Woodward-Buch "Wut" auf Deutsch

Übersetzung im Hauruckverfahren

05:53 Minuten
Bücherstapel mit Exemplaren von "Rage" von Bob Woodward
In den USA liegt "Rage" von Bob Woodward schon länger in den Buchläden. Nun wurde es möglichst schnell auch ins Deutsche übersetzt. © picture alliance / newscom / John Angelillo
Von Tobias Krone  · 19.10.2020
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14 Übersetzerinnen und Übersetzer haben Bob Woodwards Buch "Wut" über Donald Trump in nur zwei Wochen ins Deutsche übersetzt. Eile war geboten, denn womöglich ist Trump bald nicht mehr US-Präsident. Doch auch dann lohnt es sich für den Hanser Verlag.
Den Prolog und das erste Kapitel des neuen Buches über Donald Trump – Henriette Zeltner-Shane hat sie am Fuß des Wilden Kaisers übersetzt. Es klingt wie ein ironischer Marketing-Gag. Doch auf der Tiroler Alm, umgeben von Wasserfall, Buche, Weißtanne und gemeiner Fichte, nahm sich die Münchnerin den Trump vor.
"Weil das schon geplant war als Arbeitsaufenthalt, und man heutzutage mit seinem Büro fast überall arbeiten kann", berichtet sie. Sogar WLAN gibt es dort oben. Und das ist bei einem solchen Projekt entscheidend, um mit dem Lektor in Echtzeit-Kontakt zu treten.
"Es ist wie eine Auktion. Man zeigt auf und dann heißt es: So, ich habe hier fünf Kapitel. Wer meldet sich? Und dann nimmt das Projekt bei – wir waren 14 Kollegen – schon Fahrt auf."

Planung über das Wochenende

14 Übersetzerinnen und Übersetzter haben so innerhalb von zwei Wochen die über 400 Seiten übersetzt. Manche von ihnen 30, manche 100. Je nachdem, wie viel Zeit sie sich so einräumen konnten.
"Wobei ich in dem Fall Glück hatte, weil ich den Einstieg gemacht habe. Und dann vereinbart hatte, dass ich zwischendurch wegen eines anderen Projekts keine Kapitel aus dem Mittelteil übersetze, sondern am Ende wieder einsteige, damit die Kollegen nicht warten müssen, bis ich soweit bin. Ich hatte dadurch die Zeit, in der der Mittelteil übersetzt wurde, bis ich den Schluss liefern musste. Das war in dem Fall für mich sehr günstig."

Das Woodward-Buch ist ein Spezialfall, weil sein Inhalt bis zu seiner Erscheinung am 15. September in den USA so gut wie geheim war – und das Übersetzerteam nicht schon wie üblich vorab Manuskripte bekamen, erzählt Jo Lendle, Verleger des Hanser Verlages.
"Wir haben am Freitag die Nachricht bekommen, dass das Manuskript am Abend kommt. Dann haben wir erst einmal gesagt: Schaffen wir es überhaupt, ausreichend Übersetzer zu finden, haben über das Wochenende 14 Übersetzer organisiert und gelesen. Und dann am Montag entschieden: Ja, wir machen ein Angebot, weil wir wissen, wir würden es zeitlich hinbekommen. Haben am Montagabend dann den Zuschlag bekommen und ab Montagabend haben die Übersetzer gearbeitet."

Trump statt Goethe

Es ist klar, dass man für ein solches Gesamtwerk einen Lektoren braucht – oder in diesem Fall eher einen Textmanager. Einen wie Kristian Wachinger. Der sagt: "Damit letzten Endes alles zusammenpasst. Damit die verschiedenen Grade von Staatsanwälten auch in einer kohärenten Terminologie übersetzt sind, damit man irgendwie weiß, ob es jetzt eher eine Clique oder eine Interessensgruppe ist, dass der Ton auch möglichst stimmt. Wobei wir bei diesen Sachtexten natürlich nicht die höchsten literarischen Kriterien anwenden können, aber es soll schon erkennbar sein, dass es aus einem Guss ist, dass es ein Buch ist."

Normalerweise widmet sich der frei arbeitende Lektor solch gut abgehangenen Dingen wie der kritischen Edition literarischer Größen. Die Münchner Goetheausgabe brachte er heraus, derzeit arbeitet er an einer Gesamtausgabe von Elias Canetti.
"Ich bezeichne es auch als meine Sprint-Kurzstreckenläufe. Wobei so ein Buch, wenn es dann 1600 Seiten hat, durchaus ein Marathon-Sprint werden kann, falls es sowas gibt."
Jo Lendle, Verleger des Hanser Verlags, 2019, Foto: Markus Scholz/dpa | Verwendung weltweit
Der Hanser-Verleger Jo Lendle griff schnell zu und hat nun die deutsche Ausgabe des Woodward-Buches "Wut" über Donald Trump herausgebracht.© picture alliance / dpa / Markus Scholz

Besser Honorare als sonst üblich

Kristian Wachinger war auch schon beim ersten Buch Bob Woodwards über Trump derjenige, der alles zusammenhielt, damals beim Rowohlt-Verlag. Das Arbeitspensum in solchen Wochen: "Zwölf bis 13 Stunden. Bis eben gar nichts mehr geht."
Die Übersetzungshonorare seien bei solchen Projekten besser als sonst, ist aus der Runde zu erfahren. Schnelligkeit ist hier eben alles, bei einem Buch über einen US-Präsidenten, der möglicherweise bald nicht mehr Präsident ist.
"Der ist natürlich so ein bisschen die Kuriosität, die das Ganze zu einem sehr besonderen Tierchen in unserem Bücherzoo macht. Normalerweise sind wir eigentlich auch immer ganz stolz drauf, dass wir unseren Büchern wahnsinnig lange Zeit zum Reifen lassen. Das liegt daran, dass wir Übersetzungen ernst nehmen, dass wir hier im Haus sehr breit lesen – und dass es gut ist, wenn die Bücher mit Ruhe entstehen. Das ist in diesem Fall echt nicht möglich gewesen, das war uns klar. Wir wollten vor der Wahl erscheinen – und da ging es dann nur so."

Viel verdient mit Vorbestellungen

In gut zwei Wochen wählt Amerika, vielleicht ja Joe Biden. Danach könnte das Interesse an Trump schlagartig nachlassen. Lohnt sich das Buch denn? Im Interview redet der Hanser-Verleger Jo Lendle nicht über Zahlen, aber er macht klar: Die Halbwertszeit des Themas war beim Kauf der Verlagsrechte mit eingepreist, sagt er: "Wir sind da nicht groß ins Risiko gegangen und haben das längst amortisiert und ausverdient mit den Vorbestellungen. Es sind überschaubare Größenordnungen."
Doch auch sollte Trump verlieren: Bleiben würde eine Chronik des amerikanischen Corona-Jahres und das Porträt eines fragwürdigen Präsidenten, das anders als sonstige Bücher über Trump nicht von Rachsucht getrieben sei. Bob Woodward interessiere nur die Wahrheit, sagt Lendle: "Er sagt auch, wo Trump recht hat, und er gewährt ihm die Möglichkeit einer Restwürde. Und dafür kann man ihn nur bewundern."

Bob Woodward: "Wut"
Aus dem Englischen von Henriette Zeltner-Shane et al.
Hanser Verlag, 2020, 490 Seiten, 24 Euro

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