Yang Jiang: "Wir Drei"

Zehntausend-Meilen-Liebe in China

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Buchcover zu Yang Jiang: Wir drei
Yang Jiang hat ihren Mann und ihre Tocher um 20 Jahre überlebt - und dann ein Buch über ihre Familie geschrieben: "Wir Drei". © Matthes und Seitz/Deutschlandradio
Von Katharina Borchardt · 02.11.2020
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Yang Jiang war 92 Jahre alt, als sie "Wir Drei" schrieb. In China wurde der Roman zum Bestseller. Die Autorin blickt zurück auf das von Liebe geprägte Leben mit ihrem Mann und ihrer Tochter und erzählt dabei auch ein Stück chinesische Geschichte.
Yang Jiang ist ständig unterwegs. Bis in ihre Träume reicht die Suche nach Mann und Tochter. Schon zu Beginn ihrer Familienbiografie eilt sie durch einen schier endlosen Traum. Sie läuft über eine Alte Poststraße, durchs Gebirge und bis an die See, um Mann und Tochter in wechselnden Krankenstationen zu besuchen. Immer wieder spürt Yang Jiang die beiden in diesem "Zehntausend-Meilen-Traum" auf, doch retten kann sie sie nicht.
Tochter Ayuan erlag 1997 dem Knochenkrebs. Ehemann Qian Zhongshu, der mit dem Roman "Die umzingelte Festung" bekannt wurde, starb ein Jahr später. Yang Jiang überlebte beide um fast zwanzig Jahre. Allein zurückgeblieben schrieb sie das Buch "Wir Drei", das Monika Motsch in ein flüssiges und elegantes Deutsch übertragen hat. Dieses Buch berührte viele ChinesInnen zutiefst, da die politischen Kampagnen der Kommunistischen Partei die Denunziation in China gefördert und den Zusammenhalt in vielen Familien nachhaltig zerstört hatten. So erlangte Yang Jiangs innige Familiengeschichte schon im Jahr ihres Erscheinens (2003) fünfundzwanzig Auflagen.

Den Schikanen der Kulturrevolution ausgesetzt

Doch auch Yang Jiangs eigene Familie war den Schikanen der Kulturrevolution auf vielfältige Weise ausgesetzt: Als Akademiker wurden sie und ihr Mann in öffentlichen Sitzungen kritisiert und zur Arbeit aufs Land verschickt. Ihre Tochter wurde einer Stahlfabrik zugeteilt. Yang Jiangs umfangreiches Übersetzungsskript des "Don Quichote" warfen die Roten Garden auf den Müll. All dies erwähnt die Autorin nur am Rand, doch tauchen Elemente jener Zeit – wie etwa die beängstigende Vorladung zu einer Sitzung – auch in ihrem Familientraum zu Beginn des Buches auf. Dieser Traum erinnert in den Motiven Einsamkeit und Vergeblichkeit an die Traumgeschichten von Nobelpreiskandidatin Can Xue, zeigt in seiner strukturierten Wiedergabe aber auch an, dass Yang Jiang mit der westlichen Traumdeutung vertraut gewesen sein muss.

Akademikerfamilie hielt sich von Politischem fern

Im Anschluss an diesen Traum erzählt sie die Familiengeschichte noch einmal in chronologischer Form. Sie beginnt mit ihrer Hochzeit mit Zhongshu im Jahr 1935, dem gemeinsamen Studium in Oxford und Paris und der Geburt der Tochter Ayuan. Es folgt die Rückkehr in ein von den Japanern besetztes Shanghai. Das dortige Familiengefüge hat für Yang Jiang aber offenbar größere Bedeutung als die politischen Umstände jener Jahre. Gerne hätte man Genaueres von ihr zum Leben unter der Besatzung erfahren, wie es etwa die Autorin Eileen Chang in jenen Jahren so präzise beschrieb. Doch auch nach ihrem Umzug nach Peking versucht die Akademikerfamilie, sich vor allem dem Lehren, Forschen und Übersetzen zu widmen und sich von Politischem weitgehend fern zu halten.
So ist "Wir Drei" die Geschichte eines geistigen und empfindsamen Lebens zu dritt, denn auch die sprachbegabte Tochter ging an die Universität. Ein Leben, das persönliche Schicksalsschläge, etliche Umzüge und politische Nachstellungen überdauert hat. "Weil wir zu dritt waren", notiert die hochbetagte Yang Jiang, "haben wir nicht vergeblich gelebt."

Yang Jiang: "Wir Drei"
Aus dem Chinesischen von Monika Motsch
Verlag Matthes & Seitz
222 Seiten, 22 Euro

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