Sanktionen gegen Russland

Baden-Württembergs Wirtschaft droht ein großer Umsatzverlust

09:32 Minuten
Das Firmengebäude der Firma Zeppelin Baumaschinen GmbH CAT in Garching bei München (Symbolbild).
Die Zeppelin GmbH macht einen Großteil des Umsatzes mit Maschinen des US-Herstellers Caterpillar. Aufgrund des Kriegs rechnet das Unternehmen mit einem Ausfall von 600 Millionen Euro. © picture alliance / Jens Niering
Von Thomas Wagner · 09.03.2022
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Autos, Bagger oder Medizintechnik – Unternehmen aus Baden-Württemberg machten 2021 sehr gute Geschäfte in Russland. Mit dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen den Aggressor befürchten viele Firmen einen starken Rückgang der Exporte.
Da sind immer wieder diese Erinnerungen: Peter Gerstmann, Mitte 50, sitzt nachdenklich am wuchtigen Besprechungstisch seines Geschäftsführer-Büros der Zeppelin GmbH in Friedrichshafen, ein internationaler Konzern mit Standorten sowohl der Ukraine als auch in Russland:
 „Wir haben ein internationales Fußball-Turnier bei Zeppelin. Und dort gab’s immer eine russisch-ukrainische Mannschaft, eine gemeinsame Mannschaft. Wir haben ein gemeinsames IT-Team in dieser Region mit Ukrainern, mit Russen, mit Armenieren.“
Damit ist es nun schlagartig vorbei. Diejenigen, die gemeinsam auf dem Rasen gekickt haben, die gemeinsam an Computerproblemen getüftelt haben – sie könnten sich dieser Tage als Feinde gegenüberstehen, mit der Waffe in der Hand:
„Das wäre die drastischste Konfrontation", sagt Peter Gerstmann.

Befürchtungen für die Bilanz

Zu den menschlichen Abgründen kommen jetzt noch wirtschaftliche hinzu. Denn die Zeppelin GmbH, die historisch aus dem legendären Luftschiffbau hervorgegangen ist, erwirtschaftet heutzutage den Großteil ihres Umsatzes mit Baumaschinen. Sie hat den Exklusivvertrieb für Geräte des US-amerikanischen Caterpillar-Konzerns in vielen Ländern, darunter Russland, Belarus und die Ukraine, und setzt damit im Jahr mehr als drei Milliarden Euro um.
Vor allem auf Baustellen in Russland von Krasnojarsk über Moskau bis nach St. Petersburg sind Bagger mit der Aufschrift „Zeppelin“ zu sehen. Noch. Denn nun ist Krieg. Und mit ihm wirken die Sanktionen.
„Wir werden einen Totalverlust erleiden, wenn sich die Situation nicht entschärft", erklärt Peter Gerstmann. "Wir werden alle Vermögenswerte im Land verlieren – und damit einen Vermögenswert in dreistelliger Millionenhöhe, der uns aus den Bilanzen geht. Das heißt: Wir werden in diesem Jahr ein extrem schlechtes Ergebnis haben.“

600 Millionen Euro Umsatzausfall erwartet

Aus der Traum vom geplanten erstmaligen Knacken der Jahres-Umsatzgrenze von vier Milliarden Euro: Zeppelin-Chef Peter Gerstmann spricht von einem geschätzten Umsatzausfall von rund 600 Millionen Euro als Folge von Krieg und Sanktionen: 450 Millionen Euro entfallen auf das wegbrechende Russlandgeschäft und 150 Millionen Euro auf das in der Ukraine.
„Wir sind stark aufgestellt. Insofern würden wir den Verlust des Geschäfts verkraften. Aber: Danach wäre Zeppelin ein anderes Unternehmen, als es vorher war. Ein kleineres!“
Dabei ist der Umsatzausfall als Folge eines russischen Krieges in der Ukraine im Rückblick eine menschliche und wirtschaftliche Katastrophe mit Ansage: „Wir haben die Krimkrise ja erlebt 2014/2015. Damals sind unsere Umsätze um 50 Prozent eingebrochen, in der Ukraine sogar noch stärker", sagt der Zeppelin-Geschäftsführer.
Damals habe man sich auch darauf eingerichtet und sich verkleinert. "Wir haben Geschäfte auf einem kleineren Niveau gemacht. Seitdem leben wir ja schon mit einem großen Sanktionspaket. Das ist ja nicht neu erfunden worden. Das gibt es seit der Krimkrise.“

Den Angriffskrieg nicht erwartet

Die Sanktionen seit der Krimkrise bedeuteten zwar Einbußen. Sie seien aber dadurch ausgeglichen, dass seither sowohl in Russland als auch in der Ukraine auf Teufel komm raus gebaut worden ist. Und dazu brauchte es Baumaschinen.

„Das Geschäft ist so stark gewachsen, dass wir das, was wir auf der Sanktionsseite verloren haben, überkompensieren konnten über das Wachstum in diesen Märkten.“

Dass das nun wieder durch einen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zunichte gemacht wird – das hat sich Zeppelin-Chef Peter Gerstmann bis vor kurzem noch nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen ausmalen können.
Wie Gerstmann geht es zurzeit vielen Unternehmenschefs in Baden-Württemberg.

