Zoltán Danyi: "Der Kadaverräumer"

Der Krieg zerstört jede Eindeutigkeit

Cover des Buchs "Der Kadaverräumer" von Zoltán Danyi vor dem Hintergrund eines bewaffneten Kämpfers in Sarajevo 1992
Cover des Buchs "Der Kadaverräumer" von Zoltán Danyi © Suhrkamp Verlag / dpa
Von Jörg Plath · 20.11.2018
Der Protagonist des Romans "Der Kadaverräumer" ist ein gebrochener Überlebender der Jugoslawien-Kriege. Er ist Täter und Opfer zugleich: Er mordete und vergewaltigte, ist aber traumatisiert. Zoltan Danyi schildert das drastisch und raffiniert.
In diesem Roman herrscht ununterbrochen Traumazeit. Ein junger Mann lebt in einem Danach. Die traumatisierenden Ereignisse liegen lange zurück, doch die "alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre" sind ständig präsent, während der Verwüstete und Ausgebeinte in Zoltan Danyis Roman "Der Kadaverräumer" wortreich versucht, sein in Stücke zerbrochenes Leben zusammenzuklauben.
Der junge Mann aus Novi Sad, wie der Autor Angehöriger der ungarischen Minderheit in Serbien, schmuggelt in den ersten Monaten der jugoslawischen Kriege Benzin über die nahe Grenze. Als Soldat bricht er den Widerstand in den durch die Serben eroberten Gebieten durch Plünderungen, Massenvergewaltigungen und Exekutionen. Mit zwei Kollegen räumt er Tierkadaver von den serbischen Straßen. Er reist nach Berlin, um in die USA auswandern.
Die Reihenfolge dieser Erlebnisse ist unklar. Sicher ist nur, dass der in einem fort redende junge Mann bei jeder Gelegenheit furzen und ständig "dringend pissen" muss, ohne sich je erleichtern zu können.

Umstandslos erschossen

In den Kriegen wurde er Zeuge zweier Morde: Ein Kroate, der die serbischen Soldaten verhöhnte, indem er die Hose herunterzog und grinsend furzte, wurde umstandslos erschossen, als der junge Mann gerade an eine Hauswand pinkeln will.
Auch eine Frau wurde während ihrer Vergewaltigung erschossen, und beide Male durchdringen die Kugeln auf ihrem Weg zum Kopf die Geschlechtsorgane. Die Szenen gehören zum Schockierendsten, was der Rezensent bisher gelesen hat.
Von der brutalen Gewalt, der Drastik der körperlichen Funktionsstörungen sowie der Kombination Sexualität und Fäkalien erzählt der in Ungarn mit dem angesehenen Miklos-Meszöly-Preis ausgezeichnete Roman auf höchst raffinierte Weise.
Die Logorrhöe des jungen Mannes wird nicht in einem routinierten Bernhardschen Monolog wiedergegeben, wie er unter manch jüngeren Schriftstellern in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens Nachahmer gefunden hat.

Beständiger Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive

Danyi, der 1972 geborene Lyriker, Lektor, Hochschullehrer und Rosenzüchter, lässt solche Unmittelbarkeit nicht zu. Er schaltet einen Erzähler zwischen, der dem jungen Mann nah ist und dessen Monologe und Gedanken mal in direkter, mal in indirekter Rede wiedergibt, seien sie nun vor einem halb schlafenden Obdachlosen oder auch über Eiswürfeln im Glas geäußert oder gedacht.
Dieser beständige Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive, Gegenwart und Vergangenheit, von Terézia Mora rhythmisch und zupackend übertragen, verweigert dem Traumatisierten die Wiedererlangung der verlorenen Einheit.
Auch dem Leser wird jede beruhigende Eindeutigkeit versagt. Der Kadaverräumer ist sowohl Opfer wie Täter, er vergewaltigte Frauen und wurde doch durch die Ermordung einer Vergewaltigten traumatisiert. Auf den Straßen von Novi Sad verziert er das Staatswappen Serbiens heimlich mit Penissen, in der Spliter Villa eines serbischen Mafioso verlegt er es als Mosaik.
Beides ist nicht ungefährlich – in Serbien wird das Hoheitszeichen verehrt, im kroatischen Split ist es verhasst. Aber auch die Kadaverräumer kümmerten sich wohl nicht nur um Tierüberreste auf den Straßen, auch um solche von Menschen - und das mit Bulldozern.

Zoltán Danyi: "Der Kadaverräumer"
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
256 Seiten, 24 Euro

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