revolutionären Kanons große inhaltliche Unterschiede gibt, lässt sich ein gemeinsamer Kern erkennen.
Weiß: "Verbindend ist das strikt Antidemokratische, Antirepublikanische, das Antiliberale. Die berüchtigte Parole Arthur Moeller van den Brucks lautete: 'An Liberalismus gehen die Völker zu Grunde.'
Der Liberalismus wird immer verbunden mit Gleichmacherei, mit Dekadenz. Es gibt natürlich einen sehr, sehr starken nationalen Impuls, in den meisten Fällen: völkisch-nationalistisch. Die Nation wird also ethnisch aus Blut, Boden und Geist extrahiert, also ein völkisch aufgeladener Begriff der Kulturnation. Es gibt immer wieder Rückbesinnung auf das Mythische, auf das Überhistorische, auf das Anti-Rationale, das sind ganz, ganz zentrale Elemente."
Radikal antiliberal, antiunversalistisch, gegen den Westen, die Werte von 1789.
Was aber machten diese Reaktionäre, Nationalisten anders als "die alte Rechte"? Zum einen ihre Radikalität. Zum anderen die Tatsache, dass sie die Moderne akzeptierten, teilweise auch – in Technik, Wissenschaft und Industrie – bejahten, im Wissen, dass es kein einfaches Zurück geben kann. Ihre Vorstellungen eine radikal anderen Gesellschaft, einer antiliberalen, völkisch-nationalistischen Gesellschaft können sie nur erreichen, indem sie die bestehende moderne Gesellschaft verändern.
Der Schweizer Publizist Armin Mohler schrieb, dass "heute die Konservativen die unzufriedene, auf Veränderung bedachte politische Schicht sind".
Das klingt schon fast nach einem klassischen Vorwurf einer von den 68ern geprägten, links-liberal dominierten Gesellschaft. Auf rebellisches Opponententum können sich offenbar auch Konservative zurückziehen.

Eindeutige Linie personeller Kontinuität

Die "Neue Rechte" von heute bezieht sich auf die "konservative Revolution" von damals - und erstaunlich eindeutig lässt sich eine Linie personeller Kontinuität ziehen.
Weiß: "Armin Mohler war Privatsekretär von Ernst Jünger und Ernst Jünger gehörte eben genau in jenen Kanon den Armin Mohler da zusammenstellte und er ist natürlich eine Schlüsselfigur im 'heroischen Nationalismus'. Und dieser Armin Mohler ist wiederum der persönliche Lehrer von Karlheinz Weißmann, einem sehr zentralen Autor der Jungen Freiheit, und andrerseits von Götz Kubitschek, der das Institut für Staatspolitik betreibt, das er mit Karlheinz Weißmann begründet hat. Tja, und der jetzt tatsächlich bei PEGIDA, LEGIDA auf der Bühne aufgetaucht ist, sondern auch direkten Umgang pflegt mit Björn Höcke von der AfD beispielsweise."
Und der AfD-Politiker Alexander Gauland ist bekennender Leser der "Sezession", einer Zeitschrift des Instituts für Staatspolitik. Die Angst vor einer Entfremdung des Volkes von seinen kulturellen Wurzeln, Gemeinschaft statt Gesellschaft, eine ursprüngliche, homogene Kultur statt künstlicher, vielfältiger Zivilisation, Ablehnung von Individualismus und Liberalismus, Antiamerikanismus, ein überhistorisches Staatsverständnis – das sind die Denkfiguren, die die Neuen Rechten bei den Radikalnationalisten der 1920er Jahre suchen und finden.
Hinzu kommen zwei weitere Elemente: die Vorstellung von "Metapolitik". Die Kultur wird als "vorpolitischer Raum" schon als Kampffeld um die politische Vorherrschaft verstanden. Außerdem spielt, mit Begriffen wie "Tat" und "Entscheidung" das Heroische und Militärische nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle, mein der Historiker Volker Weiß. Trotzdem solle man die selbsternannte "Neuer Rechte" nicht überschätzen.
Weiß: "Man darf jetzt nicht den Fehler machen zu glauben, Pegida sei ein Produkt der Neuen Rechten. Es ist umgedreht. Strömungen wie die Sezession, das Institut für Staatspolitik, die Junge Freiheit sind auf die Massenbewegung Pegida und teilweise AfD aufgesprungen, man hat sich angedient. Ich denke der wesentliche Punkt sind da nicht die Arbeit des Instituts für Staatspolitik oder die Junge Freiheit gewesen, der wesentliche Katalysator dafür war Thilo Sarazzin."
Mehr zum Thema