Günstige Mieten in Helsinki und Paris

Wo Politik den Preis steuert

25:22 Minuten
Kräne und die Baustellen zahlreicher Hochhäuser vor blauem Himmel
Das Neubaugebiet Kalasatama in Helsinki: Der Bedarf an "erschwinglichen Wohnungen" wird durch neue Häuser kaum gedeckt. © Deutschlandradio/Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 01.04.2019
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Helsinki ist teuer. Nur bei der kommunalen Wohnungsgesellschaft gibt es noch erschwinglichen Wohnraum. Den Bestand könnte eine linke Regierung nach der Parlamentswahl deutlich erhöhen. Auch in Paris greift die Politik schützend ein.
Die Umzug-Kartons: Sie stapeln sich noch. In Espoo, der Nachbargemeinde des finnischen Hauptstadt Helsinki. Der guten Laune von Jochen vom Brocke tut das keinen Abbruch. Erst vor ein paar Tagen hat sich der deutsche Chemiker seinen finnischen Traum vom Eigenheim erfüllt:
"Der Kauf in Finnland ist insofern cool, als es hier ohne Notar und großen bürokratischen Aufwand geht. Der Kauf war ein Termin bei der Bank."

Im Podcast der Weltzeit hören Sie auch, wie Paris in bestimmten Quartieren kleine Einkaufsläden unterstützt, um das individuelle Flair der Straßen zu bewahren.

Die hauseigene Sauna: Standard in Finnland. Am Donnerstag ist der Wissenschaftler, der für die Europäische Chemikalienagentur in Helsinki arbeitet, in sein 80er-Jahre-Einfamilienhaus eingezogen.*
"In Finnland kauft man, um drin zu wohnen. Selten als Investitionsobjekt. Da werden immer direkt 30 Prozent Kapitalertragssteuer fällig – ohne wenn und aber. Ab dem ersten Euro."

Alle 50 Jahre sind neue Rohre fällig

Mehr als dreißig Objekte hat sich der 42jährige zusammen mit seiner Frau angeschaut – anfangs auch im Stadtzentrum Helsinkis. Doch spätestens nach dem vierten Termin schwante ihnen: 700.000 Euro für eine hundert Quadratmeter-Wohnung in suboptimaler Lage: Das wird nichts. Dann lieber raus nach Espoo. Bis ins Zentrum der Hauptstadt sind es mit den Öffentlichen auch nur 45 Minuten.
Jochen vom Brocke steht in Winterjacke vor seinem aus roten Steinen gebauten Haus und blickt freundlich in die Kamera.
Der Traum vom eigenen Heim in Finnland: Jochen vom Brocke hat ihn sich erfüllt.© Deutschlandradio/Michael Frantzen
Alles prima, wenn da nicht eine finnische Spezialität wäre, die Hausbesitzern den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Alle fünfzig Jahre müssen die Rohre erneuert werden.
"Wenn man’s nach der neuen Methode macht, wo die Kunststoffe in das bestehende Rohr eingegossen werden und dann von innen quasi versiegelt, dann kostet das so um die 500 Euro per Quadratmeter. Wenn man das nach der klassischen Methode macht: Wand aufstemmen, Rohre raus, Wand wieder zu und alle Feuchträume renovieren, dann sind das etwa tausend Euro pro Quadratmeter."

22.000 Bewerber auf jährlich 500 bis 700 neue Unterkünfte

Natürlich kennt auch Jaana Närö das Dilemma mit den Rohren. Sie arbeitet in einem unscheinbarer 80er-Jahre-Kasten in Helsinki. Hier hat HEKA ihren Sitz, die kommunale Wohnungsgesellschaft Helsinkis, und Jaana Närö als Chefin das Sagen.
HEKA ist gemeinnützig: So schreibt es das Gesetz vor. Knapp 50.000 staatlich geförderte Wohnungen sind im Bestand der größten nichtkommerziellen Wohnungsgesellschaft des Landes: Das sind gut ein Viertel aller Sozialwohnungen Finnlands.
"Wir wachsen kontinuierlich", erklärt Jaana Näro. "Unser Bestand wird immer größer. Wir verkaufen ja auch keine unserer Häuser und Wohnungen. Trotzdem wird unsere Warteliste länger und länger. Aktuell haben wir 22.000 Bewerber. Wir bauen pro Jahr nur 500 bis 700 neue Unterkünfte. Für mehr reicht das Geld nicht. Es zieht auch so gut wie niemand aus. Kein Wunder: Unsere Mieten sind unschlagbar günstig."
Zwischen 7,50 Euro und 15,40 pro Quadratmeter verlangt HEKA an Miete. Warm. Je nach Lage und Größe der Wohnung. Auf dem freien Immobilienmarkt müsste man in Helsinki zwanzig bis fünfzig Prozent mehr zahlen. Sozialwohnungen sind begehrt – auch weil ihr Anteil am gesamten Wohnungsmarkt Finnlands auf 13 Prozent gefallen ist.

