Zauberwort "Platz für alle"

Architektonische Lösungen für die Wohnungsnot

07:37 Minuten
Ein Neubau in den Farben Schwarz und Weiß steht neben einem Altbau in Berlin.
Neubau in der Flottwellstraße in Berlin-Mitte, entworfen vom Architekturbüro Heide & von Beckerath © imago/tagesspiegel
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 02.04.2019
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Neuer Wohnungsbau braucht Platz - doch gerade der fehlt in den Städten. Das führe dazu, dass nur noch für die Oberschicht gebaut werde, sagt Architekturkritiker Nikolaus Bernau. Neue Wohnungsbaukonzepte müssen her. Einige positive Beispiele gibt es schon.
Die Ansprüche, wie wir Deutschen wohnen wollen, haben sich in den vergangen 30 Jahren stark verändert. "Der Platzverbrauch ist immens gestiegen, pro Wohnung, pro Einwohner", sagt Architekturkritiker Nikolaus Bernau:
"Wir sind inzwischen bei 45 Quadratmetern pro Person gelandet. Man muss das mal vergleichen: Anfang der 50er Jahre wurde mit elf Quadratmetern pro Person geplant. Noch in den 80er waren so um die 30 qm der absolute Maximalstandard."

Platz für alle

Je großzügiger gewohnt wird, desto mehr Platz wird für Neubauten gebraucht. "Und damit lohnen sich Wohnungen eben nur noch für das obere Einkommenssegment", erklärt Bernau.
Dabei fehlt es jetzt schon in den deutschen Städten an bezahlbaren Wohnraum für die Mittelschicht und einkommensschwache Menschen. Umso mehr verwundert es Bernau, dass es in den vergangen 30 Jahren kaum Arbeit und Forschung darüber gebe, wie man einen effizienten Grundriss hinbekomme.
"Wenn man sich heute Handbücher aus den 20er-Jahren oder aus den 50er-Jahren anguckt: Was für tolle Grundrisslösungen da gemacht wurden. Wie knapp die Leute bauen konnten und wie knapp sie planen konnten, ohne kaltherzig und eng zu wirken."
Statt effektiv zu bauen, würden die Architekten heutzutage vor allem ihre Kreativität in das Design stecken. "Wir müssen zurückkommen zu einer Architektur, die sehr einfach denkt. Sie muss nicht einfach sein, sondern einfach denken", so Bernau.

In Alternativen denken

Ganz zentral sei die Nachverdichtung dessen, was schon steht, erklärt Bernau: "Inzwischen sind aber auch diese Potenziale ziemlich stark angegangen, gerade in Städten wie Berlin, München oder Hamburg."
Dabei lohnt auch ein Blick über den Tellerrand. In Frankreich würde zum Beispiel durchaus anders gebaut. "Auf viel kleineren Grundstücken und viel verdichtender", so Bernau, "das heißt aber auch, die Leute sitzen enger aufeinander."
Pro Jahr werden derzeit in den sieben größten deutschen Städte rund 88.000 Wohnungen neu gebaut. Da könne man nicht jede freie Fläche zustopfen oder die Städte endlos erweitern, erklärt Bernau: "Wir müssen im Bestand arbeiten und den Bestand aufstocken."

Gewerbe und Wohnung verbinden

Dass man durchaus effektiv planen könne, zeige zum Beispiel die Bebauung rund um das jüdische Museum in Berlin. Die Architekten Heide & von Beckerath setzen dort auf Nutzungsmischung. Eine Chance für volle Großstädte, erklärt Bernau:
"Das ist ein Gewerbebau, in dem auch gewohnt wird. Das heißt, man hat Nutzungsmischung. Das ist eine Sache, die in den letzten 50 Jahren fast weitgehend übersehen wurde. Gebäude können auch dadurch Qualität gewinnen, dass man viele Nutzungen aufeinander packt. Das war bis vor zwei Jahren in Deutschland gesetzlich verboten. Man durfte Gewerbenutzung nicht mit Wohnnutzung nicht in ein Haus packen. Das geht jetzt inzwischen."
(nho)
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