Molkerei-Unternehmen aus Süddeutschland

Der russische Markt wird weiter bedient

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Molkerei Ehrmann in Oberschönegg im Unterallgäu. Vorne das Dorf, hinten auf dem Hügel die Firmenzentrale.
Die Molkerei Ehrmann thront über der Gemeinde Oberschönegg. Das Unternehmen aus dem idyllischen Unterallgäu will sich auf Anfrage zu seinen Aktivitäten in Russland nicht äußern. © imago images / MiS /
Von Tobias Krone · 13.04.2022
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Mehrere Dax-Konzerne haben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Werke in Russland stillgelegt und Kooperationen ausgesetzt. Andere Unternehmen handeln weniger konsequent: Zwei bekannte Molkereien beispielsweise produzieren weiter in Russland.
„Schön ist das Allgäu, nicht wahr?“ So heißt es im Imagevideo auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Firma Ehrmann, wo ein kerniger Wandersmann den Blick über Alpenpanorama und Almwiese schweifen lässt – um sich dann der Milchverarbeitung zu widmen.

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Ja, hier kommt er her, der Joghurt, der in den Kühlregalen der Republik steht. Aus einer großen Molkerei, von der man aus bei Fönwetter einen grandiosen Ausblick hat über die schneeweiße Kette der Allgäuer Alpen.
Hier, im Dörfchen Oberschönegg, zwischen München und dem Bodensee gelegen, geht es nach Darstellung des Videos sehr familiär zu. „Unsere wahre Geheimzutat – das sind die Menschen. Sie machen Ehrmann zur echten Familienmolkerei.“

Zwei Ehrmann-Werke in Russland

Doch Ehrmann ist auch eine Aktiengesellschaft mit Standorten in Europa, Asien, Südafrika – und auch in Russland. „In der Nähe von Moskau haben wir einen weiteren Produktionsstandort für den russischen Markt aufgebaut“, heißt es in einem Video aus dem Jahr 2020.
Seit 2021 betreibt Ehrmann vor den Toren Moskaus laut Fachmedien sogar zwei Werke. Ob man heute noch so stolz drauf ist? Ehrmann will sich auf mehrfache Anfrage generell nicht äußern.
Also muss man davon ausgehen, dass das Geschäft in Russland weiterläuft. Die Allgäuer Molkerei verdient demnach weiterhin mit ihrem russischen Tochterunternehmen Geld.
Eine Passantin, nicht weit von der Molkerei entfernt zufällig angetroffen, sagt: „Ja freilich wäre das schon ein bisschen ein Problem für mich. Er macht ein Geschäft damit und es werden Sanktionen verhängt – und dann sollte er ja eigentlich mitziehen.“
Wie sie halten es viele Menschen in der Republik für unmoralisch, jetzt noch Geschäfte mit Russland zu machen – einem Land, dessen Armee die Ukraine angegriffen hat.
Neben Ehrmann ist auch noch die Allgäuer Molkerei Hochland in Russland aktiv. Was ist davon zu halten? Und was sagen diejenigen zum Russland-Geschäft, die direkt und indirekt mit den Unternehmen zu tun haben?

Milchbauern halten zu Ehrmann

Angefragte Milchbauern, die bei ihnen unter Vertrag stehen, wollen sich nicht vor dem Mikrofon äußern. Diese anonyme Stimme aus Oberschönegg gehört einem Ehemaligen. „Das ist jetzt nicht so gut, aber der kann es nicht ändern. Der kann die Molkerei nicht bloß stilllegen. Das kann man einfach nicht.“
Der betagte Bauer steht neben seinem Traktor und schaut versonnen unter einer verschlissenen Schiebermütze hervor. Früher, als er selber noch Kühe hatte, habe er seine Milch persönlich zur Molkerei gefahren. Ehrmann habe immer gut gezahlt. Und jetzt? Das mit dem Russlandgeschäft? Diskutiert man darüber in der Gemeinde?
„Nein, eigentlich nicht. Das muss der Ehrmann wissen, ob er da eine Chance hat, auszusteigen. Aber das sieht ja nicht so aus. Die Molkerei, die kann er ja bloß verschenken, die bringt ja nix. Das kann er ja auch nicht machen.“
Würde er die Molkerei verschenken, wäre er bankrott, meint der Bauer. „Das ist ein Dilemma. So wie es viele Dilemmata gibt. Das ganze Gas und Öl, das man bezogen hat, das ist ein Dilemma, weil man’s braucht.“