Kein Plan B für das Russlandgeschäft

Christian Erbe lebt häufig aus dem Koffer, ist immer mal wieder in ganz Europa unterwegs: „Wir haben hier gerade 18 Grad, blauer Himmel über Madrid, spanisches Traumwetter", sagt er ins Handy, die einzige Art, wie er derzeit erreichbar ist. "Wir eröffnen hier gerade eine Tochterfirma in Spanien“
Sein Unternehmen, die Erbe Medizintechnik GmbH in Tübingen, unterhält Standorte in aller Welt. Die Firma stellt von der bipolaren Pinzette bis hin zur Operationssonde für die Plasmachirurgie alles nur Erdenkliche elektronische Zubehör für Arztpraxen und Krankenhäuser her.
Und natürlich: Auch in Russland ist seine Firma vertreten, in Moskau. "Das ist ein kleines eigenständiges Gebäude in einem Mischgebiet, Industrie- und Wohngebiet", berichtet er: "Wir sind seit vielen, vielen Jahren dort.“
Und nun der Krieg, der auch Firmenchef Christian Erbe fassungslos macht. „Um ganz ehrlich damit zu sein: Wir haben nicht damit gerechnet, dass Putin zu militärischen Mitteln greift. Dass er die Ukraine angreift, damit haben wir nicht gerechnet. Deshalb gibt es für uns auch keinen Plan B.“

Liefern aus humanitären Gründen

Aber was heißt das? Die Niederlassung dichtmachen kommt für Christian Erbe erst mal nicht infrage: "Weil wir ja Medizinprodukte herstellen und nach Russland liefern." Dafür gebe es in Russland wenig Ersatz.
"Wenn wir nicht mehr liefern, dann haben die Krankenhäuser ein Problem, können die Bevölkerung nicht mehr versorgen – und natürlich nicht diejenigen, die zu Schaden kommen bei dieser Auseinandersetzung." Aus humanitären Gründen habe man also beschlossen, so Christian Erbe: "Wir liefern weiter, solange wir das noch können.“
Aber wie lange können die Tübinger noch liefern?
Hier die Einschränkungen im Waren-, dort die Restriktionen im Zahlungsverkehr: Mittel- und langfristig sieht es eher düster aus. „Ich rechne damit, dass wir in gewisser Zeit nicht mehr liefern können in den russischen Markt. Und dann sind eben die Umsätze von zehn Millionen Euro gefährdet."
Allerdings entsprechen diese Umsätze nur etwa drei Prozent des weltweiten Umsatzes der Erbe Medizintechnik. "Das heißt: Für uns ist das nicht existenzgefährdend. Das könnten wir zur Not verschmerzen.“

Gefragte Branchen in Baden-Württemberg

So sehen das im Moment die meisten Unternehmen mit Russland-Verbindungen in Baden-Württemberg – das Bundesland, das wirtschaftlich am engsten mit Russland verzahnt ist.
Professor Marcel Tyrell, Wirtschaftswissenschaftler an der privaten Universität Witten-Herdecke, kann erklären, warum das so ist. „Das hängt sehr stark zusammen mit Baden-Württembergs Stärke in der Maschinenbau- und in der Automobilindustrie, und dann auch in neuer Automatisierungstechnologie, Luftfahrt, Luftraum", sagt Tyrell, der an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen Gastdozent ist. "Das sind natürlich alles Branchen, mit denen sie auch attraktiv sind für Russland.“

2021 exportierten baden-württembergische Unternehmen Waren in Höhe von knapp vier Milliarden Euro nach Russland, gut ein Drittel mehr als noch im Vorjahr. Und nun der Einbruch.

Exporteinbruch gen Osten verkraftbar

„Ich glaube, es wird schon die Ökonomie des Landes treffen bezüglich des Realsektors", sagt Marcel Tyrell. "Das sind die Produktionsunternehmen, der industrielle Sektor – diese Branche wird es treffen.“
Unternehmen wie die Zeppelin-GmbH also oder auch den Autohersteller Mercedes, der nach eigenen Angaben zuletzt 50.000 Pkw pro Jahr nach Russland ausführte. Und nun gilt ein Lieferstopp, so die Ankündigung des Autoherstellers.
Allgemein bestehe aber dennoch kein Anlass zu übertriebener Krisenstimmung,  sagt Ökonom Tyrell. „Bezüglich des industriellen Sektors ist die direkte Verzahnung auch nicht so sehr groß", sagt er. Bei 1,7 oder 1,8 Prozentpunkten liege die Exportquote nach Russland aus Baden-Württemberg heraus.
Er fürchte eher die indirekten Effekte, sagt der Progessor, "über eine Verknappung bestimmter Rohstoffe, von Lieferketten – das wird, glaube ich, am stärksten eine Gefährdung verursachen.“
Bei den betroffenen Unternehmen jedenfalls plant man erst mal ohne Russland und ohne die Lieferungen dorthin.

Der menschliche Faktor

Zurück zu Peter Gerstmann von der Zeppelin GmbH, der sich trotz der Millionenverluste keine allzu großen Sorgen für die Zukunft seiner Firma macht.

„Sollte es einen Weg geben, dass es wieder normale Handelsbeziehungen zwischen den Ländern, und das wünsche ich mir, dann werden wir vorbereitet sein, wieder in diese Länder hinein zu gehen", sagt er. "Auf der anderen Seite: Wir haben Zeppelin weiterentwickelt, wir haben Händlergebiete dazu bekommen, zum Beispiel Dänemark, Schweden und Norwegen. Und wir haben auch andere Geschäfte ausgebaut.“

Trotzdem stirbt die Hoffnung zuletzt – nicht nur die darauf, dass irgendwann einmal wieder Geschäfte mit Russland möglich sind. Peter Gerstmann, Chef der Zeppelin GmbH in Friedrichshafen, treibt noch ein ganz anderer Wunsch um:

„Das wäre sicherlich einer meiner Wunschträume, dass hier in meiner aktiven Zeit, die ich noch habe, eines Tages die gemeinsame Fußball-Mannschaft von der Ukraine und aus Russland beim internationalen Zeppelin-Fußballcup antritt!“
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