"Wir morden nicht, wir stehlen nicht, wir glauben nicht"
Von Gesine Palmer · 24.12.2012
Wer sich unmittelbar vor Weihnachten nicht religiös bedrängt fühlt, muss ein starkes Nervenkostüm haben und gut eingerichtet sein mit dem Wechsel der Gezeiten – oder in einer Welt leben, in der die neue Zudringlichkeit der Religionen noch nicht angekommen und Weihnachten nichts weiter als ein Familienfest ist, das man irgendwie abarbeitet wie jedes Jahr.
Es gibt sie noch, solche Welten, und das ist gut so. Aber ihre Inseln werden kleiner, und immer öfter müssen sie sich verteidigen, bei uns nicht weniger als in jenen anderen Ländern der Welt, in denen wir außer dem Islam noch Islamisten, außer den Juden noch Ultra-Orthodoxe, außer Russen noch Russisch-Orthodoxe und außer evangelischen Christen noch Evangelikale kennen.
Für manche Problemzonen der deutschen Öffentlichkeit könnte man, seit 'wir Papst sind', auch von einer Zunahme der Katholikalen reden. Kürzlich hat Tanja Dückers auf diesem Sender richtig festgestellt, dass es neuerdings richtig schick sei, sich zur katholischen Frömmigkeit zu bekennen und mit ihr auch etwas wie einen Anspruch auf die einzig richtige Werthaltung zu verbinden.
Selbst Protestantin, finde ich es manchmal schwierig, darauf zu reagieren. Dabei tue ich mich mit meiner eigenen Kirche durchaus auch nicht leicht.
Von einer wirklich katholischen Bedrängnis können unsere polnischen Nachbarn Lieder singen. Und tun es auch. "Wir morden nicht, wir stehlen nicht, wir glauben nicht" lautet die Kurzformel, mit der sie darauf bestehen, als moralische Bürger auch dann respektiert zu werden, wenn sie nicht an Gott glauben und nicht in die Kirche gehen.
Ich finde das mutig und stark und kann immer nur dazu einladen, die Gegenprobe zu machen und sich einen Slogan der Internationale der Religiösen Reaktion zu denken. Er müsste lauten: "Wir morden, wir stehlen, wir glauben."
Tatsächlich ist Glauben eben nicht eine Garantie für moralisches Verhalten – sondern oft nur dafür, dass wir unsere Wertausrichtung für fester in der Wirklichkeit verankert halten als andere. Und ausgerechnet in dieser Form hat das Glauben auch Eingang gefunden in vermeintlich ganz säkulare und wissenschaftlich psychoanalytische und philosophische Denkgebäude.
Insbesondere in der lacanianischen Schule der Psychoanalyse wird das Glauben sehr hochgehalten und zu einem elementaren menschlichen Akt oder einer elementaren emotionalen Stufe erklärt, woraus folgen könnte, wer nicht oder nicht mehr glaubt, gefährdet seine seelische Gesundheit.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Jacques Lacan, der französische Psychiater und Analytiker, und der überwiegende Teil seiner Schüler katholischer Herkunft sind. Einige von ihnen sind zudem bekennende Katholiken, andere haben noch in ihren Atheismus etwas von ihrem platonischen Begriffsrealismus hinübergerettet, mit dem sie nun ihre Urteile über die Welt für allgemeingültig halten.
Die Reformation hatte im Ansatz und Ursprung einen anderen Glaubensbegriff, der näher am Nominalismus war, also an der Idee, dass wir uns auf Begriffe nur einigen, um etwas Abstraktes wie Ideen, Werte, Glauben zu beschreiben, ohne dass sie dadurch gleich real existieren wie ein Lebewesen. In diesem Sinne redet man über Gott symbolisch, weil ein Mysterium anders nicht zu fassen ist.
Diese beiden Haltungen liegen seit der Antike im Abendland miteinander im Streit. Entscheiden lässt er sich wohl kaum, indem die Kontrahenten von der Warte scheinbar höheren Wissens aus einander dogmatisch oder ideologisch nachstellen.
