Zum 150. Geburtstag von Marie Curie

Mehr Chancen für Frauen in der Spitzenforschung

Die polnisch-französische Wissenschaftlerin Marie Curie in ihrem Labor (undatiert). Sie wurde am 7.11.1867 in Warschau geboren und studierte an der Sorbonne in Paris.
Die polnisch-französische Wissenschaftlerin Marie Curie in ihrem Labor. Die Physikerin und Chemikerin wurde vor 150 Jahren in Warschau geboren. © picture alliance / dpa
Natascha Zhang im Gespräch mit Dieter Kassel  · 07.11.2017
Frauen sind unter den Nobelpreisträgern die Ausnahme. Umso ungewöhnlicher war es, dass die Physikerin und Chemikerin Marie Curie für beide Disziplinen ausgezeichnet wurde. Die Gesellschaft müsse sich stark verändern, damit Frauen bessere Chancen in der Spitzenforschung haben, sagt die Biologin Natascha Zhang.
Die Naturwissenschaftlerin Marie Curie bekam für ihre herausragenden Leistungen gleich zwei Nobelpreise: 1903 den für Physik und 1911 den für Chemie. Bis heute sind Frauen aber bei dieser Auszeichnung völlig unterrepräsentiert. Dafür seien zahlreiche Faktoren verantwortlich, sagte die Biologin Natascha Zhang von der Universität Göttingen im Deutschlandfunk Kultur.

Fortschritte in der Biologie

Zhang beobachtet, dass sich in ihrem Fach die Situation für Frauen eher verbessere. "Ich glaube, früher war das eher so, dass man nun wirklich ein männerdominiertes Feld hatte und andere Männer einfach mehr gefördert wurden", sagte sie. "Das ist, muss ich jetzt aus meiner Erfahrung heraus sagen, in der Biologie mittlerweile nicht mehr so." Sie habe bereits zahlreiche Professorinnen erlebt. Allerdings müsse sich vor allem in der Gesellschaft noch einiges ändern.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Wenn wir mal auf die Wissenschaftler gucken, die gleich zwei Nobelpreise bekommen haben, dann herrscht da tatsächlich absolute Geschlechtergerechtigkeit: Es waren nämlich genau zwei, und das waren ein Mann und eine Frau. Der Mann, das war der amerikanische Wissenschaftler Linus Pauling, der hat zuerst den Nobelpreis für Chemie bekommen und später dann auch noch den Friedensnobelpreis. Und Marie Curie, das ist natürlich die Frau gewesen, Marie Curie bekam schon 1903 den für Physik und 1911 dann den für Chemie.
Jenseits dieser beiden Ausnahmeerscheinungen hört die Geschlechtergerechtigkeit dann aber auf. Nur 5,3 Prozent aller Nobelpreise gingen in den letzten gut 110 Jahren an Frauen, und den letzten – ich habe Ihnen ja versprochen, diese Frage werde ich noch beantworten – Nobelpreis für Physik für eine Frau gab es 1963. Wir nehmen jetzt den heutigen 150. Geburtstag von Marie Curie zum Anlass, um mit der Biologin Dr. Natascha Zhang von der Universität Göttingen über Frauen in der Spitzenforschung zu reden. Frau Zhang, schönen guten Morgen!
Natascha Zhang: Hallo, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Sie sind, ohne Ihnen zu nahe zu treten, ja generell noch relativ weit weg von, sagen wir mal, dem … es gibt ja keinen für Biologie, aber dem Medizinnobelpreis zum Beispiel. Aber ärgert es Sie generell, dass Frauen bei den Nobelpreisen bis heute so unterrepräsentiert sind?
Zhang: Ich glaube, mit der Unterrepräsentation bei den Nobelpreisen, das liegt ja nicht an den Nobelpreisen an sich, dass die so vergeben werden, sondern dass einfach auch wenig Frauen in der Spitzenforschung heute noch zu finden sind. Man kann die ja nicht so ungerecht verteilen, wenn man unter den Professoren auch weniger Frauen einfach findet. Das Problem setzt ja viel weiter unten an, würde ich da sagen.

