Colin Crouch: “Gig Economy“

Ideen für den Arbeitsmarkt der Zukunft

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Cover von Colin Crouch: "Gig Economy" vor einem Aquarell-Hintergrund
Colin Crouch beobachtet, dass erste Online-Plattformen beginnen, ihren "Selbstständigen" mehr soziale Sicherheit anzubieten. © Cover: Suhrkamp / Collage: Deutschlandradio
Von Bodo Morshäuser · 14.12.2019
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Ob Uber, Helpling oder MyHammer: Seit Jahren boomen Apps und Online-Plattformen, die Kunden und „selbstständige“ Dienstleister zusammenbringen. Die Folge sind massenhaft prekäre Jobs. Darauf müsse der Staat endlich reagieren, fordert Colin Crouch.
Als "Gig Economy" bezeichnet der Autor die jüngste Arbeitswelt rund um digitale Plattformen, die aus einer App bestehen. Dort nehmen Jobgeber und Jobnehmer miteinander Kontakt auf. Sie begegnen sich nicht physisch. Nur noch die konkrete Taxifahrt oder die konkrete Warenlieferung ist nicht-digital. Arbeitnehmer haben den Status von "Selbstständigen". Arbeitgeber sind frei von sozialen Verpflichtungen. In der Regel zahlen sie dort, wo die Arbeit ausgeführt wird, keine Steuern.
Colin Crouch ordnet diese jüngste Entwicklung einem Arbeitskampf von oben zu, der seit den 1980er-Jahren dominiert und Arbeitnehmerrechte abgebaut habe. In der Folge seien Millionen prekäre Jobs entstanden. Zehn Millionen Arbeitsverhältnisse sind es in Deutschland, das ist jeder vierte Job.

Crouch will besteuern, wo die Arbeit geleistet wird

Crouch zitiert aus internationalen Studien, die die Gewichtung der Rechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beziehungsweise Arbeitslosen in allen europäischen Staaten sowie den USA untersuchten. In den ersten 15 Jahren dieses Jahrhunderts stellt er auf nahezu allen Sachfeldern eine Verschlechterung der Bedingungen von Beschäftigten und Arbeitsuchenden fest.
Nach Crouchs Einschätzung kommt diese Entwicklung aber langsam an ihr Ende. Einer der Gründe: Gig-Economy-Plattformen registrierten fallende Börsenkurse, weil unzuverlässige Mitarbeiter für schlechte Kundenbenotungen sorgten. Kundenbenotungen seien aber die Währung, die potenzielle Neukunden genau anschauten. Die ersten Plattformen begännen daher, ihren "Selbstständigen" mehr soziale Sicherheit anzubieten.
Im Anschluss an die Bestandsaufnahme malt Colin Crouch ein Bild der Arbeits- und Bürgerwelt der Zukunft: Neue Technologien und Künstliche Intelligenz würden den Markt für hoch qualifizierte Arbeitskräfte ausdünnen, die übrigen Beschäftigungsverhältnisse seien auf ähnlicher Ebene angesiedelt wie prekäre Jobs und immer noch unbezahlte freiwillige Minderbeschäftigung, also Kinderbetreuung, häusliche Pflege und das Ehrenamt.
Global agierende Firmen dürften sich nicht länger nationaler Besteuerung entziehen, meint Crouch, denn damit schadeten sie den nationalstaatlichen Haushalten. Crouchs Ausweg: Arbeit wird dort besteuert, wo sie geleistet wird, und nicht mehr am Firmensitz.

Grundeinkommen und Sozialversicherung für alle

Weitere Vorschläge: Da es deutlich weniger Arbeit als arbeitsfähige Bürger geben werde, erhält jedes Mitglied der Gesellschaft ein Grundeinkommen. Ausnahmslos alle Bürgerinnen und Bürger zahlen in die Sozialversicherung ein. Die wirklich gezahlten Beiträge werden aufgrund geleisteter Arbeit beziehungsweise durch Nachlässe errechnet. Gewerkschaften geben ihre Konzentration auf Vollzeitarbeitnehmer auf und vertreten die Rechte aller im Berufsleben Tätigen, auch prekär Beschäftigter und im Haushalt arbeitender Menschen.
Crouch räumt ein, dass diese Ideen in ihrer Geschlossenheit nicht umzusetzen seien, solange Nationalstaaten auf einen internationalen Arbeitsmarkt reagieren müssten. Ohne abgestimmte Maßnahmen, mindestens auf europäischer Ebene, würden Arbeitgeber und auch Gig-Economy-Plattformen wie bisher geografische Auswege finden, um Beschränkungen zu vermeiden.
"Gig Economy" von Colin Crouch ist eine faktengesättigte Bestandsaufnahme der Gegenwart der Arbeit, beschreibt die durch die Gig Economy entstandenen Probleme und entwickelt Lösungsvorschläge für den Arbeitsmarkt der Zukunft.

Colin Crouch: "Gig Economy: Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co."
Suhrkamp, Berlin 2019
136 Seiten, 14 Euro

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