Wirtschaftsethiker rät zum kühlen Abwägen

Dominik Enste, Professor für Wirtschaftsethik am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, hat ganz ähnliche Argumente. Er rät Unternehmen zum kühlen Abwägen und nicht zu vorschnellen moralischen Entscheidungen.
Auch wenn die Öffentlichkeit die Gräueltaten Russlands zurecht verurteile – Lebensmittel wie Milchprodukte seien eben in erster Linie Grundnahrungsmittel und kein Kampfstoff. Zudem gäbe es unterschiedlich große Hürden für eine Geschäftsaufgabe.
Wenn große Unternehmen auf den russischen Markt verzichteten, könnten die das relativ gut verkraften, sagt Enste. "Andere, kleine, mittelständische Unternehmen, die vielleicht engere Notwendigkeiten haben, auf diesen Markt angewiesen zu sein, tun sich da erfahrungsgemäß schwerer, weil es auch manchmal bedeutet, die Tätigkeit einzustellen, Mitarbeiter zu entlassen. Und wenn das am Ende gar nichts bringt, den Krieg nicht früher beendet wird, dann war das am Ende vielleicht sogar umsonst.“
Einen Mittelweg geht der schwäbische Schokoladenhersteller Ritter Sport. Nach einem Shitstorm erklärte das Unternehmen Ende März, den Gewinn aus seinem Russlandgeschäft an humanitäre Hilfsorganisationen zu spenden. Doch weder bei Ehrmann noch bei der Molkerei Hochland, bekannt für ihren Schmelz- und Frischkäse, ist bisher etwas von derartigen Aktionen zu hören.
„Unternehmen, die in keiner Weise auf den Krieg gegen die Ukraine reagiert haben, kann man aus wirtschaftsethischer Perspektive nur raten, zumindest sorgfältig zu prüfen, ob das nicht mit einem erheblichen Reputationsschaden am Ende einhergehen kann“, sagt Enste.

Nur eine Pressemitteilung

Zumindest zu prüfen scheint man das Russland-Geschäft jetzt bei Hochland. Der Molkerei-Konzern in Familienbesitz mit Firmensitz in Heimenkirch, gut 20 Kilometer vom Bodensee entfernt, hat drei Molkereien in Russland. Er will sich zum Thema aber erst Ende April äußern.
Bis dahin gibt man keine Information heraus – außer einer Pressemitteilung: „Hochland verurteilt den durch nichts zu rechtfertigenden Krieg gegen die Menschen in der Ukraine. Um ein Zeichen zu setzen, haben wir einen Werbe- und Investitionsstopp in Russland verhängt.“
Ob das mit dem Werbestopp so ernst gemeint ist? Zumindest bis Redaktionsschluss kann man sich auf dem russischen Youtube-Kanal der Hochland-Marke Almette Culinary Videos mit hippen Menschen und Frischkäse anschauen. Eine Foodbloggerin erklärt darin, wie man ein Frischkäse-Frühstück für schicke Instagram-Fotos drapiert.

Wohlstand am Firmensitz

Markus Reichart, Bürgermeister der 3500-Seelen-Gemeinde Heimenkirch, sagt: „Wenn wir über Russland sprechen, da bin ich mir durchaus im Klaren, dass die Bevölkerung in Russland und auch die Beschäftigten bei der Firma Hochland in Russland keinen Bock auf einen Angriffskrieg in der Ukraine haben.“ Für Reichart ist Putin der Kriegstreiber, nicht die russische Gesellschaft.
Hochland mit seinen 1400 Beschäftigten ist einer der größten Arbeitgeber in der Region und sorgt mit für sprudelnde Gewerbesteuereinnahmen in der Gemeinde. In guten Jahren sind es bis zu vier Millionen Euro.
Das Örtchen leistet sich beispielsweise ein Freibad mit niedrigen Eintrittspreisen. Auf den Wohlstand von jährlich fast 400.000 Tonnen Käse weltweit will der Bürgermeister ungern verzichten. Auch nicht, wenn er teilweise in Russland erwirtschaftet wird.

Verantwortung für die Zukunft

Klar, kurzfristig seien Sanktionen jetzt sinnvoll, sagt Reichart. „Aber wir haben eine Generationenverantwortung. Wir müssen mindestens, soweit wir es überblicken können, schauen: Wie hinterlassen wir unseren Enkeln unsere Erde und welche Beziehungen bauen wir auf.“
In die Zukunft schauen heißt mittelfristig offenbar auch, weiterhin Geschäfte mit Russland zu machen. Am Schluss des Interviews erzählt Markus Reichart noch stolz vom großen Projekt in Heimenkirch: Sie wollen hier ein Wärme-Kraftwerk bauen, betrieben mit Hackschnitzeln aus regionalen Wäldern.
Hochland könnte dann mit diesem Dampf seine Molkerei heizen. Zumindest vom russischen Gas wäre man dann endlich unabhängig.
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