Ob sie sich nun auf religiösen Glauben, naturwissenschaftliche Erkenntnis oder auf einen humanistischen Wertekanon berufen, alle Menschen sind der Einsicht unterworfen: "Ich weiß, das ich nichts weiß". Und indem sie danach handeln – sich selbst treu, aber tolerant gegenüber anderen, verhalten sie sich säkular genug.
Dr. Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin.
Für manche Problemzonen der deutschen Öffentlichkeit könnte man, seit 'wir Papst sind', auch von einer Zunahme der Katholikalen reden. Kürzlich hat Tanja Dückers auf diesem Sender richtig festgestellt, dass es neuerdings richtig schick sei, sich zur katholischen Frömmigkeit zu bekennen und mit ihr auch etwas wie einen Anspruch auf die einzig richtige Werthaltung zu verbinden.
Selbst Protestantin, finde ich es manchmal schwierig, darauf zu reagieren. Dabei tue ich mich mit meiner eigenen Kirche durchaus auch nicht leicht.
Von einer wirklich katholischen Bedrängnis können unsere polnischen Nachbarn Lieder singen. Und tun es auch. "Wir morden nicht, wir stehlen nicht, wir glauben nicht" lautet die Kurzformel, mit der sie darauf bestehen, als moralische Bürger auch dann respektiert zu werden, wenn sie nicht an Gott glauben und nicht in die Kirche gehen.
Ich finde das mutig und stark und kann immer nur dazu einladen, die Gegenprobe zu machen und sich einen Slogan der Internationale der Religiösen Reaktion zu denken. Er müsste lauten: "Wir morden, wir stehlen, wir glauben."
Tatsächlich ist Glauben eben nicht eine Garantie für moralisches Verhalten – sondern oft nur dafür, dass wir unsere Wertausrichtung für fester in der Wirklichkeit verankert halten als andere. Und ausgerechnet in dieser Form hat das Glauben auch Eingang gefunden in vermeintlich ganz säkulare und wissenschaftlich psychoanalytische und philosophische Denkgebäude.
Insbesondere in der lacanianischen Schule der Psychoanalyse wird das Glauben sehr hochgehalten und zu einem elementaren menschlichen Akt oder einer elementaren emotionalen Stufe erklärt, woraus folgen könnte, wer nicht oder nicht mehr glaubt, gefährdet seine seelische Gesundheit.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Jacques Lacan, der französische Psychiater und Analytiker, und der überwiegende Teil seiner Schüler katholischer Herkunft sind. Einige von ihnen sind zudem bekennende Katholiken, andere haben noch in ihren Atheismus etwas von ihrem platonischen Begriffsrealismus hinübergerettet, mit dem sie nun ihre Urteile über die Welt für allgemeingültig halten.
Die Reformation hatte im Ansatz und Ursprung einen anderen Glaubensbegriff, der näher am Nominalismus war, also an der Idee, dass wir uns auf Begriffe nur einigen, um etwas Abstraktes wie Ideen, Werte, Glauben zu beschreiben, ohne dass sie dadurch gleich real existieren wie ein Lebewesen. In diesem Sinne redet man über Gott symbolisch, weil ein Mysterium anders nicht zu fassen ist.
Diese beiden Haltungen liegen seit der Antike im Abendland miteinander im Streit. Entscheiden lässt er sich wohl kaum, indem die Kontrahenten von der Warte scheinbar höheren Wissens aus einander dogmatisch oder ideologisch nachstellen.
Ob sie sich nun auf religiösen Glauben, naturwissenschaftliche Erkenntnis oder auf einen humanistischen Wertekanon berufen, alle Menschen sind der Einsicht unterworfen: "Ich weiß, das ich nichts weiß". Und indem sie danach handeln – sich selbst treu, aber tolerant gegenüber anderen, verhalten sie sich säkular genug.
Dr. Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin.

Gesine Palmer© privat