Zukünftige Arbeitswelt

Lasst die Maschinen für uns arbeiten!

04:24 Minuten
Industrieroboter in einem Autowerk.
Der Publizist Adrian Lobe meint, dass in Zukunft Maschinen unsere Arbeit übernehmen können, ohne dass wir Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. © Imago / Westend61
Überlegungen von Adrian Lobe · 05.06.2020
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Millionen von Beschäftigten sind in Kurzarbeit und es gibt wieder mehr Arbeitslose. Arbeit wird knapp, der Wohlstand ist in Gefahr. Dieser Zusammenhang ist nicht zwingend, meint der Publizist Adrian Lobe.
Die Millionen Arbeitnehmer, die auf "Kurzarbeit" gesetzt wurden, sollen und wollen so bald wie möglich wieder voll arbeiten können. Weniger Arbeit wird in den Industrienationen noch immer mit weniger Wohlstand gleichgesetzt.
Unsinn, meinen progressive Denker. In Zukunft könnten Maschinen unsere Arbeit verrichten – ohne, dass man Wohlstandsverluste hinnehmen müsste. Der britische Aktivist Aaron Bastani hat das Konzept des "Fully Automated Luxury Communism" entwickelt – zu Deutsch: vollautomatisierter Luxuskommunismus. Die Idee: Maschinen erwirtschaften unseren Wohlstand, der Mensch kann sich endlich seinen Leidenschaften widmen. Während man in der heimischen Garage werkelt oder im Garten die Bäume stutzt, fertigen Roboter in vollautomatisierten Fabriken Ersatzteile und Dünger. Alles, was man zum Leben braucht, wird digital zum Nulltarif reproduziert oder zu Hause mit dem 3D-Drucker erzeugt.

Künstliche Intelligenz forciert Automatisierung

Schon der junge Karl Marx träumte davon: Die Vergesellschaftung der Produktion ermögliche es jedem, "morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben". 1930 sagte John Maynard Keynes voraus, dass seine Enkel 100 Jahre später nur noch drei Stunden am Tag arbeiten müssen. Kurzarbeit war damals noch eine Sozialutopie.
Durch die Fortschritte der Informationstechnologie – Stichwort künstliche Intelligenz – scheint sie zum Greifen nah. Roboter schrauben Karosserieteile zusammen, steuern fahrerlose Autos, führen Operationen durch, pflegen Kranke und schreiben sogar Romane. Trotz der voranschreitenden Automatisierung arbeiten die Menschen aber nicht weniger, im Gegenteil: In Japan, einer hochautomatisierten Industrienation, sind 60 Wochenstunden keine Seltenheit. Dutzende Menschen schuften sich Jahr für Jahr zu Tode. Das liegt zum einen an einem falsch verstandenen Arbeitsethos. Zum anderen daran, dass die menschliche Arbeitskraft noch immer billiger ist als die von Maschinen.

Bittere Pointe des digitalen Kapitalismus

In Amazons Logistikzentren arbeiten Tausende Angestellte, die wie Automaten programmiert werden und mechanisch Aufträge abarbeiten. Und in Facebooks und Youtubes Kläranlagen müssen noch immer Menschen den Dreck aus dem Netz fischen, weil die KI noch nicht weit genug entwickelt ist. Die bittere Pointe des digitalen Kapitalismus: Der Mensch ist noch immer die billigere Sortiermaschine.
Dabei können Roboter mechanische Aufgaben viel besser erfüllen. Sie werden nicht müde, fordern keine Lohnerhöhung und streiken nicht. Mal ehrlich: Vermisst irgendjemand das Staubsaugen, wenn diese Tätigkeit der Roboter ausführt? Maschinen nehmen uns Arbeit nicht weg, sondern ab. Denn das, was Arbeit ist und eine Gesellschaft als solche anerkennt, ist nicht in Betriebsabläufen oder Lieferketten festgelegt – es ist ein Aushandlungsprozess.

Maschinensteuer für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Der ehrenamtliche Jugendtrainer, der sonntags beim Vereinsfest Würstchen verkauft, arbeitet genauso wie ein Mieter, der das Treppenhaus reinigt. Was zeigt: Es gibt sehr viel Arbeit in der Gesellschaft. Sie wird nur nicht immer ausreichend honoriert. Wir sollten uns daher die Frage stellen, was uns Arbeit wert ist.
Der Staat könnte die Automatisierungsgewinne durch eine Maschinensteuer abschöpfen und in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens an die Bürger ausschütten. Der Call-Center-Mitarbeiter, dessen Job von einer Telefon-KI ersetzt wird, wäre dann nicht arbeitslos, sondern weiterhin beschäftigt – mit Tätigkeiten, die ihm Spaß bereiten. Wenn es gelingt, die Automatisierungsdividenden gerecht zu verteilen, dann könnte Kurzarbeit künftig nicht als Verlust gesehen werden, sondern als Gewinn.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Er arbeitet als freier Journalist u.a. für Die Zeit, FAZ, NZZ und SZ. 2016 wurde er mit dem Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus ausgezeichnet. 2019 erschien sein Buch: "Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis".

Adrian Lobe
© privat
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