Zum Tod des Universalgelehrten George Steiner

Ein Belehrender im klassischen Sinne

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George Steiner
George Steiner: Der sprachgewaltige Literaturwissenschaftler lehrte zuletzt in Cambridge. © picture alliance / Effigie / Leemage
Michael Krüger im Gespräch mit Joachim Scholl · 04.02.2020
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Im Alter von 90 Jahren ist der große Gelehrte George Steiner in Cambridge gestorben. Sein Verleger Michael Krüger erinnert sich mit großer Bewunderung an ihn und seine einzigartige Gesprächskultur.
Der amerikanische Literaturkritiker und Essayist George Steiner ist am 3. Februar im englischen Cambridge im Alter von 90 Jahren gestorben. Der Literaturwissenschaftler war vor allem wegen seiner analytischen Brillanz und intellektuellen Sprachgewalt bekannt. Zu den Themen Steiners zählten neben Sprache und Literatur auch Religion, Musik, Malerei und Geschichte. In Cambridge hielt er bis ins hohe Alter Gastvorlesungen. Geboren wurde er als Kind österreichisch-jüdischer Eltern in Frankreich, die Familie konnte sich aus Paris kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in die USA retten.

Vier oder fünf Sprachen wie gedruckt

Sein Verleger im deutschprachigen Raum, Michael Krüger, sagt im Deutschlandfunk Kultur über ihn: "Das war ein wirklicher Kopf aus den alten 20er, 30er Jahren." Er habe nicht nur vier oder fünf Sprachen wie gedruckt gesprochen und in diesen Sprachen alles im Original gelesen, sagt Krüger, "sondern er konnte zwischen diesen Sprachen hin- und herhüpfen wie ein Derwisch."
Es sei ein ganz eigenes Erlebnis gewesen, ihn im Gespräch mit Jean Starobinski zu sehen, einem anderen großen Intellektuellen, der Arzt, Literaturwissenschaftler und Ideengeschichtler war, erinnert sich Krüger. "Wenn man die beiden mal zusammen erlebt hat – beide große Musikliebhaber, beide große Kunstliebhaber – das war ein großes Vergnügen. Vor allem hatte man immer den Eindruck, man guckt einem Schauspiel zu, das sich nie wiederholen wird."

Auf jeder Buchseite etwas gelernt

Krüger schwärmt von Steiners Büchern, die im strengen Sinne wahrscheinlich gar nicht wissenschaftlich zu nennen seien. "Ihr Charme, ihr Reiz, ihre Bedeutung – für mich jedenfalls – gehen weit darüber hinaus. Sie sind wie Lehrbücher im klassischen Sinne: Man nimmt sie zur Hand, liest eine Seite und hat tatsächlich etwas gelernt. Es ist keine Fußnotenhuberei, kein Zeigen-wollen-was-man-alles-weiß, sondern es ist ein Belehren im klassischen Sinne."
Steiner habe auch die deutsche Philosophie und Literatur etwa in England bekannt gemacht, wo kein Mensch sich dafür interessiert habe. "Über Goethe bis zu Celan, Hannah Arendt und Martin Heidegger nach dem Krieg – darüber hat er wunderbare, präzise, große Aufsätze geschrieben, spekulativ und doch immer an der Wahrheit."
Krüger sagt: "Mit ihm verlieren wir einen, den man, wie es das dumme Sprichwort sagt, hätte erfinden müssen, wenn es ihn nicht in seiner Person gegeben hätte."
(mfu)

"Seine Essays gehören zu dem, was von uns bleiben wird", sagt Sieglinde Geisel in ihrem Nachruf auf George Steiner. Er selbst habe sich eher als Briefträger, der das Werk den Lesern überbringt, gesehen. "Ihm ging es um das, was bleibt." In der Haltung der Political Correctness habe Steiner einen Verrat des Intellektuellen gesehen.

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