Die Politik kürzt die Förderung

Der soziale Wohnungsbau: Den neoliberalen finnischen Regierungen der letzten zehn Jahre war er ein Dorn im Auge. Die Mittel flossen immer spärlicher: Letztes Jahr 2,5 Milliarden Euro. Selbst das finnische Wohnrechtssystem stand auf der Kippe.
Doch dagegen lief nicht nur die HEKA-Chefin Sturm, sondern auch Jouni Parkkonen. Der Direktor von KOVA, dem Dachverband der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften Finnlands, ist zu Jaana ins Büro gekommen:
"Unser Wohnrechtssystem ist ähnlich dem sozialen Wohnungsbau – mit einem entscheidenden Unterschied: Unter diesem Modell mietest du ein Haus oder eine Wohnung – und zahlst einmalig 15 Prozent des Marktwertes an den Besitzer. Wir nennen diese Summe immer das 'Schlüsselgeld'. Wenn Du die 15 Prozent gezahlt hast, kann dir niemand mehr den Wohnungsschlüssel wegnehmen. Niemand kann dir kündigen. Das ist der Vorteil. Ansonsten funktioniert es ähnlich wie unser System der Sozialwohnungen."

Nur eine linke Mehrheit könnte die Förderung aufstocken

Wer aus einer Wohnrechtswohnung auszieht, erhält das Schlüsselgeld zurück. Rund 46.000 dieser Wohnungen gibt es in Finnland: Das sind weniger als zwei Prozent der mehr als drei Millionen Wohnungen im Land. Dass sich ihr Anteil erhöhen könnte: Nein, meint Jaana Närö, die HEKA-Vorsitzende, daran glaube sie nicht. Es sei denn, es gebe nach der Parlamentswahl Mitte des Monats eine linke Mehrheit.
Die in den Umfragen führenden Sozialdemokraten und auch die Grünen wollen mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau pumpen, das Mietrecht stärken:
"In einigen Bereichen ist unser Mieterschutz ganz gut. Dir kann beispielsweise nicht ohne weiteres gekündigt werden. Das ist positiv. Weniger positiv ist, dass es auf dem freien Immobilienmarkt keine Preiskontrolle gibt - anders als auf dem sozialen Wohnungsmarkt. Doch auf dem freien Markt kann ein Vermieter so viel nehmen wie er will. Da sind die Mieter in einer vergleichsweise schwachen Position."

Sozialwohnungen heißen "erschwingliche Wohnungen"

43.000 Neubauten feierten letztes Jahr in Finnland Richtfest – davon 9000 Sozialwohnungen. Jaana schaut entgeistert. Sozialwohnungen?! Das Wort mag sie gar nicht. Lieber redet sie von erschwinglichen Wohnungen. Denn erschwingliche Wohnungen stehen nicht nur einkommensschwachen Leuten zur Verfügung.
Noch so eine Besonderheit in Helsinki: Die Kommune schreibt nicht nur vor, dass ein Viertel aller Wohnungen in Neubaugebieten erschwinglich – also staatlich gefördert – sein müssen: Die Stadtoberen setzen auch auf das sogenannte soziale Mischprinzip. Heißt: Auch Gutverdiener dürfen in die subventionierten Wohnungen einziehen.

Die Wohngegenden sind sozial durchmischt

Jaana Närö ist stolz auf dieses Modell, Wohngebiete zu mischen: "Du musst nur nach Schweden schauen: Da gibt es diese Ghettos, wo sich selbst die Polizei nicht rein traut. So etwas haben wir in Helsinki nicht. Wir haben keinen Wohnsilos nur mit Arbeitslosen. Überall in der Stadt stehen Sozialwohnungen neben privaten.
Das beste Beispiel ist Kalasatama – unser großes Neubaugebiet. Dort hast du HEKA-Wohnungen direkt neben sehr teuren Townhouses. Wir sorgen sogar in ein und demselben Haus für den richtigen Mix. Damit in unseren HEKA-Wohnungen nicht nur ganz arme Leute wohnen."
* Gegenüber der Sendefassung haben wir das Manuskript an dieser Stelle leicht gekürzt.
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