Sexistisches Erziehungsproblem

Kassel: Was sind die Ursachen für dieses Problem?
Zhang: Ja, ich habe mich damit natürlich auch viel beschäftigt. Ich bin ja auch in so Frauennetzwerkveranstaltungen drin gewesen, habe Mentoring für Frauen gemacht. Und da wird darüber natürlich viel diskutiert, warum fängt man mit 50 Prozent weiblichen Studentinnen an und endet dann am Ende unter den Professorinnen je nach Fach zwischen zwei und zehn Prozent? Und wie kann man das ändern?
Da ist natürlich die Frauenquote dazugekommen. Und ich glaube, das Problem ist wirklich … hat keine direkte Antwort. Es gibt da glaube ich mehrere verschiedene Faktoren, die da mit reinspielen. Ich glaube, früher war das eher so, dass man nun wirklich ein männerdominiertes Feld hatte und andere Männer einfach mehr gefördert wurden. Das ist, muss ich jetzt aus meiner Erfahrung heraus sagen, in der Biologie mittlerweile nicht mehr so.
Ich hatte viele Professorinnen und ich habe mich auch nie benachteiligt gefühlt. Ein anderer Faktor ist definitiv auch so ein grundsätzliches sexistisches Erziehungsproblem in Deutschland noch heute, weil man schon auch manchmal … Ich kriege das jetzt auch mit, bei meiner Tochter mache ich das anders, aber es gibt schon immer diese Sprüche: Nee, lass das mal, das ist ein Jungenspielzeug und das ist ein Mädchenspielzeug. Und eine Mutter, die jetzt viel arbeitet, wird manchmal auch als Rabenmutter dargestellt.
Und ich glaube, das sind auch solche Kleinigkeiten, die dann auch im Kopf der Frau ganz viel machen, weil man immer ein schlechtes Gewissen gemacht bekommt, wenn man nun viel arbeiten geht und das auch sehr wichtig und sehr ernst nimmt und da auch ein bisschen die Karriere im Blick hat, wohingegen bei einem Mann das eher vorausgesetzt wird und man ihn eher so ein bisschen degradiert, wenn er sagt, nun, ich möchte mich auch um meine Familie kümmern, ich möchte jetzt auch mal ein Jahr Elternzeit machen.
Das wird dann manchmal auch nicht so ganz gerne gesehen. Und ich glaube, so ist es … Es kommt ein gewisser Teil davon aus der gesellschaftlichen Ecke. Es wird an der Universität viel gemacht und ich glaube, es wird auch wirklich politisch gesehen viel gemacht, aber die Gesellschaft muss sich halt auch wirklich ändern und das annehmen.
Ansetzen von Kulturschalen im IVF-Labor (In-Vitro-Fertilisation). Die Eizellen werden mit dem aufbereiteten Sperma in einem Reagenzglas zusammengebracht.
In naturwissenschaftlichen Berufen haben Frauen eigentlich gute Aufstiegschancen. © imago stock&people

Unterstützung für Frauen

Kassel: Es wird viel gemacht, und ein Detail, was auch gemacht wird – ich gebe ganz ehrlich zu, das habe ich erst im Zusammenhang mit diesem Gespräch erfahren, ich kannte den Preis nicht –, Sie haben einen Preis bekommen, und zwar den Preis für Women in Science. Den verleiht die deutsche Unesco-Kommission, und zwar tatsächlich explizit an Wissenschaftlerinnen mit Kindern.
Da ist mir als Mann wirklich durch den Kopf gegangen, ob ich mich als Frau mit Kind darüber freuen würde? Denn ich meine, es gibt soviel ich weiß, ja keinen Preis für männliche Wissenschaftler mit Kind. Und irgendwie, die Tatsache, dass Sie – und darauf möchte ich gerne gleich auch nur kommen – eine wirklich exzellente Forscherin sind, das hat doch eigentlich mit der Tatsache, dass Sie eine Tochter haben, gar nichts zu tun?
Zhang: Nee, das stimmt natürlich. Ich glaube, dieser Preis und auch das Stipendium, was da von der Christiane Nüsslein-Volhard, die auch eine der wenigen weiblichen Nobelpreisträgerinnen auch gerade aus meinem Feld sind, das war eher … Ich glaube, das ist wirklich eher zum Support der Frauen, dass man sich einfach mal Sachen traut. Und wir hatten da Netzwerkveranstaltungen und Preisverleihungen, wo dann halt wirklich auch mal Vorbilder von jemandem saßen, also Frauen, die es geschafft haben, mit denen man bei einem schönen Abendessen sprechen konnte, die einem ihre Erfahrungen mitgegeben haben, ein paar Tipps mitgegeben haben und auch …
Der Preis kam ja auch mit einer gewissen Summe an Geld, die mir zum Teil für die Forschung und für familienorientierte Projekte an der Universität zur Verfügung stand und zum Teil auch privat, und die haben dann ganz klar gesagt: Kauf dir Zeit! Damit man mehr Zeit für sein Kind und für die Forschung hat. Mach das einfach, du musst da kein schlechtes Gewissen haben, dann hol dir eine Putzfrau von dem Geld, dann hast du mehr Zeit!
Und das war für mich ein ganz wichtiger Faktor, dass das eher so ein Mentorinnenverhältnis war und so ein bisschen das eigene Denken, diese Selbstzweifel, die man als Frau doch oft auch hat, dass da ein bisschen gegengearbeitet wird, dass man Mut gemacht bekommt und jemanden hat zum Austausch, der in einer ähnlichen Situation ist. Viele Männer, die auch jetzt in den Professorenstühlen an den Universitäten sitzen, die haben zu Hause oftmals eine Frau früher noch gehabt, die vielleicht nicht gearbeitet hat, die viele Aufgaben übernommen hat, was in heutigen Familien nicht mehr der Fall ist.

