Zu Besuch auf Gut Settin

Wo Marmelade noch selbstgemacht wird

07:16 Minuten
Anita Strauch rührt mit einem langen Holzlöffel in einem hohen Topf, in dem Erdbeeren und Zucker gekocht werden.
Kochtradition seit Generationen: Anita Strauch hat ein Händchen für das Einkochen saisonaler Früchte zu Marmeladen und Gelees. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 13.06.2019
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Frische Früchte der Saison, ein wenig Geschick und Zucker: Mehr braucht es nicht für Marmelade. Auf dem Gut Settin in Mecklenburg-Vorpommern wird Obst noch selbst eingekocht. Die Gäste sind begeistert.
Wer das kleine, aber feine Gutshaus am Settiner See betritt, dessen Blick fällt unweigerlich auf den zentral gestellten alten Holztisch mit Bauernmalerei. Darauf hat die Miteigentümerin Karin Oertel-Hagge Wegekarten und Prospekte für Kulturveranstaltungen in der Umgebung drapiert.
Vor allem aber jede Menge Gläser. Die einen sind gefüllt mit Erdbeermarmelade, andere mit Kirschmarmelade, Honig, Blaubeermarmelade, Quittengelee. Laut dem eigens entworfenen Etikett alles "hausgemacht", was so klingt wie "hier im Haus" gemacht.
"Ja, und wir haben eine Dame, die ein Händchen dafür hat", sagt Karin Oertel-Hagge. "Es ist immer schön, wenn man jemanden findet, der Spaß daran hat und auch wirklich das verwertet, was wir hier ernten können. Für unsere Gäste ist es auch einfach schön, hier vom Hof etwas mitnehmen zu können."

Frische Früchte in der Küche gestapelt

Die Dame mit dem Händchen fürs Einkochen heißt Anita Strauch. Seit knapp eineinhalb Stunden steht sie bereits in der geräumigen Küche, in der sich Kisten mit Früchten der Saison stapeln: pralle blaue Heidelbeeren hier, große rote Erdbeeren da. Ihre ersten Handgriffe seien gewesen, die Gläser sauberzumachen.
"50 sind es bestimmt. Die müssen sehr heiß gewaschen werden, die Deckel habe ich im Wasser. Die werden jetzt abgekocht, damit sie keimfrei sind."
Zuerst möchte Anita Strauch Erdbeerkonfitüre herstellen. Wichtig dabei: Erdbeeren sollten unbedingt im Stück und samt Stiel gewaschen werden. Anderenfalls zieht der Hohlraum Wasser in das Fruchtfleisch, und das sei nicht gut für die Marmelade, sagt Strauch.

Kräftig rühren für gute Marmelade

Sie und zwei helfende Kolleginnen haben für den ersten Schwung zehn Kilogramm Erdbeeren gewaschen, geschnippelt und unter einem Fünf-Kilogramm-Zuckerberg begraben.
"Die müssen mit dem Zucker eine halbe Stunde stehen, dass sie Saft ziehen und nicht unten ansetzen. Dann kräftig rühren. Wir nehmen den Gelierzucker. Da darf man auch keinen anderen nehmen, sonst geliert das nicht. Wir nehmen hier 2:1, also ein Kilo Früchte auf 500 Gramm Zucker."
Zwei Frauen sitzen an einem Küchentisch und verarbeiten Früchte. Im Hintergrund steht eine andere Frau, die kocht.
Teamarbeit in der Küche: Während Anita Strauch die ersten zehn Kilo Erdbeeren einkocht, wird die nächste Charge vorbereitet.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Ein Verhältnis von drei zu eins würden Anita Strauch nur "bei sehr süßen Früchten" wie Pfirsiche oder Aprikosen verwenden. Der Kochtopf, den sie inzwischen bei größtmöglicher Hitze auf dem Herd stehen hat, ist groß genug, dass die zehn Kilogramm Erdbeeren nur rund zwei Drittel des Volumens ausfüllen. So könne sich die Masse ausbreiten, ohne überzukochen. Freilich erfordern so hohe Töpfe langes Küchenwerkzeug:
"Wenn das nachher anfängt zu kochen, müssen wir immer rühren; damit das unten nicht ansetzt."

