Lea Schneider über "Made in China"

"Erstaunlich wenig Fremdheit"

13:06 Minuten
Radfahrer abends auf einer Seitenstrasse der Nanjing Lu Nanjing Straße, größte Einkaufsstraße von Shanghai.
Pralles Shopping-Leben: Abends auf einer Seitenstraße der Nanjing Lu, der größten Einkaufsstraße von Shanghai. © picture alliance / imageBROKER / Norbert Michalke
Moderation: Joachim Scholl · 22.10.2020
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China bedeutet für Europäer oft Fremde und Strenge. Die Sinologin Lea Schneider will den Klischees mit ihrem Gedichtband "Made in China" begegnen: Die chinesische Gesellschaft sei sehr divers. Doch Schneider sorgt sich um deren kreative Freiräume.
Das Bild von China in den Köpfen der der meisten "Westler" ist recht klar: ein repressives, Angst verbreitendes politisches System, das eine systemkonforme Kunst- und Literaturproduktion hervorbringt, die wiederum ein Jubelbild von der chinesischen Gesellschaft entwirft. Aber so einfach ist das nicht.
Derzeit gibt es einige Neuerscheinungen beziehungsweise -übersetzungen von chinesischer Literatur. Die Sinologin, Autorin und Übersetzerin Lea Schneider hat in China gelebt und sagt: "Autoritäres Regime? Ja. Aber das Land ist so unglaublich divers, hat ganz viele verschiedene Arten des Alltagswiderstands. Es gibt da ohne Ende politisches Potenzial in der Zivilgesellschaft." Doch in den letzten Jahren habe es einen "extremen Rollback" gegeben, der all dies zerstöre.

Vor den Trümmern ihrer kreativen Räume

Sie empfinde deshalb eine große Wut auf den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, sagt Schneider. Sie verbrachte einige Zeit als Writer in Residence und Stipendiatin am Goethe-Institut in Nanjing, hat viele chinesische Freundinnen und Freunde und weiß, wie sehr diese unter Repressalien seitens der Regierung leiden. Diese stünden nun vor den Trümmern der mühsam und mit viel Kreativität erkämpften Räume.
Sie selbst habe sich sehr darum bemüht, in Deutschland für ein anderes Chinabild jenseits der Klischees zu werben. Auch deshalb transportiere ihr im Frühjahr erschienener Gedichtband "Made in China" ein wichtiges Anliegen: Schneider entdeckte beim Schreiben, dass sie eigene Klischees im Kopf hatte. Sie schreibt von Städten, von Geschichte, von Sprache. An einer Stelle heißt es: "Die Gedichte finden ein Loch im Papier, das groß genug ist" – eben um hinter die Klischees zu schauen.

Wir Europäer sind von einem Chinabild geprägt

Lea Schneider bewegt sich in ihrem Band durch Nanjing, Shanghai, Hong Kong, Taipei, Chengdu und Beijing. Ihr sei es wichtig gewesen, aus den Texten auch ihre dortigen Freundinnen und Freunde sprechen zu lassen.
Die Autorin und Sinologin Lea Schneider.
Wirbt für einen offenen Blick auf China: Lea Schneider© Mueck-Fotografie
Und sie erinnert sich im Gespräch an ihre erste Zeit in China: "Mein großes Erstaunen war, als ich das erste Mal in China war, wie wenig fremd mir alles war. Das klingt auch wie ein Klischee, aber das war diese Tatsache, dass ich mit Chines*innen sprechen konnte, dass ich mich mit Chines*innen anfreunden konnte, dass es Leute waren, mit denen ich Gespräche führen und zu denen ich einen Draht haben konnte. Und da habe ich gemerkt, wie sehr wir geprägt sind davon, dass uns China hier in Europa so vollkommen fremd sein muss."

Lea Schneider: "Made in China"
Gedichte, mit Illustrationen von Wu Yimeng
Verlagshaus Berlin, 2020
120 Seiten, 17,90 Euro

Literaturtipps von Lea Schneider:

Fang Fang: "Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt"
Übersetzt von Michael Kahn-Ackermann
Hoffmann und Campe, 2020
352 Seiten, 25 Euro

Qian Zhongshu: "Die umzingelte Festung".
Übersetzt von Monika Motsch
Matthes und Seitz, 2008
470 Seiten, 28 Euro

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