Verständliche Forschung

Kassel: Wobei ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, Sie wissen das selber, das sagen wir beide so, weil wir das so kennen: Das ist durchaus in einigen Familien immer noch der Fall, durchaus auch bei Akademikern. Aber davon mal abgesehen, Sie haben die Zeit ja erwähnt: Zeit ist ja für viele inzwischen das teuerste Produkt der Welt, vor Erdöl und Druckertinte.
Aber da uns die Zeit langsam ausgeht, ich habe es Ihnen versprochen und ich möchte auf Ihre Arbeit noch mal kurz kommen, und zwar mit folgender Frage, ich muss jetzt auch ablesen … Denn Sie untersuchen ja molekulare Mechanismen, die für die Evolution morphologischer Diversität in Gliederfüßlern verantwortlich sind. Wenn Sie mal außerhalb der Wissenschaftscommunity eine Plauderei haben bei einer Party oder bei einem Essen und jemand, der kein Biologe ist, fragt Sie, was machen Sie eigentlich genau – wer versteht das eher, was Sie erklären, die Männer oder die Frauen?
Zhang: Habe ich jetzt keinen Unterschied festgestellt. Meistens ist es … Unter Nichtbiologen muss ich versuchen, meinen Wortschatz so ein bisschen umzumodeln, aber ich finde das auch ganz wichtig, dass man seine Forschung auch Nichtakademikern, Nichtwissenschaftlern beibringen kann oder auch interessant verkaufen kann, denn sonst hat das, was wir machen …
Natürlich habe ich immer Grundlagenforschung gemacht. Mittlerweile bin ich auch an der Neurobiologie. Aber ich suche mir auch die Forschung immer so aus, dass ich die persönlich interessant finde, und nicht wegen meinem komischen Biologengehirn in den kleinen Details, sondern auch weil ich das in einem größeren Ganzen interessant finde. Also im Licht der Evolution zum Beispiel.

Diverse Krabbeltiere

Kassel: Können Sie denn jetzt … Wir haben wirklich fast nur noch 30 Sekunden, aber ich weiß, es hat etwas – Gliederfüßler, der Laie, langsam kriegt er eine Ahnung – auch mit Spinnenbeinen zu tun. Was ist denn an diesem Thema gerade so interessant für Sie und was ist daran so bedeutend für unser Verständnis der Natur?
Zhang: Die, sage ich mal, Krabbeltiere, also Spinnen, Insekten und alles, die haben einfach viele verschiedene Formen und viele verschiedene spezielle Gliedmaßen. Welche zum Fangen und welche zum Tasten und zum Riechen und alles Mögliche. Und alleine die Struktur, wie die aussehen, ist total divers. Und deswegen kann man die super benutzen um zu gucken, wo kann man genverändern, damit sich eben genau solche Unterschiede ausbilden? Und deswegen habe ich mir halt verschiedene von diesen Krabbeltieren angeguckt in der Embryonalentwicklung, um zu sehen, wo eigentlich Mechanismen sind, dass man Änderungen machen kann. Was natürlich auch im evolutionären Kontext wichtig ist: Wie können sich Dinge ändern im genetischen Level, damit das hinterher auch im körperlichen Level zu sehen ist?
Kassel: Ich glaube, das habe ich verstanden. Das will was heißen! Ich interessiere mich sehr für Naturwissenschaften und habe aber dafür nicht die geringste Begabung!
Zhang: Na ja, begabt ist da jeder, alle Kinder mögen das nämlich eigentlich, und das geht dann nur irgendwann verloren. Also immer nur weitermachen!
Kassel: Das stimmt auch! Natascha Zhang war das, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und für Ihre Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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