125 Jahre "Vegetarische Obstbaukolonie Eden"

Ein Paradies jenseits von Berlin

Reife, rote Bio-Äpfel hängen an einem Baum auf einer Obstwiese in Bad Vilbel, bei Frankfurt Main, am 16.09.2012
Die Siedlungsordnung setzt immer noch genau fest, wie viele Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt, wie viel der Grundstücksflächen für den Gemüsebau genutzt werden müssen © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Andrea Westhoff · 28.05.2018
Ein kleines irdisches Paradies, weg vom Großstadtlärm, weg vom ungesunden Leben mit Alkohol und Tabak - und Fleisch. Am 28. Mai 1893 gründeten Anhänger der Lebensreform- und Genossenschaftsbewegung die "Vegetarische Obstbaukolonie Eden", nördlich von Berlin.
Nur eine halbe Stunde fährt man von Berlins Mitte nach Norden ins Paradies. Bäume, Sträucher und hohe Hecken säumen den Zufahrtsweg zur "Obstbausiedlung Eden".
"Wir stehen unmittelbar vor dem Festplatz, das war schon der Kern von den ersten 40 Hektar, die die alten Siedler damals erworben hatten, und dann ist Stück für Stück dazu gekauft worden, und heutzutage umfasst die Siedlung 120 Hektar mit 550 besiedelten Grundstücken."
Rainer Gödde ist ein geborener "Edener" und betreut heute das Archiv und die Ausstellung zur Geschichte der Siedlung, die am 28. Mai 1893 begann. 18 Menschen trafen sich an diesem Pfingstsonntag zur Gründungsversammlung in der Berliner "Speisegaststätte Ceres".

"Raus aus dem Mief und Muff"

Sie sympathisierten mit der Genossenschaftsidee und den Vorstellungen der sogenannten Bodenreformer, die in einem Stückchen Land für jeden die Lösung sozialer Probleme sahen. Vor allem aber waren sie Anhänger der "Lebensreform-Bewegung".
"Sie wollten raus aus der Stadt, raus aus dem Mief und Muff und Dreck und Staub, und die haben gesagt, wenn die Kinder gesund groß werden sollen, wenn man selber gesund leben will, dann muss man raus aufs Land und muss seine Lebensmittel selber machen, damit man weiß, was drin steckt."

Kein Tabak, kein Alkohol, kein Fleisch

Außerdem sollte es weder Tabak, noch Alkohol und vor allem kein Fleisch geben in der "Vegetarischen Obstbau-Kolonie Eden". Doch zunächst hatte man nur einen kargen Brandenburger Acker: "Es war ein wirklich sehr schwerer Anfang. Der Boden war hier so leicht, so mager, fast wie Ostseestrandsand, bloß hellgrau, und um den Boden fruchtbar zu machen, hat man aus Berlin den Straßenkehricht kommen lassen. Weil: Da waren noch viele Pferde unterwegs."
Und tatsächlich ließ der Pferdemist aus Berlin die Äpfel und vieles andere in dem kleinen irdischen Paradies prächtig gedeihen.

Marmelade und Saft aus dem "Paradies"

"Man hat nach wenigen Jahren schon so viel Obst erzeugt, dass man es selber nicht mehr alleine verbrauchen konnte. Da hat man also angefangen, Saft zu machen, Marmeladen zu machen und damit hat man eine Fabrik aufgebaut. Weltweit das erste Tanklager, wo die Großtanklagerung von Most praktiziert wurde, war hier in Eden."
Ebenso wurde hier auch die "Eden-Butter", die erste reine Pflanzenmargarine, entwickelt: "Ursprünglich war Margarine ein ganz mieses Streichfett aus hochgekochten Tierabfällen. Das, was dann da oben schwamm, hat man nachbearbeitet und als Margarine verkauft."
Mit dem wirtschaftlichen Erfolg erblühte auch das Siedlungsleben. In den 1920er-Jahren lebten schon 450 Menschen in Eden. Es gab eine Schule, einen Kindergarten, eine eigene Hebamme, viele Werkstätten und sogar ein Theater.
"Übrigens da drüben, das graue Haus, war mal unsere eigene Bank. Damit die Siedler besser ihre Häuser finanzieren konnten."

Kein Nazi-Paradies

Der Zusatz "vegetarisch" war zwar schon 1901 aus der Satzung und dem Namen gestrichen worden. Aber man legte weiterhin Wert auf eine gesunde, gemeinschaftliche und bodenständige Lebensweise. So war das Projekt gut angesehen bei den Nationalsozialisten, und umgekehrt hielten viele Siedler den Vegetarier Hitler tatsächlich für einen guten Menschen.
Dennoch sei Eden kein Nazi-Paradies gewesen, sagt Rainer Gödde und verweist auf Dokumente im Archiv:
"Da gab es also sowohl Hitler-Begeisterte, es gab aber hier genauso Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kommunisten und, und, und. Verrückt ist ja, dass der Ortsgruppenführer der NSDAP zum Beispiel gegangen ist zum Vorsitzenden der Genossenschaft, unter vier Augen gesagt hat‚ sag dem Juden Löff, der soll nicht mehr einkaufen gehen, es gibt Leute, die wollen ihn am Konsum abholen lassen."
Richtig schwierig wurde es für die Obstbausiedlung Eden dann zu DDR-Zeiten: "Die DDR konnte mit dieser Genossenschaft eigentlich nix anfangen." Und dass sie 1950 einen Tochterbetrieb in Bad Soden am Taunus eröffnete, kam auch nicht gut an. So dümpelte das einstige kleine Paradies als Volkseigener Betrieb vor sich hin, während die Eden-Marke im Westen florierte.

Großer Zuzug junger Familien

Inzwischen geht es aber auch mit der ursprünglichen Siedlung wieder aufwärts: Es gibt eine Wohnanlage für Senioren, eine Schule sowie Sport- und Kulturvereine, erzählt die Geschäftsführerin Gabriele Haake: "Wir haben alte traditionsbewusste Edener, die ganz wichtig sind, und wir haben natürlich großen Zuzug von jungen Familien."
Doch die haben ein Problem: Produziert wird hier nichts mehr, und die Edener müssen ihren Lebensunterhalt außerhalb verdienen. Andererseits legt die Siedlungsordnung immer noch genau fest, wie viele Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt, wie viel der Grundstücksflächen für den Gemüsebau genutzt werden müssen. Eden ist kein Paradies für Faulenzer: "Das isset nich und wird et och hoffentlich nich sein – um dit in nem schönen Berliner Dialekt noch rüberzubringen."
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