Eingekochtes als Tauschware in der DDR

Und gerührt wird mit einem 80 Zentimeter langen Holzlöffel. Strauch ist höchstens doppelt zu groß. Sie erzählt, dass sie Marmelade und Gelee einkoche, seit sie und ihr Mann im Nachbarstädtchen Crivitz vor mehr als 50 Jahren eine neue Wohnung samt Garten erhalten hatten.
Goldstaub zu DDR-Zeiten. Wie man das macht, habe sie von ihrer Mutter gelernt und die von der Oma. Wobei, so Anita Strauch: Marmeladekochen sei kein Hexenwerk.
Nun rasch noch acht Zitronen ausgepresst. Die ergeben rund 350 Milliliter Zitronensaft. Genug auf zehn Kilogramm Erdbeeren, um die Fruchtsäure zu betonen. Dieser Tipp von ihrer Mutter ist der einzige Sonderkniff, den Frau Strauch beim Marmeladekochen anwendet.

Keine Experimente beim Einkochen

Ansonsten gelte zu Hause wie in der Gutsküche: Verwendet werden nur reife Früchte der Saison aus dem eigenen Garten oder vom regionalen Fruchthof. Fruchtmischungen gibt es von Quitte mit Apfel. Tabu sind Konservierungsstoffe, Gewürze, geschmackliche Experimente.
Zwei Frauen sitzen in einer Küche und putzen Früchte. Mehrere Kästen mit frischen Früchten stehen auf dem Boden der Küche. 
Alles in Handarbeit: Vor der Erdbeermarmelade steht geduldiges Reinigen der Gläser und Schnippeln der Früchte.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
"Wir wollen nicht diesen Modetrend mitführen. Wir machen nur herkömmliche Marmelade ohne Peperoni oder was es nicht alles gibt. Das ist die Philosophie des Hauses: Nur reine Früchte!"

Nur kein Mus produzieren

Klingt vielleicht langweilig. Doch die Gäste von Gut Settin, die vor allem aus Hamburg und Berlin kämen, würden genau das zu schätzen wissen, ergänzt Anita Strauch. Sie bearbeitet die Erdbeeren im Topf nun mit einem Kartoffelstampfer, achtet aber streng darauf, kein Mus zu produzieren.
"Ganz klein wollen wir es nicht haben. Wir wollen noch Früchte drin haben. Man sagt nachher, wenn man Früchte drin hat: ‚Das ist eine Konfitüre.' Jetzt fängt es an zu kochen und jetzt stellen wir die Uhr auf fünf Minuten. Wir gucken hin und lassen es bei voller Hitze fünf Minuten kochen."
Unter beharrlichem Rühren wird die Masse immer dicker. Zeit für die Gelierprobe, für die sie heißen Erdbeersaft auf eine Untertasse gießt.
Frau Strauch pustet von der Seite über den Saft, auf dessen Oberfläche kleine Wellen entstehen. Werden sie fest und ähneln einer Rosenblüte, ist die Marmelade perfekt.
"Sieht man, wie das eine Rose wird? Simone, kannst du mal kurz mit anfassen?"

Jugend entdeckt Marmelademachen für sich

Die beiden Frauen schleppen den schweren heißen Topf vom Herd in die Spüle, denn nun heißt es: Rasch umfüllen. Eine bedient die Schöpfkelle, die andere verschraubt die Gläser mit den Deckeln und stellt sie kurz auf den Kopf. Das könne man machen, sei aber für ein keimfreies Vakuum im Glas nicht nötig, lacht Anita Strauch.
Dutzende Gläser mit Erdbeermarmelade stehen in einer Küche. Die Gläser haben kein Etikett. 
Fertige Marmeladengläser: Das Ergebnis aus 10 Kilogramm Erdbeeren, 5 Kilogramm Gelierzucker und dem Saft aus 8 Zitronen.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Wird ihre Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder die letzte in Deutschland sein, die die Kulturtechnik des Obstsammelns, Einkochens und Einweckens heimischer Früchte beherrscht und pflegt? Anita Strauch glaubt das nicht:
"Die Jugend entdeckt das immer wieder, dass es das Beste ist. Auch für ihre Kinder. Meine Enkel essen das auch sehr gerne. Meine Schwiegertöchter haben auch schon gefragt, wie das gemacht wird. Und sie haben auch schon kräftig zugeguckt."

Gäste greifen gern zu

Ein Lächeln huscht über das Gesicht der Mecklenburgerin, der die Gäste von Gut Settin wunderbare Marmeladen, Konfitüren und Gelees verdanken. Ob frisch zum Frühstück oder als Mitbringsel im Glas und hauseigenem Etikett, erklärt Gutsbetreiberin Karin Oertel-Hagge:
"Wir bieten es sowohl zu unserem Frühstück an, damit sie eben auch probieren können. Und dann sagen viele: 'Mensch, das schmeckt ja wie selbstgemacht!' Und wir sagen: 'Ja, das stimmt. Und Sie können sich gern etwas davon mitnehmen.'"
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